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Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. [1. Teil; 1. bis 9. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 1. Stück. Tübingen, 1795, S. 7–48.

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Siebenter Brief.

Sollte diese Wirkung vielleicht von dem Staat zu erwarten seyn? Das ist nicht möglich, denn der Staat, wie er jetzt beschaffen ist, hat das Uebel veranlaßt, und der Staat, wie ihn die Vernunft in der Idee sich aufgiebt, anstatt diese bessere Menschheit begründen zu können, müßte selbst erst darauf gegründet werden. Und so hätten mich denn die bisherigen Untersuchungen wieder auf den Punkt zurückgeführt, von dem sie mich eine Zeitlang entfernten. Das jetzige Zeitalter, weit entfernt uns diejenige Form der Menschheit aufzuweisen, welche als nothwendige Bedingung einer moralischen Staatsverbesserung erkannt worden ist, zeigt uns vielmehr das direkte Gegentheil davon. Sind also die von mir aufgestellten Grundsätze richtig, und bestätigt die Erfahrung mein Gemälde der Gegenwart, so muß man jeden Versuch einer solchen Staatsveränderung so lange für unzeitig und jede darauf gegründete Hofnung solange für schimärisch erklären, biß die Trennung in dem innern Menschen wieder aufgehoben, und seine Natur vollständig genug entwickelt ist, um selbst die Künstlerinn zu seyn, und der politischen Schöpfung der Vernunft ihre Realität zu verbürgen.

Die Natur zeichnet uns in ihrer physischen Schöpfung den Weg vor, den man in der moralischen zu wandeln hat. Nicht eher, als bis der Kampf elementarischer Kräfte in den niedrigern Organisationen besänftigt ist, erhebt sie sich zu der edeln Bildung des physischen Menschen. Eben so muß der Elementenstreit in dem ethi-

Siebenter Brief.

Sollte diese Wirkung vielleicht von dem Staat zu erwarten seyn? Das ist nicht möglich, denn der Staat, wie er jetzt beschaffen ist, hat das Uebel veranlaßt, und der Staat, wie ihn die Vernunft in der Idee sich aufgiebt, anstatt diese bessere Menschheit begründen zu können, müßte selbst erst darauf gegründet werden. Und so hätten mich denn die bisherigen Untersuchungen wieder auf den Punkt zurückgeführt, von dem sie mich eine Zeitlang entfernten. Das jetzige Zeitalter, weit entfernt uns diejenige Form der Menschheit aufzuweisen, welche als nothwendige Bedingung einer moralischen Staatsverbesserung erkannt worden ist, zeigt uns vielmehr das direkte Gegentheil davon. Sind also die von mir aufgestellten Grundsätze richtig, und bestätigt die Erfahrung mein Gemälde der Gegenwart, so muß man jeden Versuch einer solchen Staatsveränderung so lange für unzeitig und jede darauf gegründete Hofnung solange für schimärisch erklären, biß die Trennung in dem innern Menschen wieder aufgehoben, und seine Natur vollständig genug entwickelt ist, um selbst die Künstlerinn zu seyn, und der politischen Schöpfung der Vernunft ihre Realität zu verbürgen.

Die Natur zeichnet uns in ihrer physischen Schöpfung den Weg vor, den man in der moralischen zu wandeln hat. Nicht eher, als bis der Kampf elementarischer Kräfte in den niedrigern Organisationen besänftigt ist, erhebt sie sich zu der edeln Bildung des physischen Menschen. Eben so muß der Elementenstreit in dem ethi-

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[36/0030] Siebenter Brief. Sollte diese Wirkung vielleicht von dem Staat zu erwarten seyn? Das ist nicht möglich, denn der Staat, wie er jetzt beschaffen ist, hat das Uebel veranlaßt, und der Staat, wie ihn die Vernunft in der Idee sich aufgiebt, anstatt diese bessere Menschheit begründen zu können, müßte selbst erst darauf gegründet werden. Und so hätten mich denn die bisherigen Untersuchungen wieder auf den Punkt zurückgeführt, von dem sie mich eine Zeitlang entfernten. Das jetzige Zeitalter, weit entfernt uns diejenige Form der Menschheit aufzuweisen, welche als nothwendige Bedingung einer moralischen Staatsverbesserung erkannt worden ist, zeigt uns vielmehr das direkte Gegentheil davon. Sind also die von mir aufgestellten Grundsätze richtig, und bestätigt die Erfahrung mein Gemälde der Gegenwart, so muß man jeden Versuch einer solchen Staatsveränderung so lange für unzeitig und jede darauf gegründete Hofnung solange für schimärisch erklären, biß die Trennung in dem innern Menschen wieder aufgehoben, und seine Natur vollständig genug entwickelt ist, um selbst die Künstlerinn zu seyn, und der politischen Schöpfung der Vernunft ihre Realität zu verbürgen. Die Natur zeichnet uns in ihrer physischen Schöpfung den Weg vor, den man in der moralischen zu wandeln hat. Nicht eher, als bis der Kampf elementarischer Kräfte in den niedrigern Organisationen besänftigt ist, erhebt sie sich zu der edeln Bildung des physischen Menschen. Eben so muß der Elementenstreit in dem ethi-

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. [1. Teil; 1. bis 9. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 1. Stück. Tübingen, 1795, S. 7–48, hier S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung01_1795/30>, abgerufen am 28.03.2024.