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Schlözer, August Ludwig von: August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Bd. 2. Göttingen u. a., 1773.

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des Rheins, und bald so barbarisch, wie
die Römer zu Ammians Zeiten (siehe den
Denina), werden. Sie wünschen daher
schöne Historien: und warscheinlich wür-
den Ernst und Gründlichkeit, -- doch noch
immer, falls mich kein Nationalstolz triegt,
der Grundstoff meiner Nation --, solche bald
zum Surrogato der Romane machen. A-
ber bloß schön geschriebene Historien machen
es nicht aus: sie müssen auch ordentlich
geschrieben seyn. Mit zärtlicher Sorgfalt
muß, durch allerhand Künste, für das unge-
übte Gedächtniß des unstudirten Lesers (von
dem bei solchen Schriften eigentlich die Re-
de ist), gesorget werden, damit er nicht bloß
lese, sondern auch behalte, und im ganzen
Zusammenhange behalte. Sonst amu-
sirt er sich nur durch die Lectur, und nützt
sie nicht; sonst fängt er nur einzelne Histo-
rietten auf: eine auch noch so systematisch
geschriebene Geschichte wird für ihn eine blos-
se Acerra Philologica; und ist er am Ende
des Buchs, so geht es ihm, wie mancher
Liseuse, die einen dicken Roman nach dem
andern von vorne bis hinten wörtlich durch-
liest, und in Empfindungen dahin schmilzt,
und vor lauter Gefühl am Ende von alle

dem,



des Rheins, und bald ſo barbariſch, wie
die Roͤmer zu Ammians Zeiten (ſiehe den
Denina), werden. Sie wuͤnſchen daher
ſchoͤne Hiſtorien: und warſcheinlich wuͤr-
den Ernſt und Gruͤndlichkeit, — doch noch
immer, falls mich kein Nationalſtolz triegt,
der Grundſtoff meiner Nation —, ſolche bald
zum Surrogato der Romane machen. A-
ber bloß ſchoͤn geſchriebene Hiſtorien machen
es nicht aus: ſie muͤſſen auch ordentlich
geſchrieben ſeyn. Mit zaͤrtlicher Sorgfalt
muß, durch allerhand Kuͤnſte, fuͤr das unge-
uͤbte Gedaͤchtniß des unſtudirten Leſers (von
dem bei ſolchen Schriften eigentlich die Re-
de iſt), geſorget werden, damit er nicht bloß
leſe, ſondern auch behalte, und im ganzen
Zuſammenhange behalte. Sonſt amu-
ſirt er ſich nur durch die Lectur, und nuͤtzt
ſie nicht; ſonſt faͤngt er nur einzelne Hiſto-
rietten auf: eine auch noch ſo ſyſtematiſch
geſchriebene Geſchichte wird fuͤr ihn eine bloſ-
ſe Acerra Philologica; und iſt er am Ende
des Buchs, ſo geht es ihm, wie mancher
Liſeuſe, die einen dicken Roman nach dem
andern von vorne bis hinten woͤrtlich durch-
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[314[90]/0110] des Rheins, und bald ſo barbariſch, wie die Roͤmer zu Ammians Zeiten (ſiehe den Denina), werden. Sie wuͤnſchen daher ſchoͤne Hiſtorien: und warſcheinlich wuͤr- den Ernſt und Gruͤndlichkeit, — doch noch immer, falls mich kein Nationalſtolz triegt, der Grundſtoff meiner Nation —, ſolche bald zum Surrogato der Romane machen. A- ber bloß ſchoͤn geſchriebene Hiſtorien machen es nicht aus: ſie muͤſſen auch ordentlich geſchrieben ſeyn. Mit zaͤrtlicher Sorgfalt muß, durch allerhand Kuͤnſte, fuͤr das unge- uͤbte Gedaͤchtniß des unſtudirten Leſers (von dem bei ſolchen Schriften eigentlich die Re- de iſt), geſorget werden, damit er nicht bloß leſe, ſondern auch behalte, und im ganzen Zuſammenhange behalte. Sonſt amu- ſirt er ſich nur durch die Lectur, und nuͤtzt ſie nicht; ſonſt faͤngt er nur einzelne Hiſto- rietten auf: eine auch noch ſo ſyſtematiſch geſchriebene Geſchichte wird fuͤr ihn eine bloſ- ſe Acerra Philologica; und iſt er am Ende des Buchs, ſo geht es ihm, wie mancher Liſeuſe, die einen dicken Roman nach dem andern von vorne bis hinten woͤrtlich durch- lieſt, und in Empfindungen dahin ſchmilzt, und vor lauter Gefuͤhl am Ende von alle dem,

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Zitationshilfe: Schlözer, August Ludwig von: August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Bd. 2. Göttingen u. a., 1773, S. 314[90]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schloezer_universalhistorie02_1773/110>, abgerufen am 01.05.2024.