Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Kapitel.
Vorläufige Bemerkungen
.

Es ist eine fast allgemein angenommene Mei-
nung, daß der Mensch von einem Zustand ganz
thierischer Dumpfheit angefangen, durch Noth
von einer Anstrengung zur andern weiter getrie-
ben, unter mancherlei äussern Veranlassungen
und Anregungen, sich erst ganz allmählig zu eini-
ger Vernunft empor gearbeitet habe. Wenn man
aber auch keine Rücksicht darauf nimmt, wie sehr
diese Ansicht aller gesunden Philosophie widerstrei-
tet, so muß man doch gestehen, daß sie durch
die älteste Geschichte durchaus nicht bestätigt, son-
dern vielmehr vor derselben als eine willkührlich
erdichtete Meinung erfunden wird, und ver-
schwindet. Auch ohne die Mosaische Urkunde,


Erſtes Kapitel.
Vorlaͤufige Bemerkungen
.

Es iſt eine faſt allgemein angenommene Mei-
nung, daß der Menſch von einem Zuſtand ganz
thieriſcher Dumpfheit angefangen, durch Noth
von einer Anſtrengung zur andern weiter getrie-
ben, unter mancherlei aͤuſſern Veranlaſſungen
und Anregungen, ſich erſt ganz allmaͤhlig zu eini-
ger Vernunft empor gearbeitet habe. Wenn man
aber auch keine Ruͤckſicht darauf nimmt, wie ſehr
dieſe Anſicht aller geſunden Philoſophie widerſtrei-
tet, ſo muß man doch geſtehen, daß ſie durch
die aͤlteſte Geſchichte durchaus nicht beſtaͤtigt, ſon-
dern vielmehr vor derſelben als eine willkuͤhrlich
erdichtete Meinung erfunden wird, und ver-
ſchwindet. Auch ohne die Moſaiſche Urkunde,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0108" n="89"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Kapitel.<lb/>
Vorla&#x0364;ufige Bemerkungen</hi>.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>s i&#x017F;t eine fa&#x017F;t allgemein angenommene Mei-<lb/>
nung, daß der Men&#x017F;ch von einem Zu&#x017F;tand ganz<lb/>
thieri&#x017F;cher Dumpfheit angefangen, durch Noth<lb/>
von einer An&#x017F;trengung zur andern weiter getrie-<lb/>
ben, unter mancherlei a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern Veranla&#x017F;&#x017F;ungen<lb/>
und Anregungen, &#x017F;ich er&#x017F;t ganz allma&#x0364;hlig zu eini-<lb/>
ger Vernunft empor gearbeitet habe. Wenn man<lb/>
aber auch keine Ru&#x0364;ck&#x017F;icht darauf nimmt, wie &#x017F;ehr<lb/>
die&#x017F;e An&#x017F;icht aller ge&#x017F;unden Philo&#x017F;ophie wider&#x017F;trei-<lb/>
tet, &#x017F;o muß man doch ge&#x017F;tehen, daß &#x017F;ie durch<lb/>
die a&#x0364;lte&#x017F;te Ge&#x017F;chichte durchaus nicht be&#x017F;ta&#x0364;tigt, &#x017F;on-<lb/>
dern vielmehr vor der&#x017F;elben als eine willku&#x0364;hrlich<lb/>
erdichtete Meinung erfunden wird, und ver-<lb/>
&#x017F;chwindet. Auch ohne die Mo&#x017F;ai&#x017F;che Urkunde,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0108] Erſtes Kapitel. Vorlaͤufige Bemerkungen. Es iſt eine faſt allgemein angenommene Mei- nung, daß der Menſch von einem Zuſtand ganz thieriſcher Dumpfheit angefangen, durch Noth von einer Anſtrengung zur andern weiter getrie- ben, unter mancherlei aͤuſſern Veranlaſſungen und Anregungen, ſich erſt ganz allmaͤhlig zu eini- ger Vernunft empor gearbeitet habe. Wenn man aber auch keine Ruͤckſicht darauf nimmt, wie ſehr dieſe Anſicht aller geſunden Philoſophie widerſtrei- tet, ſo muß man doch geſtehen, daß ſie durch die aͤlteſte Geſchichte durchaus nicht beſtaͤtigt, ſon- dern vielmehr vor derſelben als eine willkuͤhrlich erdichtete Meinung erfunden wird, und ver- ſchwindet. Auch ohne die Moſaiſche Urkunde,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/108
Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/108>, abgerufen am 19.04.2024.