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Schleinitz, Alexandra von: Offener Brief einer Studirenden an die Gegner der „Studentinnen“ unter den Studenten. Zürich, 1872.

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erfasst und uns heraus in die Schrecken des Lebens zerrt. - Und
wenn nicht eigene Noth aus unserm friedlichen Asyl uns treibt, muss
nicht das Mitleid, der Wunsch da Draussen in der Welt zu helfen und
zu lindern, uns über die sichere Schwelle reissen? Also vor dem Un-
glück können Sie uns nicht bewahren, geschweige vor der Einsicht
in des Unglücks Vorhandensein; was frommt es uns, dass Sie den-
noch immer und immer darnach trachten, uns künstlich in "glück-
licher Unwissenheit", in kindlicher Unbeholfenheit zu erhalten? Sie
glauben - und mit Recht - uns zarter, und desshalb will Ihre Gross-
muth nichts davon wissen, dass auch wir in den Kampf des Lebens
treten, auch wir die schneidigen Waffen berühren und uns mit
schwerem Rüstzeug, mit Schild und Harnisch plagen. Aber Ihre
Grossmuth ist Grausamkeit! Was ist die Folge? Das Leben fällt
uns feindlich an - und wehrlos, ungeübt, ungerüstet stehen wir
seinen Angriffen gegenüber. Hülfloser und empfindlicher als Sie,
die bereits von Natur besser Gewappneten, sind wir seinen Schlä-
gen doppelt preisgegeben. - Ja meine Herren, reicht Ihr Können
nicht aus, uns das Elend fern zu halten, so gebrauchen Sie - darin
in verhängnisvoller Weise vielleicht mehr vermögend - wenig-
stens nicht Ihre Macht, uns das vorzuenthalten, was uns wider-
standsfähiger und geschickter zum Siege sein lässt.

Doch nun mit speziellem Bezug auf diejenige Richtung weib-
licher Emancipation, die von uns Studirenden vertreten wird,
erlauben Sie mir die Frage: Glauben Sie wirklich, dass die
Beschäftigung mit der Wissenschaft, ernstes, auf den Grund
gehendes Lernen einen schädigenden, bedenklichen Einfluss ausübt;
dass die Wahrheit den Schmelz, den Duft der Weiblichkeit hinweg-
sengt; das Niedertauchen in ihre reizvollen, geheimnissreichen
Tiefen, die Unschuld, die Reinheit, den Adel der Seele trübt? -
Ist die Wahrheit Ihnen denn eine unlautere Quelle, ein trüber
Sumpf? Ist Sie Ihnen eine verzehrende, giftige Gluth? Oder wenn
auch dieses nicht, sehen Sie zum Wenigsten darin ein verschleiertes
Bild von Sais, und in uns die Unberufenen, denen der heilige
Anblick unabweisbar Verderben bringt? Oder ist die Wahrheit
Ihnen etwa ein scharfer, ätzender, narkotischer Trank, der nur
für abgehärtete Gaumen, für ausgepichte Magen taugt? - Oder
fühlen Sie etwa Lust, sie mit der Hundsgrotte zu vergleichen, und
meinen dem entsprechend, dass ein bestimmtes Mass geistiger Höhe
(5' 6"?) - uns eben abgehend - dazu gehöre, um ungefährdet

erfasst und uns heraus in die Schrecken des Lebens zerrt. – Und
wenn nicht eigene Noth aus unserm friedlichen Asyl uns treibt, muss
nicht das Mitleid, der Wunsch da Draussen in der Welt zu helfen und
zu lindern, uns über die sichere Schwelle reissen? Also vor dem Un-
glück können Sie uns nicht bewahren, geschweige vor der Einsicht
in des Unglücks Vorhandensein; was frommt es uns, dass Sie den-
noch immer und immer darnach trachten, uns künstlich in „glück-
licher Unwissenheit“, in kindlicher Unbeholfenheit zu erhalten? Sie
glauben – und mit Recht – uns zarter, und desshalb will Ihre Gross-
muth nichts davon wissen, dass auch wir in den Kampf des Lebens
treten, auch wir die schneidigen Waffen berühren und uns mit
schwerem Rüstzeug, mit Schild und Harnisch plagen. Aber Ihre
Grossmuth ist Grausamkeit! Was ist die Folge? Das Leben fällt
uns feindlich an – und wehrlos, ungeübt, ungerüstet stehen wir
seinen Angriffen gegenüber. Hülfloser und empfindlicher als Sie,
die bereits von Natur besser Gewappneten, sind wir seinen Schlä-
gen doppelt preisgegeben. – Ja meine Herren, reicht Ihr Können
nicht aus, uns das Elend fern zu halten, so gebrauchen Sie – darin
in verhängnisvoller Weise vielleicht mehr vermögend – wenig-
stens nicht Ihre Macht, uns das vorzuenthalten, was uns wider-
standsfähiger und geschickter zum Siege sein lässt.

Doch nun mit speziellem Bezug auf diejenige Richtung weib-
licher Emancipation, die von uns Studirenden vertreten wird,
erlauben Sie mir die Frage: Glauben Sie wirklich, dass die
Beschäftigung mit der Wissenschaft, ernstes, auf den Grund
gehendes Lernen einen schädigenden, bedenklichen Einfluss ausübt;
dass die Wahrheit den Schmelz, den Duft der Weiblichkeit hinweg-
sengt; das Niedertauchen in ihre reizvollen, geheimnissreichen
Tiefen, die Unschuld, die Reinheit, den Adel der Seele trübt? –
Ist die Wahrheit Ihnen denn eine unlautere Quelle, ein trüber
Sumpf? Ist Sie Ihnen eine verzehrende, giftige Gluth? Oder wenn
auch dieses nicht, sehen Sie zum Wenigsten darin ein verschleiertes
Bild von Sais, und in uns die Unberufenen, denen der heilige
Anblick unabweisbar Verderben bringt? Oder ist die Wahrheit
Ihnen etwa ein scharfer, ätzender, narkotischer Trank, der nur
für abgehärtete Gaumen, für ausgepichte Magen taugt? – Oder
fühlen Sie etwa Lust, sie mit der Hundsgrotte zu vergleichen, und
meinen dem entsprechend, dass ein bestimmtes Mass geistiger Höhe
(5' 6"?) – uns eben abgehend – dazu gehöre, um ungefährdet

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[6/0006] erfasst und uns heraus in die Schrecken des Lebens zerrt. – Und wenn nicht eigene Noth aus unserm friedlichen Asyl uns treibt, muss nicht das Mitleid, der Wunsch da Draussen in der Welt zu helfen und zu lindern, uns über die sichere Schwelle reissen? Also vor dem Un- glück können Sie uns nicht bewahren, geschweige vor der Einsicht in des Unglücks Vorhandensein; was frommt es uns, dass Sie den- noch immer und immer darnach trachten, uns künstlich in „glück- licher Unwissenheit“, in kindlicher Unbeholfenheit zu erhalten? Sie glauben – und mit Recht – uns zarter, und desshalb will Ihre Gross- muth nichts davon wissen, dass auch wir in den Kampf des Lebens treten, auch wir die schneidigen Waffen berühren und uns mit schwerem Rüstzeug, mit Schild und Harnisch plagen. Aber Ihre Grossmuth ist Grausamkeit! Was ist die Folge? Das Leben fällt uns feindlich an – und wehrlos, ungeübt, ungerüstet stehen wir seinen Angriffen gegenüber. Hülfloser und empfindlicher als Sie, die bereits von Natur besser Gewappneten, sind wir seinen Schlä- gen doppelt preisgegeben. – Ja meine Herren, reicht Ihr Können nicht aus, uns das Elend fern zu halten, so gebrauchen Sie – darin in verhängnisvoller Weise vielleicht mehr vermögend – wenig- stens nicht Ihre Macht, uns das vorzuenthalten, was uns wider- standsfähiger und geschickter zum Siege sein lässt. Doch nun mit speziellem Bezug auf diejenige Richtung weib- licher Emancipation, die von uns Studirenden vertreten wird, erlauben Sie mir die Frage: Glauben Sie wirklich, dass die Beschäftigung mit der Wissenschaft, ernstes, auf den Grund gehendes Lernen einen schädigenden, bedenklichen Einfluss ausübt; dass die Wahrheit den Schmelz, den Duft der Weiblichkeit hinweg- sengt; das Niedertauchen in ihre reizvollen, geheimnissreichen Tiefen, die Unschuld, die Reinheit, den Adel der Seele trübt? – Ist die Wahrheit Ihnen denn eine unlautere Quelle, ein trüber Sumpf? Ist Sie Ihnen eine verzehrende, giftige Gluth? Oder wenn auch dieses nicht, sehen Sie zum Wenigsten darin ein verschleiertes Bild von Sais, und in uns die Unberufenen, denen der heilige Anblick unabweisbar Verderben bringt? Oder ist die Wahrheit Ihnen etwa ein scharfer, ätzender, narkotischer Trank, der nur für abgehärtete Gaumen, für ausgepichte Magen taugt? – Oder fühlen Sie etwa Lust, sie mit der Hundsgrotte zu vergleichen, und meinen dem entsprechend, dass ein bestimmtes Mass geistiger Höhe (5' 6"?) – uns eben abgehend – dazu gehöre, um ungefährdet

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Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen : Bereitstellung der Texttranskription. (2021-06-15T09:43:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andreas Neumann, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-06-15T09:43:56Z)

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Zitationshilfe: Schleinitz, Alexandra von: Offener Brief einer Studirenden an die Gegner der „Studentinnen“ unter den Studenten. Zürich, 1872, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleinitz_brief_1872/6>, abgerufen am 24.04.2024.