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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Den nächsten und höchsten Zweck aller wissenschaftlichen Natur-
forschung dürfen wir wohl besonders seit den neueren Fortschritten
dahin bestimmen, die ganze uns umgebende Welt als unter aus-
nahmslose, mathematische Gesetze gebannt darzustellen und jede vor-
gehende Veränderung aus solchen Gesetzen abzuleiten. Sehr ver-
schieden aber ist die Vollendung der einzelnen Zweige der Naturwis-
senschaft, je nachdem sie dieses höchste Ziel schon erreicht haben, oder
ihm noch näher oder ferner stehen. Von der Astronomie, dem vollen-
detsten Theile unserer menschlichen Wissenschaft, bis zur Kenntniß der
organischen Wesen ist eine große Kluft, an deren Ausfüllung die
Menschheit noch Jahrtausende arbeiten wird, bis ein sicherer Pfad
hinüberführt. Da es wahrlich nicht an dem Fleiße der Forscher liegt,
so muß in der Sache selbst der Grund gesucht werden, weshalb unsere
wissenschaftliche Kenntniß der organischen Wesen noch so weit von
ihrem Ideal entfernt ist, daß es selbst Naturkundige giebt, die den
endlichen Ausgangspunct noch nicht einmal anerkennen wollen. Der
Grund liegt wohl in Folgendem. Wir finden in der Natur mannig-
fache Stoffe, diese wirken auf einander ein und daraus geht ein be-
ständiges Spiel von Thätigkeiten hervor, wofür uns die unverrückbare
Gesetzmäßigkeit in den Bewegungen unseres Sonnensystems das
klarste und großartigste Beispiel ist. Dieses Spiel von Kräften zeigt

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Den nächſten und höchſten Zweck aller wiſſenſchaftlichen Natur-
forſchung dürfen wir wohl beſonders ſeit den neueren Fortſchritten
dahin beſtimmen, die ganze uns umgebende Welt als unter aus-
nahmsloſe, mathematiſche Geſetze gebannt darzuſtellen und jede vor-
gehende Veränderung aus ſolchen Geſetzen abzuleiten. Sehr ver-
ſchieden aber iſt die Vollendung der einzelnen Zweige der Naturwiſ-
ſenſchaft, je nachdem ſie dieſes höchſte Ziel ſchon erreicht haben, oder
ihm noch näher oder ferner ſtehen. Von der Aſtronomie, dem vollen-
detſten Theile unſerer menſchlichen Wiſſenſchaft, bis zur Kenntniß der
organiſchen Weſen iſt eine große Kluft, an deren Ausfüllung die
Menſchheit noch Jahrtauſende arbeiten wird, bis ein ſicherer Pfad
hinüberführt. Da es wahrlich nicht an dem Fleiße der Forſcher liegt,
ſo muß in der Sache ſelbſt der Grund geſucht werden, weshalb unſere
wiſſenſchaftliche Kenntniß der organiſchen Weſen noch ſo weit von
ihrem Ideal entfernt iſt, daß es ſelbſt Naturkundige giebt, die den
endlichen Ausgangspunct noch nicht einmal anerkennen wollen. Der
Grund liegt wohl in Folgendem. Wir finden in der Natur mannig-
fache Stoffe, dieſe wirken auf einander ein und daraus geht ein be-
ſtändiges Spiel von Thätigkeiten hervor, wofür uns die unverrückbare
Geſetzmäßigkeit in den Bewegungen unſeres Sonnenſyſtems das
klarſte und großartigſte Beiſpiel iſt. Dieſes Spiel von Kräften zeigt

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[[195]/0211] Den nächſten und höchſten Zweck aller wiſſenſchaftlichen Natur- forſchung dürfen wir wohl beſonders ſeit den neueren Fortſchritten dahin beſtimmen, die ganze uns umgebende Welt als unter aus- nahmsloſe, mathematiſche Geſetze gebannt darzuſtellen und jede vor- gehende Veränderung aus ſolchen Geſetzen abzuleiten. Sehr ver- ſchieden aber iſt die Vollendung der einzelnen Zweige der Naturwiſ- ſenſchaft, je nachdem ſie dieſes höchſte Ziel ſchon erreicht haben, oder ihm noch näher oder ferner ſtehen. Von der Aſtronomie, dem vollen- detſten Theile unſerer menſchlichen Wiſſenſchaft, bis zur Kenntniß der organiſchen Weſen iſt eine große Kluft, an deren Ausfüllung die Menſchheit noch Jahrtauſende arbeiten wird, bis ein ſicherer Pfad hinüberführt. Da es wahrlich nicht an dem Fleiße der Forſcher liegt, ſo muß in der Sache ſelbſt der Grund geſucht werden, weshalb unſere wiſſenſchaftliche Kenntniß der organiſchen Weſen noch ſo weit von ihrem Ideal entfernt iſt, daß es ſelbſt Naturkundige giebt, die den endlichen Ausgangspunct noch nicht einmal anerkennen wollen. Der Grund liegt wohl in Folgendem. Wir finden in der Natur mannig- fache Stoffe, dieſe wirken auf einander ein und daraus geht ein be- ſtändiges Spiel von Thätigkeiten hervor, wofür uns die unverrückbare Geſetzmäßigkeit in den Bewegungen unſeres Sonnenſyſtems das klarſte und großartigſte Beiſpiel iſt. Dieſes Spiel von Kräften zeigt 13*

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. [195]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/211>, abgerufen am 29.03.2024.