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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746.

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Theresiade

Den ihre Tugend bracht. Die Anzahl war so groß,
10Daß die Weitläuftigkeit der Reden mich verdroß.

So mehr als ich den Schlaf so sehr im Auge fühlte;
Daß ich den ganzen Saal vor eingebildet hielte.
Thalia nahm es war; so sagt' ich: es ist spät,
Wer weiß, wann dieser Streit und Rath zum Ende geht;
15Man wird vielleicht den Schluß erst morgen hören müssen.
"Nein", sprach sie, nur getrost! sie werden bald beschliessen

"Hab noch Geduld und sieh dort jene Tugend an,
"Vielleicht ists ihr Verdienst, der alles enden kann.

Ein nicht unfreundliches, holdsäliges Gesichte
20Stund auf, als ob es sich schon zu dem Vorzug richte.

So sagt' ich: sey es dann! noch die vernehmen wir!
Jch kehrte mich doch um und schliche zu der Thür,
Thalia nahms in acht, verfolgte mich und sprache:
"Jsts möglich, daß dein Geist nicht eine Stunde wache?"
25Sie zürnte: "sag! was nüzt die Lehr, die ich dir gab,

"Als ich dich über Berg und Thal geführet hab?
"Die Reise wär umsonst, und Müh und Zeit verlohren:
"Komm! bleib! du bist von mir zum Reiß-Gespan erkohren.
"Es reuet dich gewiß, wann du nicht auch den Schluß
30"Vernommen haben wirst, der bald erfolgen muß.

"Jch wiche dem Verweis, indem ich selber spührte,
"Daß es verächtlich wär, wann mich der Schlaf verführte.
Sieh

Thereſiade

Den ihre Tugend bracht. Die Anzahl war ſo groß,
10Daß die Weitlaͤuftigkeit der Reden mich verdroß.

So mehr als ich den Schlaf ſo ſehr im Auge fuͤhlte;
Daß ich den ganzen Saal vor eingebildet hielte.
Thalia nahm es war; ſo ſagt’ ich: es iſt ſpaͤt,
Wer weiß, wann dieſer Streit und Rath zum Ende geht;
15Man wird vielleicht den Schluß erſt morgen hoͤren muͤſſen.
„Nein„, ſprach ſie, nur getroſt! ſie werden bald beſchlieſſen

„Hab noch Geduld und ſieh dort jene Tugend an,
„Vielleicht iſts ihr Verdienſt, der alles enden kann.

Ein nicht unfreundliches, holdſaͤliges Geſichte
20Stund auf, als ob es ſich ſchon zu dem Vorzug richte.

So ſagt’ ich: ſey es dann! noch die vernehmen wir!
Jch kehrte mich doch um und ſchliche zu der Thuͤr,
Thalia nahms in acht, verfolgte mich und ſprache:
„Jſts moͤglich, daß dein Geiſt nicht eine Stunde wache?„
25Sie zuͤrnte: „ſag! was nuͤzt die Lehr, die ich dir gab,

„Als ich dich uͤber Berg und Thal gefuͤhret hab?
„Die Reiſe waͤr umſonſt, und Muͤh und Zeit verlohren:
„Komm! bleib! du biſt von mir zum Reiß-Geſpan erkohren.
„Es reuet dich gewiß, wann du nicht auch den Schluß
30„Vernommen haben wirſt, der bald erfolgen muß.

„Jch wiche dem Verweis, indem ich ſelber ſpuͤhrte,
„Daß es veraͤchtlich waͤr, wann mich der Schlaf verfuͤhrte.
Sieh
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[0149] Thereſiade Den ihre Tugend bracht. Die Anzahl war ſo groß, Daß die Weitlaͤuftigkeit der Reden mich verdroß. So mehr als ich den Schlaf ſo ſehr im Auge fuͤhlte; Daß ich den ganzen Saal vor eingebildet hielte. Thalia nahm es war; ſo ſagt’ ich: es iſt ſpaͤt, Wer weiß, wann dieſer Streit und Rath zum Ende geht; Man wird vielleicht den Schluß erſt morgen hoͤren muͤſſen. „Nein„, ſprach ſie, nur getroſt! ſie werden bald beſchlieſſen „Hab noch Geduld und ſieh dort jene Tugend an, „Vielleicht iſts ihr Verdienſt, der alles enden kann. Ein nicht unfreundliches, holdſaͤliges Geſichte Stund auf, als ob es ſich ſchon zu dem Vorzug richte. So ſagt’ ich: ſey es dann! noch die vernehmen wir! Jch kehrte mich doch um und ſchliche zu der Thuͤr, Thalia nahms in acht, verfolgte mich und ſprache: „Jſts moͤglich, daß dein Geiſt nicht eine Stunde wache?„ Sie zuͤrnte: „ſag! was nuͤzt die Lehr, die ich dir gab, „Als ich dich uͤber Berg und Thal gefuͤhret hab? „Die Reiſe waͤr umſonſt, und Muͤh und Zeit verlohren: „Komm! bleib! du biſt von mir zum Reiß-Geſpan erkohren. „Es reuet dich gewiß, wann du nicht auch den Schluß „Vernommen haben wirſt, der bald erfolgen muß. „Jch wiche dem Verweis, indem ich ſelber ſpuͤhrte, „Daß es veraͤchtlich waͤr, wann mich der Schlaf verfuͤhrte. Sieh

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade01_1746/149>, abgerufen am 29.03.2024.