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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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einfache Haare, welche ein kleines, flaches, weiches Kissen bilden. Zwi-
schen ihnen findet sich ein Büschel etwas längerer, aber dünner Stacheln.
Diese sind es hauptsächlich, welche wegen ihres eigenthümlichen
Baues das unvorsichtige Angreifen der Cactuspflanzen so gefährlich
machen. Diese kleinen Stacheln sind nämlich sehr dünn und spröde,
so daß sie leicht abbrechen, und von oben bis unten mit rückwärts
gerichteten Widerhaken besetzt. Bei der Berührung drückt sich gleich
ein ganzer Büschel in die Haut ein; versucht man es abzustreifen, so
brechen die einzelnen Stacheln in der Haut ab und die Stückchen
dringen wieder in andere Theile der Haut; wo man mit der Hand
überstreift, hängen sie sich ein und ein unerträgliches Jucken und zu-
letzt eine leichte Entzündung verbreitet sich überall dahin, wo man sie
durch Berührung hingebracht. Besonders zeichnet sich dadurch die
Opuntia ferox aus, die davon ihren Namen, die wilde, hat. Zwischen
diesen Haaren und kleinen Stacheln erheben sich dann in verschiedener
Anzahl und Form sehr lange und große Stacheln, welche die besten
Kennzeichen zur Bestimmung der Arten abgeben. Diese sind bei einigen
so hart und stark, daß sie z. B. häufig die Lähmung der wilden Esel
herbeiführen, wenn diese zur Stillung ihres Durstes die Stacheln
mit dem Hufe abstreifen und dabei sich unvorsichtig verletzen. Bei
Opuntia Tuna, die am meisten zu Zäunen benutzt wird, sind sie so
groß, daß selbst Büffel, die sich diese Stacheln in die Brust rannten,
an der darauf folgenden Entzündung gestorben sind. Gerade diese Art
war es auch, welche in dreifacher Reihe als Grenzscheide gepflanzt
wurde, als die Engländer und Franzosen die Insel St. Christoph
zwischen sich theilten.

Diese kurze Uebersicht möge denn genügen, um das Interesse zu
rechtfertigen, welches ganz allgemein jetzt diese Pflanzenfamilie er-
weckt hat. Ihre genauere Erforschung giebt dem Naturforscher reichen
Stoff, ihr mannigfaltiger Nutzen besonders in ihrer Heimath lenkt
mit Recht auf sie die Aufmerksamkeit der Staatsökonomen; aber be-
deutungsvoller als dieses wird sie in der Mannigfaltigkeit ihrer durch-

einfache Haare, welche ein kleines, flaches, weiches Kiſſen bilden. Zwi-
ſchen ihnen findet ſich ein Büſchel etwas längerer, aber dünner Stacheln.
Dieſe ſind es hauptſächlich, welche wegen ihres eigenthümlichen
Baues das unvorſichtige Angreifen der Cactuspflanzen ſo gefährlich
machen. Dieſe kleinen Stacheln ſind nämlich ſehr dünn und ſpröde,
ſo daß ſie leicht abbrechen, und von oben bis unten mit rückwärts
gerichteten Widerhaken beſetzt. Bei der Berührung drückt ſich gleich
ein ganzer Büſchel in die Haut ein; verſucht man es abzuſtreifen, ſo
brechen die einzelnen Stacheln in der Haut ab und die Stückchen
dringen wieder in andere Theile der Haut; wo man mit der Hand
überſtreift, hängen ſie ſich ein und ein unerträgliches Jucken und zu-
letzt eine leichte Entzündung verbreitet ſich überall dahin, wo man ſie
durch Berührung hingebracht. Beſonders zeichnet ſich dadurch die
Opuntia ferox aus, die davon ihren Namen, die wilde, hat. Zwiſchen
dieſen Haaren und kleinen Stacheln erheben ſich dann in verſchiedener
Anzahl und Form ſehr lange und große Stacheln, welche die beſten
Kennzeichen zur Beſtimmung der Arten abgeben. Dieſe ſind bei einigen
ſo hart und ſtark, daß ſie z. B. häufig die Lähmung der wilden Eſel
herbeiführen, wenn dieſe zur Stillung ihres Durſtes die Stacheln
mit dem Hufe abſtreifen und dabei ſich unvorſichtig verletzen. Bei
Opuntia Tuna, die am meiſten zu Zäunen benutzt wird, ſind ſie ſo
groß, daß ſelbſt Büffel, die ſich dieſe Stacheln in die Bruſt rannten,
an der darauf folgenden Entzündung geſtorben ſind. Gerade dieſe Art
war es auch, welche in dreifacher Reihe als Grenzſcheide gepflanzt
wurde, als die Engländer und Franzoſen die Inſel St. Chriſtoph
zwiſchen ſich theilten.

Dieſe kurze Ueberſicht möge denn genügen, um das Intereſſe zu
rechtfertigen, welches ganz allgemein jetzt dieſe Pflanzenfamilie er-
weckt hat. Ihre genauere Erforſchung giebt dem Naturforſcher reichen
Stoff, ihr mannigfaltiger Nutzen beſonders in ihrer Heimath lenkt
mit Recht auf ſie die Aufmerkſamkeit der Staatsökonomen; aber be-
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[207/0223] einfache Haare, welche ein kleines, flaches, weiches Kiſſen bilden. Zwi- ſchen ihnen findet ſich ein Büſchel etwas längerer, aber dünner Stacheln. Dieſe ſind es hauptſächlich, welche wegen ihres eigenthümlichen Baues das unvorſichtige Angreifen der Cactuspflanzen ſo gefährlich machen. Dieſe kleinen Stacheln ſind nämlich ſehr dünn und ſpröde, ſo daß ſie leicht abbrechen, und von oben bis unten mit rückwärts gerichteten Widerhaken beſetzt. Bei der Berührung drückt ſich gleich ein ganzer Büſchel in die Haut ein; verſucht man es abzuſtreifen, ſo brechen die einzelnen Stacheln in der Haut ab und die Stückchen dringen wieder in andere Theile der Haut; wo man mit der Hand überſtreift, hängen ſie ſich ein und ein unerträgliches Jucken und zu- letzt eine leichte Entzündung verbreitet ſich überall dahin, wo man ſie durch Berührung hingebracht. Beſonders zeichnet ſich dadurch die Opuntia ferox aus, die davon ihren Namen, die wilde, hat. Zwiſchen dieſen Haaren und kleinen Stacheln erheben ſich dann in verſchiedener Anzahl und Form ſehr lange und große Stacheln, welche die beſten Kennzeichen zur Beſtimmung der Arten abgeben. Dieſe ſind bei einigen ſo hart und ſtark, daß ſie z. B. häufig die Lähmung der wilden Eſel herbeiführen, wenn dieſe zur Stillung ihres Durſtes die Stacheln mit dem Hufe abſtreifen und dabei ſich unvorſichtig verletzen. Bei Opuntia Tuna, die am meiſten zu Zäunen benutzt wird, ſind ſie ſo groß, daß ſelbſt Büffel, die ſich dieſe Stacheln in die Bruſt rannten, an der darauf folgenden Entzündung geſtorben ſind. Gerade dieſe Art war es auch, welche in dreifacher Reihe als Grenzſcheide gepflanzt wurde, als die Engländer und Franzoſen die Inſel St. Chriſtoph zwiſchen ſich theilten. Dieſe kurze Ueberſicht möge denn genügen, um das Intereſſe zu rechtfertigen, welches ganz allgemein jetzt dieſe Pflanzenfamilie er- weckt hat. Ihre genauere Erforſchung giebt dem Naturforſcher reichen Stoff, ihr mannigfaltiger Nutzen beſonders in ihrer Heimath lenkt mit Recht auf ſie die Aufmerkſamkeit der Staatsökonomen; aber be- deutungsvoller als dieſes wird ſie in der Mannigfaltigkeit ihrer durch-

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/223>, abgerufen am 25.04.2024.