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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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Stimmung schon vorbereitet ist. Dagegen ein lyrisches Gedicht psc_199.002
muß gleich mitten in die Sache führen; ähnlich ists psc_199.003
bei Reden. Wenn es zu lange mit der Exposition dauert, so psc_199.004
wird das Publicum müde. Als Einleitung ist höchstens ein psc_199.005
Aufrütteln des Publicums gestattet. Abraham a Sta. Clara psc_199.006
verstand sich voll darauf, wenn er begann: "Allerlei Nasen! psc_199.007
allerlei Nasen!"

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Dramatische, epische Eingänge müssen erfahrungsmäßig psc_199.009
stark wirkende Elemente bringen, z. B. Sprichwörter, geflügelte psc_199.010
Worte. Für das Epos ist es eine gute Exposition, psc_199.011
wenn die ersten Worte jemand in den Mund gelegt werden. psc_199.012
So macht es ein gewandter Autor, der sein Publicum wohl psc_199.013
kannte, der Verfasser der "Asiatischen Banise," indem er mit psc_199.014
einem fürchterlichen Fluch eröffnet.

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Vgl. Kap. 5, III "Composition".

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C. Die ästhetischen Hilfen.

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Fechner 1, 50 f. Jnhalt und Form z. B. wirken in psc_199.018
der Poesie als Hilfen, d. h. sie unterstützen sich gegenseitig, psc_199.019
und die Summe beider wird bei ihrem Zusammenwirken weit psc_199.020
übertroffen. Fechner exemplificirt folgendermaßen: Hören wir psc_199.021
ein Gedicht in fremder Sprache, die wir nicht verstehen, so kann psc_199.022
es durch Klang und Rhythmus wohlgefällig wirken; aber wie psc_199.023
viel mehr, wenn man den Jnhalt versteht! Ein Gedicht psc_199.024
in Prosa dagegen, ohne Versmaß, Rhythmus, Reim, wie psc_199.025
wenig wirkt es! Man braucht nur einmal Goethes "Füllest psc_199.026
wieder Busch und Thal" im Originaltext mit Düntzers Prosaauflösung psc_199.027
zu vergleichen.

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Stimmung schon vorbereitet ist. Dagegen ein lyrisches Gedicht psc_199.002
muß gleich mitten in die Sache führen; ähnlich ists psc_199.003
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wird das Publicum müde. Als Einleitung ist höchstens ein psc_199.005
Aufrütteln des Publicums gestattet. Abraham a Sta. Clara psc_199.006
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allerlei Nasen!“

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  Dramatische, epische Eingänge müssen erfahrungsmäßig psc_199.009
stark wirkende Elemente bringen, z. B. Sprichwörter, geflügelte psc_199.010
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wenn die ersten Worte jemand in den Mund gelegt werden. psc_199.012
So macht es ein gewandter Autor, der sein Publicum wohl psc_199.013
kannte, der Verfasser der „Asiatischen Banise,“ indem er mit psc_199.014
einem fürchterlichen Fluch eröffnet.

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  Vgl. Kap. 5, III „Composition“.

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C. Die ästhetischen Hilfen.

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  Fechner 1, 50 f. Jnhalt und Form z. B. wirken in psc_199.018
der Poesie als Hilfen, d. h. sie unterstützen sich gegenseitig, psc_199.019
und die Summe beider wird bei ihrem Zusammenwirken weit psc_199.020
übertroffen. Fechner exemplificirt folgendermaßen: Hören wir psc_199.021
ein Gedicht in fremder Sprache, die wir nicht verstehen, so kann psc_199.022
es durch Klang und Rhythmus wohlgefällig wirken; aber wie psc_199.023
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in Prosa dagegen, ohne Versmaß, Rhythmus, Reim, wie psc_199.025
wenig wirkt es! Man braucht nur einmal Goethes „Füllest psc_199.026
wieder Busch und Thal“ im Originaltext mit Düntzers Prosaauflösung psc_199.027
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  Das Zusammenwirken solcher sich unterstützender Elemente

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/215>, abgerufen am 25.04.2024.