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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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des Publicums abgeschnitten werden. Aber macht er psc_180.002
von seinem Wissen richtigen Gebrauch, so kann es nicht zu psc_180.003
viel Bildung geben. Wenn er die tiefsten Gedanken nur psc_180.004
errathen läßt, so wirkt das gerade anziehend.

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Es wird auch auf die Achtung gesehen werden müssen, psc_180.006
in welcher die Dichter standen, was z. B. Koberstein in seinen psc_180.007
sehr gründlichen, lehrreichen und wirklich aus philosophischem psc_180.008
Geist entsprungenen Einleitungsabschnitten regelmäßig erörtert. psc_180.009
Jn alten Zeiten stehen die epischen Sänger am psc_180.010
Hofe des Königs als gleichberechtigt neben dem Gefolge; psc_180.011
es wurde ihnen ein großer Platz eingeräumt, denn sie waren psc_180.012
mit dem König und dem Volk intim. Daneben aber steht psc_180.013
der verachtete Possenreißer. Dieser wird zum Spielmann, psc_180.014
bleibt aber in der Verachtung, bis er im Laufe des 12. Jahrhunderts psc_180.015
ein Gefühl bekommt, daß es doch elend sei ohne psc_180.016
Heimath, und gleichzeitig mit seiner zunehmenden Neigung psc_180.017
zur Seßhaftigkeit größere Neigung des Publicums und psc_180.018
Gönner findet, die ihm ein festes Heim bereiten, so daß er psc_180.019
gegen Ende des 13. Jahrhunderts fast wiederum eine ähnliche psc_180.020
Stellung wie früher der Sänger in den Zeiten der Völkerwanderung psc_180.021
einnimmt. Natürlich wirkt die verschiedene psc_180.022
Achtung auf seine Haltung und Production. Auch im psc_180.023
18. Jahrhundert bemerkt man ein Aufsteigen der persönlichen psc_180.024
Achtung des Dichters; die Sängerwürde ist durch Klopstock, psc_180.025
der ein starkes Selbstgefühl als gottgeweihter Sänger besaß, psc_180.026
ungemein gehoben worden. Dadurch wurde es möglich, psc_180.027
daß ein Fürst einen jungen Mann, bloß weil er Dichter war,

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von seinem Wissen richtigen Gebrauch, so kann es nicht zu psc_180.003
viel Bildung geben. Wenn er die tiefsten Gedanken nur psc_180.004
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  Es wird auch auf die Achtung gesehen werden müssen, psc_180.006
in welcher die Dichter standen, was z. B. Koberstein in seinen psc_180.007
sehr gründlichen, lehrreichen und wirklich aus philosophischem psc_180.008
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Hofe des Königs als gleichberechtigt neben dem Gefolge; psc_180.011
es wurde ihnen ein großer Platz eingeräumt, denn sie waren psc_180.012
mit dem König und dem Volk intim. Daneben aber steht psc_180.013
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Heimath, und gleichzeitig mit seiner zunehmenden Neigung psc_180.017
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[180/0196] psc_180.001 des Publicums abgeschnitten werden. Aber macht er psc_180.002 von seinem Wissen richtigen Gebrauch, so kann es nicht zu psc_180.003 viel Bildung geben. Wenn er die tiefsten Gedanken nur psc_180.004 errathen läßt, so wirkt das gerade anziehend. psc_180.005   Es wird auch auf die Achtung gesehen werden müssen, psc_180.006 in welcher die Dichter standen, was z. B. Koberstein in seinen psc_180.007 sehr gründlichen, lehrreichen und wirklich aus philosophischem psc_180.008 Geist entsprungenen Einleitungsabschnitten regelmäßig erörtert. psc_180.009 Jn alten Zeiten stehen die epischen Sänger am psc_180.010 Hofe des Königs als gleichberechtigt neben dem Gefolge; psc_180.011 es wurde ihnen ein großer Platz eingeräumt, denn sie waren psc_180.012 mit dem König und dem Volk intim. Daneben aber steht psc_180.013 der verachtete Possenreißer. Dieser wird zum Spielmann, psc_180.014 bleibt aber in der Verachtung, bis er im Laufe des 12. Jahrhunderts psc_180.015 ein Gefühl bekommt, daß es doch elend sei ohne psc_180.016 Heimath, und gleichzeitig mit seiner zunehmenden Neigung psc_180.017 zur Seßhaftigkeit größere Neigung des Publicums und psc_180.018 Gönner findet, die ihm ein festes Heim bereiten, so daß er psc_180.019 gegen Ende des 13. Jahrhunderts fast wiederum eine ähnliche psc_180.020 Stellung wie früher der Sänger in den Zeiten der Völkerwanderung psc_180.021 einnimmt. Natürlich wirkt die verschiedene psc_180.022 Achtung auf seine Haltung und Production. Auch im psc_180.023 18. Jahrhundert bemerkt man ein Aufsteigen der persönlichen psc_180.024 Achtung des Dichters; die Sängerwürde ist durch Klopstock, psc_180.025 der ein starkes Selbstgefühl als gottgeweihter Sänger besaß, psc_180.026 ungemein gehoben worden. Dadurch wurde es möglich, psc_180.027 daß ein Fürst einen jungen Mann, bloß weil er Dichter war,

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/196>, abgerufen am 24.04.2024.