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Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863.

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vorgiengen. Möglicher Weise können es auch mehrere Spra-
chen gewesen sein, von denen aber nur zwei am Leben
blieben und sich weiter entwickelten; dasselbe gilt auch
von allen späteren Theilungen. Jede dieser beiden Sprachen
unterlag dem Differenzierungsprozesse noch zu wiederholten
Malen. Der eine Zweig, den wir nach dem, was später
aus ihm ward, den slawodeutschen nennen wollen, theilte
sich abermals durch allmähliche Differenzierung (durch die
fortgesetzte Neigung zur Divergenz des Charakters, wie es
bei Darwin heisst) in deutsch und slawolettisch, von denen
das erstere die Stammmutter aller deutschen (germanischen)
Sprachen und ihrer Mundarten, das letztere die der sla-
wischen und litauischen (baltischen, lettischen) ward. Die
andere Sprache, die sich durch Differenzierung aus der
indogermanischen Ursprache heraus entwickelt hatte, das
ariograecoitalokeltische -- man verzeihe diese langathmige
Bezeichnung -- theilte sich später ebenfalls in zwei Spra-
chen, von denen die eine, die graecoitalokeltische, die Mut-
ter der griechischen, albanesischen und der Sprache ward,
aus welcher später keltisch und italisch hervorgiengen und
die wir deshalb die italokeltische nennen, die andere aber,
die arische1) Sprache, die nah verwandten Stammmütter der
indischen2) und der eranischen (persichen) Sprachfamilie er-

1) Sowohl die ältesten Inder als auch die ältesten Eraner (Perser)
nennen sich Arier, daher der Name für die gemeinsame Grundsprache
des Indischen und des Eranischen.
2) Die Grundsprache der indischen Sprachfamilie ist uns erhalten,
es ist die Sprache, in welcher die uralten religiösen Hymnen der Inder,
die Vedahymnen, abgefasst sind. Aus dieser Sprache entwickelten sich
einerseits die mittelindischen Sprachen die Prakritsprachen und wei-
terhin die neuindischen Sprachen und Mundarten (das Bengalische,
Mahrattische, Hindustanische und verwandte), anderseits eine Schrift-

vorgiengen. Möglicher Weise können es auch mehrere Spra-
chen gewesen sein, von denen aber nur zwei am Leben
blieben und sich weiter entwickelten; dasselbe gilt auch
von allen späteren Theilungen. Jede dieser beiden Sprachen
unterlag dem Differenzierungsprozesse noch zu wiederholten
Malen. Der eine Zweig, den wir nach dem, was später
aus ihm ward, den slawodeutschen nennen wollen, theilte
sich abermals durch allmähliche Differenzierung (durch die
fortgesetzte Neigung zur Divergenz des Charakters, wie es
bei Darwin heisst) in deutsch und slawolettisch, von denen
das erstere die Stammmutter aller deutschen (germanischen)
Sprachen und ihrer Mundarten, das letztere die der sla-
wischen und litauischen (baltischen, lettischen) ward. Die
andere Sprache, die sich durch Differenzierung aus der
indogermanischen Ursprache heraus entwickelt hatte, das
ariograecoitalokeltische — man verzeihe diese langathmige
Bezeichnung — theilte sich später ebenfalls in zwei Spra-
chen, von denen die eine, die graecoitalokeltische, die Mut-
ter der griechischen, albanesischen und der Sprache ward,
aus welcher später keltisch und italisch hervorgiengen und
die wir deshalb die italokeltische nennen, die andere aber,
die arische1) Sprache, die nah verwandten Stammmütter der
indischen2) und der eranischen (persichen) Sprachfamilie er-

1) Sowohl die ältesten Inder als auch die ältesten Eraner (Perser)
nennen sich Arier, daher der Name für die gemeinsame Grundsprache
des Indischen und des Eranischen.
2) Die Grundsprache der indischen Sprachfamilie ist uns erhalten,
es ist die Sprache, in welcher die uralten religiösen Hymnen der Inder,
die Vedahymnen, abgefasst sind. Aus dieser Sprache entwickelten sich
einerseits die mittelindischen Sprachen die Prakritsprachen und wei-
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[15/0015] vorgiengen. Möglicher Weise können es auch mehrere Spra- chen gewesen sein, von denen aber nur zwei am Leben blieben und sich weiter entwickelten; dasselbe gilt auch von allen späteren Theilungen. Jede dieser beiden Sprachen unterlag dem Differenzierungsprozesse noch zu wiederholten Malen. Der eine Zweig, den wir nach dem, was später aus ihm ward, den slawodeutschen nennen wollen, theilte sich abermals durch allmähliche Differenzierung (durch die fortgesetzte Neigung zur Divergenz des Charakters, wie es bei Darwin heisst) in deutsch und slawolettisch, von denen das erstere die Stammmutter aller deutschen (germanischen) Sprachen und ihrer Mundarten, das letztere die der sla- wischen und litauischen (baltischen, lettischen) ward. Die andere Sprache, die sich durch Differenzierung aus der indogermanischen Ursprache heraus entwickelt hatte, das ariograecoitalokeltische — man verzeihe diese langathmige Bezeichnung — theilte sich später ebenfalls in zwei Spra- chen, von denen die eine, die graecoitalokeltische, die Mut- ter der griechischen, albanesischen und der Sprache ward, aus welcher später keltisch und italisch hervorgiengen und die wir deshalb die italokeltische nennen, die andere aber, die arische 1) Sprache, die nah verwandten Stammmütter der indischen 2) und der eranischen (persichen) Sprachfamilie er- 1) Sowohl die ältesten Inder als auch die ältesten Eraner (Perser) nennen sich Arier, daher der Name für die gemeinsame Grundsprache des Indischen und des Eranischen. 2) Die Grundsprache der indischen Sprachfamilie ist uns erhalten, es ist die Sprache, in welcher die uralten religiösen Hymnen der Inder, die Vedahymnen, abgefasst sind. Aus dieser Sprache entwickelten sich einerseits die mittelindischen Sprachen die Prakritsprachen und wei- terhin die neuindischen Sprachen und Mundarten (das Bengalische, Mahrattische, Hindustanische und verwandte), anderseits eine Schrift-

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/15>, abgerufen am 19.04.2024.