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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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des Gefallens erleichtert das Übersteigen der ästhetischen psc_200.002
Schwelle; jedes für sich allein wäre vielleicht zu schwach, doch im psc_200.003
Zusammenwirken werden sie stark, und die Steigerung, die so psc_200.004
entsteht, ist sogar unverhältnißmäßig groß. Denn Rhythmus psc_200.005
und Reim für sich ist ein mäßiges Vergnügen; Prosainhalt psc_200.006
eines Gedichts gleichfalls (hierüber Manches in meinen "Anfängen psc_200.007
des Minnesangs", Deutsche Studien II. 1874).

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D. Die Associationen.

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Fechner 1, 86 f. gründet auf den Unterschied zwischen psc_200.010
directen und associirten Eindrücken das "ästhetische Associationsprincip". psc_200.011
Seine Erörterungen umfassen die einfachste und psc_200.012
sicherste Sache von der Welt, und dennoch wurde dies anfangs psc_200.013
als paradox bestaunt und angezweifelt. Es hängt so zu psc_200.014
sagen die halbe Aesthetik daran, sagt Fechner. Jn der That psc_200.015
ist unzweifelhaft: wenn wir uns an der lebendigen Orange psc_200.016
freuen, so geschieht das nicht bloß an dem, was wir sehen psc_200.017
und fühlen und riechen, sondern es geschieht auch, weil wir psc_200.018
an das denken, was wir sonst davon wissen: Geschmack, psc_200.019
Baum, Landschaft, Jtalien. "Wenn ich Pfefferkuchen esse, psc_200.020
so esse ich Weihnachten", sagte Bogumil Goltz.

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Fechners Erläuterungen des Princips beziehen sich alle psc_200.022
auf bildende Kunst, Landschaft, kurz auf Sichtbares, wie psc_200.023
denn die Aesthetiker meist von diesem oder von Natureingängen psc_200.024
ausgehen. Von der Poesie redet er fast gar nicht; psc_200.025
aber auch für sie ist das Princip selbstverständlich, schon aus psc_200.026
der Natur der Sprache.

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Da ist zunächst das Wort. Wohl besteht die Gewalt psc_200.028
desselben in den Vorstellungen, die mit ihm associirt sind.

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Schwelle; jedes für sich allein wäre vielleicht zu schwach, doch im psc_200.003
Zusammenwirken werden sie stark, und die Steigerung, die so psc_200.004
entsteht, ist sogar unverhältnißmäßig groß. Denn Rhythmus psc_200.005
und Reim für sich ist ein mäßiges Vergnügen; Prosainhalt psc_200.006
eines Gedichts gleichfalls (hierüber Manches in meinen „Anfängen psc_200.007
des Minnesangs“, Deutsche Studien II. 1874).

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D. Die Associationen.

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  Fechner 1, 86 f. gründet auf den Unterschied zwischen psc_200.010
directen und associirten Eindrücken das „ästhetische Associationsprincip“. psc_200.011
Seine Erörterungen umfassen die einfachste und psc_200.012
sicherste Sache von der Welt, und dennoch wurde dies anfangs psc_200.013
als paradox bestaunt und angezweifelt. Es hängt so zu psc_200.014
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und fühlen und riechen, sondern es geschieht auch, weil wir psc_200.018
an das denken, was wir sonst davon wissen: Geschmack, psc_200.019
Baum, Landschaft, Jtalien. „Wenn ich Pfefferkuchen esse, psc_200.020
so esse ich Weihnachten“, sagte Bogumil Goltz.

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  Fechners Erläuterungen des Princips beziehen sich alle psc_200.022
auf bildende Kunst, Landschaft, kurz auf Sichtbares, wie psc_200.023
denn die Aesthetiker meist von diesem oder von Natureingängen psc_200.024
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/216>, abgerufen am 24.04.2024.