Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Geographie der Pflanzen und Thiere auf die Erdoberfläche zeichnet
und selbst den Entwurf zu einer ethnographischen Karte für das Men-
schengeschlecht skitzirt. --

Und wenn wir diesen innern Zusammenhang durchblicken, wenn
wir erkennen, daß die alles Uebrige beherrschenden Grundzüge sich
vielleicht nirgends so scheinbar regellos, so abnorm zeigen, als in
unserm gebildeten Europa, während ein Theil der Tropengegenden
die einfachen Grundgesetze Jedem verständlich ausspricht, wenn wir
somit finden, daß das, was den Fortschritt in allen Disciplinen be-
dingt, die Erkenntniß der Naturgesetze, fast nur in fremden Regionen
möglich ist, so erklärt sich uns hier noch eine Erscheinung, die sonst
räthselhaft und unerklärlich in der Geschichte der Menschheit dastehen
würde, daß nämlich in jeder mit den Naturwissenschaften nur entfernt
zusammenhängenden Lehre, und zumal in jenen selbst, der Fortschritt
aufs Engste mit Erweiterungen unserer geographischen Kenntnisse
zusammenhängt, daß der Naturforscher, den doch beständig eine Natur
umgiebt, doch keinen höhern Genuß kennt, als Reisen, daß er oft
selbst mit ungerechter Verachtung dessen, was ihm seine Umgebung
bietet, nach exotischen Schätzen greift, daß dem Botaniker Treibhäuser,
Herbarien, dem Zoologen Thiergärten und Sammlungen zum unab-
weisbaren Bedürfniß geworden sind.

Wollte ich überall in gleicher Manier zeichnen, so durfte ich von
dem großen lebensvollen Gemälde nur eine flüchtige Skitze entwerfen,
möchte es mir dabei gelungen seyn, wenigstens die Hauptzüge mit
genügender Schärfe und Klarheit hervorgehoben zu haben. Auf jeden
Fall werde ich es mir gefallen lassen müssen, daß man auf die Frage:
"war's denn interessant?" achselzuckend antwortet: "Je nun, es
war von Nichts, als vom Wetter die Rede."


Geographie der Pflanzen und Thiere auf die Erdoberfläche zeichnet
und ſelbſt den Entwurf zu einer ethnographiſchen Karte für das Men-
ſchengeſchlecht ſkitzirt. —

Und wenn wir dieſen innern Zuſammenhang durchblicken, wenn
wir erkennen, daß die alles Uebrige beherrſchenden Grundzüge ſich
vielleicht nirgends ſo ſcheinbar regellos, ſo abnorm zeigen, als in
unſerm gebildeten Europa, während ein Theil der Tropengegenden
die einfachen Grundgeſetze Jedem verſtändlich ausſpricht, wenn wir
ſomit finden, daß das, was den Fortſchritt in allen Disciplinen be-
dingt, die Erkenntniß der Naturgeſetze, faſt nur in fremden Regionen
möglich iſt, ſo erklärt ſich uns hier noch eine Erſcheinung, die ſonſt
räthſelhaft und unerklärlich in der Geſchichte der Menſchheit daſtehen
würde, daß nämlich in jeder mit den Naturwiſſenſchaften nur entfernt
zuſammenhängenden Lehre, und zumal in jenen ſelbſt, der Fortſchritt
aufs Engſte mit Erweiterungen unſerer geographiſchen Kenntniſſe
zuſammenhängt, daß der Naturforſcher, den doch beſtändig eine Natur
umgiebt, doch keinen höhern Genuß kennt, als Reiſen, daß er oft
ſelbſt mit ungerechter Verachtung deſſen, was ihm ſeine Umgebung
bietet, nach exotiſchen Schätzen greift, daß dem Botaniker Treibhäuſer,
Herbarien, dem Zoologen Thiergärten und Sammlungen zum unab-
weisbaren Bedürfniß geworden ſind.

Wollte ich überall in gleicher Manier zeichnen, ſo durfte ich von
dem großen lebensvollen Gemälde nur eine flüchtige Skitze entwerfen,
möchte es mir dabei gelungen ſeyn, wenigſtens die Hauptzüge mit
genügender Schärfe und Klarheit hervorgehoben zu haben. Auf jeden
Fall werde ich es mir gefallen laſſen müſſen, daß man auf die Frage:
„war's denn intereſſant?“ achſelzuckend antwortet: „Je nun, es
war von Nichts, als vom Wetter die Rede.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0138" n="122"/>
Geographie der Pflanzen und Thiere auf die Erdoberfläche zeichnet<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;t den Entwurf zu einer ethnographi&#x017F;chen Karte für das Men-<lb/>
&#x017F;chenge&#x017F;chlecht &#x017F;kitzirt. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Und wenn wir die&#x017F;en innern Zu&#x017F;ammenhang durchblicken, wenn<lb/>
wir erkennen, daß die alles Uebrige beherr&#x017F;chenden Grundzüge &#x017F;ich<lb/>
vielleicht nirgends &#x017F;o &#x017F;cheinbar regellos, &#x017F;o abnorm zeigen, als in<lb/>
un&#x017F;erm gebildeten Europa, während ein Theil der Tropengegenden<lb/>
die einfachen Grundge&#x017F;etze Jedem ver&#x017F;tändlich aus&#x017F;pricht, wenn wir<lb/>
&#x017F;omit finden, daß das, was den Fort&#x017F;chritt in allen Disciplinen be-<lb/>
dingt, die Erkenntniß der Naturge&#x017F;etze, fa&#x017F;t nur in fremden Regionen<lb/>
möglich i&#x017F;t, &#x017F;o erklärt &#x017F;ich uns hier noch eine Er&#x017F;cheinung, die &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
räth&#x017F;elhaft und unerklärlich in der Ge&#x017F;chichte der Men&#x017F;chheit da&#x017F;tehen<lb/>
würde, daß nämlich in jeder mit den Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften nur entfernt<lb/>
zu&#x017F;ammenhängenden Lehre, und zumal in jenen &#x017F;elb&#x017F;t, der Fort&#x017F;chritt<lb/>
aufs Eng&#x017F;te mit Erweiterungen un&#x017F;erer geographi&#x017F;chen Kenntni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zu&#x017F;ammenhängt, daß der Naturfor&#x017F;cher, den doch be&#x017F;tändig eine Natur<lb/>
umgiebt, doch keinen höhern Genuß kennt, als Rei&#x017F;en, daß er oft<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t mit ungerechter Verachtung de&#x017F;&#x017F;en, was ihm &#x017F;eine Umgebung<lb/>
bietet, nach exoti&#x017F;chen Schätzen greift, daß dem Botaniker Treibhäu&#x017F;er,<lb/>
Herbarien, dem Zoologen Thiergärten und Sammlungen zum unab-<lb/>
weisbaren Bedürfniß geworden &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Wollte ich überall in gleicher Manier zeichnen, &#x017F;o durfte ich von<lb/>
dem großen lebensvollen Gemälde nur eine flüchtige Skitze entwerfen,<lb/>
möchte es mir dabei gelungen &#x017F;eyn, wenig&#x017F;tens die Hauptzüge mit<lb/>
genügender Schärfe und Klarheit hervorgehoben zu haben. Auf jeden<lb/>
Fall werde ich es mir gefallen la&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en, daß man auf die Frage:<lb/>
&#x201E;war's denn intere&#x017F;&#x017F;ant?&#x201C; ach&#x017F;elzuckend antwortet: &#x201E;Je nun, es<lb/>
war von Nichts, als vom Wetter die Rede.&#x201C;</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0138] Geographie der Pflanzen und Thiere auf die Erdoberfläche zeichnet und ſelbſt den Entwurf zu einer ethnographiſchen Karte für das Men- ſchengeſchlecht ſkitzirt. — Und wenn wir dieſen innern Zuſammenhang durchblicken, wenn wir erkennen, daß die alles Uebrige beherrſchenden Grundzüge ſich vielleicht nirgends ſo ſcheinbar regellos, ſo abnorm zeigen, als in unſerm gebildeten Europa, während ein Theil der Tropengegenden die einfachen Grundgeſetze Jedem verſtändlich ausſpricht, wenn wir ſomit finden, daß das, was den Fortſchritt in allen Disciplinen be- dingt, die Erkenntniß der Naturgeſetze, faſt nur in fremden Regionen möglich iſt, ſo erklärt ſich uns hier noch eine Erſcheinung, die ſonſt räthſelhaft und unerklärlich in der Geſchichte der Menſchheit daſtehen würde, daß nämlich in jeder mit den Naturwiſſenſchaften nur entfernt zuſammenhängenden Lehre, und zumal in jenen ſelbſt, der Fortſchritt aufs Engſte mit Erweiterungen unſerer geographiſchen Kenntniſſe zuſammenhängt, daß der Naturforſcher, den doch beſtändig eine Natur umgiebt, doch keinen höhern Genuß kennt, als Reiſen, daß er oft ſelbſt mit ungerechter Verachtung deſſen, was ihm ſeine Umgebung bietet, nach exotiſchen Schätzen greift, daß dem Botaniker Treibhäuſer, Herbarien, dem Zoologen Thiergärten und Sammlungen zum unab- weisbaren Bedürfniß geworden ſind. Wollte ich überall in gleicher Manier zeichnen, ſo durfte ich von dem großen lebensvollen Gemälde nur eine flüchtige Skitze entwerfen, möchte es mir dabei gelungen ſeyn, wenigſtens die Hauptzüge mit genügender Schärfe und Klarheit hervorgehoben zu haben. Auf jeden Fall werde ich es mir gefallen laſſen müſſen, daß man auf die Frage: „war's denn intereſſant?“ achſelzuckend antwortet: „Je nun, es war von Nichts, als vom Wetter die Rede.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/138
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/138>, abgerufen am 23.04.2024.