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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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ein gemeinsames Gebiet haben. Dieses Bewußtsein psc_051.002
wohnt in seiner Untersuchung peri suntheseos onomaton, psc_051.003
"von der Zusammenstellung der Worte" -- über den äußern psc_051.004
Reiz der Rede, wie er eben durch die Zusammenstellung erreicht psc_051.005
wird. Er lehrt dabei zu achten auf das Melodiöse, psc_051.006
das Eurhythmische, die Abwechslung und die Übereinstimmung psc_051.007
der Darstellung mit ihrem Gegenstande: "einer anderen psc_051.008
Zusammenstellung der Worte bedient sich der Zornige, einer psc_051.009
anderen der Betrübte, der Furchtsame, der Freudige" u. s. w. psc_051.010
Er sondert alle Schriftsteller in drei Klassen (deren Scheidung psc_051.011
jedoch schon älter ist): 1. bei denen das Herbe und psc_051.012
Strenge; 2. bei denen das Zierliche und Blühende; 3. bei psc_051.013
denen die Mitte zwischen beiden Extremen der vorherrschende psc_051.014
Charakter der Darstellung ist ... vgl. Ed. Müller 2, 231 f. psc_051.015
Hierin war schon Theophrast sein Vorgänger; Hermogenes im psc_051.016
2. Jahrhundert n. Chr. hat dann zehn verschiedene Stilarten.

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So hat die antike Rhetorik manche directe Beiträge zur psc_051.018
Poetik geliefert; vor allem hat sie aber in der Strenge der psc_051.019
Analyse ein Vorbild für die Art gegeben, wie man ein Kunstwerk psc_051.020
behandeln soll. Wie vieles für die Poetik direct zu psc_051.021
verwerthen sei, erkannte schon die Renaissance. Die Zusammenfassung psc_051.022
der Poetik mit der Rhetorik und der Metrik war psc_051.023
den Theoretikern der Renaissance etwas ganz natürliches. psc_051.024
Das Hauptlehrbuch der Poetik schrieb Julius Cäsar Scaliger, psc_051.025
ein posthumes Werk, das 1561 erschien. Es liegt all psc_051.026
den zahlreichen Poetiken der Folgezeit zu Grunde, auch den psc_051.027
deutschen Poetiken, z. B. der von Opitz 1624; zwar ist für psc_051.028
Opitz auch die Poetik des Ronsard Vorbild, aber dieser fußt

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ein gemeinsames Gebiet haben. Dieses Bewußtsein psc_051.002
wohnt in seiner Untersuchung περὶ συνθέσεως ὀνομάτων, psc_051.003
„von der Zusammenstellung der Worte“ — über den äußern psc_051.004
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Zusammenstellung der Worte bedient sich der Zornige, einer psc_051.009
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Er sondert alle Schriftsteller in drei Klassen (deren Scheidung psc_051.011
jedoch schon älter ist): 1. bei denen das Herbe und psc_051.012
Strenge; 2. bei denen das Zierliche und Blühende; 3. bei psc_051.013
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Hierin war schon Theophrast sein Vorgänger; Hermogenes im psc_051.016
2. Jahrhundert n. Chr. hat dann zehn verschiedene Stilarten.

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  So hat die antike Rhetorik manche directe Beiträge zur psc_051.018
Poetik geliefert; vor allem hat sie aber in der Strenge der psc_051.019
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verwerthen sei, erkannte schon die Renaissance. Die Zusammenfassung psc_051.022
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/67>, abgerufen am 29.03.2024.