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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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unter ersteren die unmittelbaren Einwirkungen von Sinnenreizen, psc_163.002
die oft unter symbolischer Gestalt aufgenommen und psc_163.003
in den Zusammenhang einer bestimmten Geschichte oder Situation psc_163.004
gebracht werden. Solche erst im Schlafe sich herstellenden, psc_163.005
durch die Lage bestimmten Sinnreizungen werden also psc_163.006
von der Traumphantasie sofort aufgenommen und verarbeitet, psc_163.007
oft in symbolischer Gestalt. Es scheint mir leicht nachzuweisen, psc_163.008
daß die Sinnreizträume eigentlich auch nicht productiv psc_163.009
sind; sie bringen nichts Neues, sondern der wirkende Reiz psc_163.010
verbindet sich mit theilweise ähnlichen Vorstellungen aus der psc_163.011
vorhandenen Vorstellungsmasse der Seele und geht von da psc_163.012
aus weitere Verbindungen ein, z. B. Störungen des Herzschlags psc_163.013
und Blutumlaufs spiegeln sich in den Angst= und psc_163.014
Verlegenheitsträumen. "Die Vorstellung des Fliegens ist ein psc_163.015
Lungenreiz-Traum; das Ein und Aus des Athmens, die psc_163.016
beiden Flügel der Lunge spiegeln sich sinnbildlich als Auf= psc_163.017
und Niederschweben in der Luft mit den gedoppelten Bewegungsorganen" psc_163.018
(Vischer). Doch bleibt es sehr fraglich, ob das psc_163.019
die richtige Erklärung ist; hier ist schon eine Deutung des psc_163.020
Forschers im Spiel. Nach Scherner soll der Körper als psc_163.021
Haus erscheinen, wie er das in mythologischer Vorstellung psc_163.022
auch thut (vgl. Wackernagel, Zs. f. d. Alt. 6, 297: Haus Kleid psc_163.023
Leib). Aber noch fehlen sichere Beweise für die Symbolik psc_163.024
des Traums. Und so ist überhaupt auf diesem Gebiet vieles psc_163.025
zweifelhaft. Zwar die Einwirkung körperlicher Beängstigung psc_163.026
ist recht erklärlich -- mit denselben körperlichen Zuständen psc_163.027
sind Vorstellungen der Verlegenheit und Angst associirt, psc_163.028
und diese werden nun angeregt. Jm Leben ruft wahrscheinlich

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die oft unter symbolischer Gestalt aufgenommen und psc_163.003
in den Zusammenhang einer bestimmten Geschichte oder Situation psc_163.004
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durch die Lage bestimmten Sinnreizungen werden also psc_163.006
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sind; sie bringen nichts Neues, sondern der wirkende Reiz psc_163.010
verbindet sich mit theilweise ähnlichen Vorstellungen aus der psc_163.011
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aus weitere Verbindungen ein, z. B. Störungen des Herzschlags psc_163.013
und Blutumlaufs spiegeln sich in den Angst= und psc_163.014
Verlegenheitsträumen. „Die Vorstellung des Fliegens ist ein psc_163.015
Lungenreiz-Traum; das Ein und Aus des Athmens, die psc_163.016
beiden Flügel der Lunge spiegeln sich sinnbildlich als Auf= psc_163.017
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(Vischer). Doch bleibt es sehr fraglich, ob das psc_163.019
die richtige Erklärung ist; hier ist schon eine Deutung des psc_163.020
Forschers im Spiel. Nach Scherner soll der Körper als psc_163.021
Haus erscheinen, wie er das in mythologischer Vorstellung psc_163.022
auch thut (vgl. Wackernagel, Zs. f. d. Alt. 6, 297: Haus Kleid psc_163.023
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zweifelhaft. Zwar die Einwirkung körperlicher Beängstigung psc_163.026
ist recht erklärlich — mit denselben körperlichen Zuständen psc_163.027
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[163/0179] psc_163.001 unter ersteren die unmittelbaren Einwirkungen von Sinnenreizen, psc_163.002 die oft unter symbolischer Gestalt aufgenommen und psc_163.003 in den Zusammenhang einer bestimmten Geschichte oder Situation psc_163.004 gebracht werden. Solche erst im Schlafe sich herstellenden, psc_163.005 durch die Lage bestimmten Sinnreizungen werden also psc_163.006 von der Traumphantasie sofort aufgenommen und verarbeitet, psc_163.007 oft in symbolischer Gestalt. Es scheint mir leicht nachzuweisen, psc_163.008 daß die Sinnreizträume eigentlich auch nicht productiv psc_163.009 sind; sie bringen nichts Neues, sondern der wirkende Reiz psc_163.010 verbindet sich mit theilweise ähnlichen Vorstellungen aus der psc_163.011 vorhandenen Vorstellungsmasse der Seele und geht von da psc_163.012 aus weitere Verbindungen ein, z. B. Störungen des Herzschlags psc_163.013 und Blutumlaufs spiegeln sich in den Angst= und psc_163.014 Verlegenheitsträumen. „Die Vorstellung des Fliegens ist ein psc_163.015 Lungenreiz-Traum; das Ein und Aus des Athmens, die psc_163.016 beiden Flügel der Lunge spiegeln sich sinnbildlich als Auf= psc_163.017 und Niederschweben in der Luft mit den gedoppelten Bewegungsorganen“ psc_163.018 (Vischer). Doch bleibt es sehr fraglich, ob das psc_163.019 die richtige Erklärung ist; hier ist schon eine Deutung des psc_163.020 Forschers im Spiel. Nach Scherner soll der Körper als psc_163.021 Haus erscheinen, wie er das in mythologischer Vorstellung psc_163.022 auch thut (vgl. Wackernagel, Zs. f. d. Alt. 6, 297: Haus Kleid psc_163.023 Leib). Aber noch fehlen sichere Beweise für die Symbolik psc_163.024 des Traums. Und so ist überhaupt auf diesem Gebiet vieles psc_163.025 zweifelhaft. Zwar die Einwirkung körperlicher Beängstigung psc_163.026 ist recht erklärlich — mit denselben körperlichen Zuständen psc_163.027 sind Vorstellungen der Verlegenheit und Angst associirt, psc_163.028 und diese werden nun angeregt. Jm Leben ruft wahrscheinlich

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/179>, abgerufen am 25.04.2024.