Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.auf Burgundische Geschichten aus dem fünften Jahrhundert; Johannes Müller (in der Beurtheilung der Müllerschen Ausgabe in den Götting. Anz. vom J. 1783) glaubt, die Grundlage der Fabel sey schon zu Karls des Großen Zeiten vorhanden gewesen. Wirklich deutet die herbe Wildheit dieser kolossalischen Dichtungen auf hohes Alterthum: das eigentlich Ritterliche kann ihnen in der Behandlung aus dem Zeitalter der Minnesinger, die wir besitzen, erst angebildet seyn. Daß der ältere Text durch diese verdrängt wurde und gänzlich verschwand, darf uns nicht wundern. Scheint es doch dem Heldenbuch, dessen Sagen zum Theil mit denen im Liede der Nibelungen in Verbindung stehn, bey der Modernisirung zum Behuf seiner Erscheinung im Druck eben so ergangen zu seyn. Doch es ist hier nicht der Ort, obige Hypothese weiter auszuführen. Die Geschichte unsrer Sprache und Poesie bedarf noch von so vielen Seiten aufgehellt zu werden, daß sich an die Stelle jener Preisfrage leicht andre setzen ließen, von denen mehr Erfolg zu hoffen wäre. Seit in dem vorhergehenden Aufsatze über Zeichnungen zu Gedichten die den Hogarth betreffende Stelle geschrieben ward, hat Deutschland an dem Erklärer seiner Kupfer einen der sinnreichsten Schriftsteller verloren. Er hatte grade eine schalkhafte Note mitten durchgeschnitten, als die Parze seinen Lebensfaden entzweyschnitt, und man kann gewiß nicht sagen, daß er seinen Witz und seine liebenswürdige Laune überlebt auf Burgundische Geschichten aus dem fuͤnften Jahrhundert; Johannes Muͤller (in der Beurtheilung der Muͤllerschen Ausgabe in den Goͤtting. Anz. vom J. 1783) glaubt, die Grundlage der Fabel sey schon zu Karls des Großen Zeiten vorhanden gewesen. Wirklich deutet die herbe Wildheit dieser kolossalischen Dichtungen auf hohes Alterthum: das eigentlich Ritterliche kann ihnen in der Behandlung aus dem Zeitalter der Minnesinger, die wir besitzen, erst angebildet seyn. Daß der aͤltere Text durch diese verdraͤngt wurde und gaͤnzlich verschwand, darf uns nicht wundern. Scheint es doch dem Heldenbuch, dessen Sagen zum Theil mit denen im Liede der Nibelungen in Verbindung stehn, bey der Modernisirung zum Behuf seiner Erscheinung im Druck eben so ergangen zu seyn. Doch es ist hier nicht der Ort, obige Hypothese weiter auszufuͤhren. Die Geschichte unsrer Sprache und Poesie bedarf noch von so vielen Seiten aufgehellt zu werden, daß sich an die Stelle jener Preisfrage leicht andre setzen ließen, von denen mehr Erfolg zu hoffen waͤre. Seit in dem vorhergehenden Aufsatze uͤber Zeichnungen zu Gedichten die den Hogarth betreffende Stelle geschrieben ward, hat Deutschland an dem Erklaͤrer seiner Kupfer einen der sinnreichsten Schriftsteller verloren. Er hatte grade eine schalkhafte Note mitten durchgeschnitten, als die Parze seinen Lebensfaden entzweyschnitt, und man kann gewiß nicht sagen, daß er seinen Witz und seine liebenswuͤrdige Laune uͤberlebt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0319" n="309"/> auf Burgundische Geschichten aus dem fuͤnften Jahrhundert; Johannes Muͤller (in der Beurtheilung der Muͤllerschen Ausgabe in den Goͤtting. Anz. vom J. 1783) glaubt, die Grundlage der Fabel sey schon zu Karls des Großen Zeiten vorhanden gewesen. Wirklich deutet die herbe Wildheit dieser kolossalischen Dichtungen auf hohes Alterthum: das eigentlich Ritterliche kann ihnen in der Behandlung aus dem Zeitalter der Minnesinger, die wir besitzen, erst angebildet seyn. Daß der aͤltere Text durch diese verdraͤngt wurde und gaͤnzlich verschwand, darf uns nicht wundern. Scheint es doch dem Heldenbuch, dessen Sagen zum Theil mit denen im Liede der Nibelungen in Verbindung stehn, bey der Modernisirung zum Behuf seiner Erscheinung im Druck eben so ergangen zu seyn. Doch es ist hier nicht der Ort, obige Hypothese weiter auszufuͤhren. Die Geschichte unsrer Sprache und Poesie bedarf noch von so vielen Seiten aufgehellt zu werden, daß sich an die Stelle jener Preisfrage leicht andre setzen ließen, von denen mehr Erfolg zu hoffen waͤre.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Seit in dem vorhergehenden Aufsatze <hi rendition="#g">uͤber Zeichnungen zu Gedichten</hi> die den Hogarth betreffende Stelle geschrieben ward, hat Deutschland an dem Erklaͤrer seiner Kupfer einen der sinnreichsten Schriftsteller verloren. Er hatte grade eine schalkhafte Note mitten durchgeschnitten, als die Parze seinen Lebensfaden entzweyschnitt, und man kann gewiß nicht sagen, daß er seinen Witz und seine liebenswuͤrdige Laune uͤberlebt </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [309/0319]
auf Burgundische Geschichten aus dem fuͤnften Jahrhundert; Johannes Muͤller (in der Beurtheilung der Muͤllerschen Ausgabe in den Goͤtting. Anz. vom J. 1783) glaubt, die Grundlage der Fabel sey schon zu Karls des Großen Zeiten vorhanden gewesen. Wirklich deutet die herbe Wildheit dieser kolossalischen Dichtungen auf hohes Alterthum: das eigentlich Ritterliche kann ihnen in der Behandlung aus dem Zeitalter der Minnesinger, die wir besitzen, erst angebildet seyn. Daß der aͤltere Text durch diese verdraͤngt wurde und gaͤnzlich verschwand, darf uns nicht wundern. Scheint es doch dem Heldenbuch, dessen Sagen zum Theil mit denen im Liede der Nibelungen in Verbindung stehn, bey der Modernisirung zum Behuf seiner Erscheinung im Druck eben so ergangen zu seyn. Doch es ist hier nicht der Ort, obige Hypothese weiter auszufuͤhren. Die Geschichte unsrer Sprache und Poesie bedarf noch von so vielen Seiten aufgehellt zu werden, daß sich an die Stelle jener Preisfrage leicht andre setzen ließen, von denen mehr Erfolg zu hoffen waͤre.
Seit in dem vorhergehenden Aufsatze uͤber Zeichnungen zu Gedichten die den Hogarth betreffende Stelle geschrieben ward, hat Deutschland an dem Erklaͤrer seiner Kupfer einen der sinnreichsten Schriftsteller verloren. Er hatte grade eine schalkhafte Note mitten durchgeschnitten, als die Parze seinen Lebensfaden entzweyschnitt, und man kann gewiß nicht sagen, daß er seinen Witz und seine liebenswuͤrdige Laune uͤberlebt
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/319>, abgerufen am 30.03.2023. |