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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas -- nämlich psc_224.002
das auffallende Verfehlen dessen, der sich erhaben machen psc_224.003
will, der sich bläht: so oft bei Victor Hugo.

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Die komische Kraft witziger Bemerkungen besteht oft psc_224.005
darin, daß der Zuhörer zu einer bestimmten Erwartung fürs psc_224.006
Folgende verführt, dann aber plötzlich und auffallend enttäuscht psc_224.007
wird -- über das auffallende Verfehlen, das in seiner psc_224.008
eigenen Erwartung lag, lacht er, wenn er sich nicht ärgert; psc_224.009
oder es lacht der Dritte, der Zeuge war.

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Aber es gehören doch nicht alle Motive unter diesen Gesichtspunct, psc_224.011
das auffallende Verfehlen eines Ziels -- ein psc_224.012
Merkmal, das ich sonst noch nicht gefunden habe.

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Anders ist z. B. das Lachen über einen guten Witz, über psc_224.014
eine geistreiche Bemerkung, wo zwei an sich disparate Dinge psc_224.015
zusammengebracht werden: es scheint mir hier Freude an dem psc_224.016
fremden Scharfsinn und an dem eigenen Verständniß des psc_224.017
fremden Gedankens vorzuliegen.

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Eine reiche Beispielsammlung komischer Dinge in Carrieres psc_224.019
Aesthetik 13, 198 f. Aber wie die meisten Aesthetiker psc_224.020
geht er über die Empirie hinweg und bringt nur, was er psc_224.021
selbst komisch findet. Ein Aufsatz wie der von Weinhold psc_224.022
"Über das Komische im altdeutschen Schauspiel" (Gosches Jahrbuch psc_224.023
für Litteraturgeschichte 1, 1 f.) schlägt durch die psc_224.024
Sammlung des Materials ganze Aesthetiken auf einmal in psc_224.025
die Flucht.

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Es ließen sich nun verschiedene Mischungen des Ernsten psc_224.027
und Komischen denken, und für solche Mischung, ja die psc_224.028
Mischung des Rührenden und Lächerlichen ist der etwas fatale

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  Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas — nämlich psc_224.002
das auffallende Verfehlen dessen, der sich erhaben machen psc_224.003
will, der sich bläht: so oft bei Victor Hugo.

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  Die komische Kraft witziger Bemerkungen besteht oft psc_224.005
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Folgende verführt, dann aber plötzlich und auffallend enttäuscht psc_224.007
wird — über das auffallende Verfehlen, das in seiner psc_224.008
eigenen Erwartung lag, lacht er, wenn er sich nicht ärgert; psc_224.009
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  Aber es gehören doch nicht alle Motive unter diesen Gesichtspunct, psc_224.011
das auffallende Verfehlen eines Ziels — ein psc_224.012
Merkmal, das ich sonst noch nicht gefunden habe.

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  Anders ist z. B. das Lachen über einen guten Witz, über psc_224.014
eine geistreiche Bemerkung, wo zwei an sich disparate Dinge psc_224.015
zusammengebracht werden: es scheint mir hier Freude an dem psc_224.016
fremden Scharfsinn und an dem eigenen Verständniß des psc_224.017
fremden Gedankens vorzuliegen.

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  Eine reiche Beispielsammlung komischer Dinge in Carrieres psc_224.019
Aesthetik 1³, 198 f. Aber wie die meisten Aesthetiker psc_224.020
geht er über die Empirie hinweg und bringt nur, was er psc_224.021
selbst komisch findet. Ein Aufsatz wie der von Weinhold psc_224.022
„Über das Komische im altdeutschen Schauspiel“ (Gosches Jahrbuch psc_224.023
für Litteraturgeschichte 1, 1 f.) schlägt durch die psc_224.024
Sammlung des Materials ganze Aesthetiken auf einmal in psc_224.025
die Flucht.

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  Es ließen sich nun verschiedene Mischungen des Ernsten psc_224.027
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/240>, abgerufen am 25.04.2024.