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Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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lehrte mich, daß ich den Lebenslauf und Tod des heiligen Johann Nepomuk, des Patrons aller Schiffer und Flößer, zu sehen bekommen sollte. Als Schluß war ein lustiges Nachspiel ohne Titel angekündigt. Der etwas niedrige Saal hatte nicht gestattet, der Schaubühne, welche die ganze Breite einnahm, die nöthige Erhöhung zu geben. Sie erhob sich daher nur wenig über den Zuschauerraum, und die vordersten Reihen der Plätze waren der Scene gegenüber in so vertraulicher Nähe angebracht, daß man den Spielenden recht wohl die Hände reichen konnte und daß die Absicht scenischer Täuschung nicht auf äußere Zuthaten gegründet war. Ich wählte meinen Platz, der Ungestörtheit wegen, mehr gegen die Mitte zu und überzeugte mich aus der Ueberfüllung des Saales, daß die Beliebtheit der künstlerischen Schiffleute keine Fabel war. Nach einem von den Gesellen des Stadtthürmers herzhaft abgeblasenen Musikstück rollte der Vorhang mit der in Wolken schwebenden und bekränzten Lyra empor, und wir befanden uns in Prag, am Hofe des wilden Böhmenkönigs Wenzel. Es war ein ziemlich grob aus Brettern zusammengenagelter Tyrann, den ein ebenso grobkörniger Bösewicht von Kanzler in allen unwürdigen Leidenschaften bestärkte, um im Trüben fischen und sich bereichern zu können. Dabei waren ihm hauptsächlich zwei Personen im Wege, die tugendhafte Königin und ihr nicht minder tugendhafter Gewissensrath. Der Kanzler drehte daher aus der Eifersucht Wenzels die Dop-

lehrte mich, daß ich den Lebenslauf und Tod des heiligen Johann Nepomuk, des Patrons aller Schiffer und Flößer, zu sehen bekommen sollte. Als Schluß war ein lustiges Nachspiel ohne Titel angekündigt. Der etwas niedrige Saal hatte nicht gestattet, der Schaubühne, welche die ganze Breite einnahm, die nöthige Erhöhung zu geben. Sie erhob sich daher nur wenig über den Zuschauerraum, und die vordersten Reihen der Plätze waren der Scene gegenüber in so vertraulicher Nähe angebracht, daß man den Spielenden recht wohl die Hände reichen konnte und daß die Absicht scenischer Täuschung nicht auf äußere Zuthaten gegründet war. Ich wählte meinen Platz, der Ungestörtheit wegen, mehr gegen die Mitte zu und überzeugte mich aus der Ueberfüllung des Saales, daß die Beliebtheit der künstlerischen Schiffleute keine Fabel war. Nach einem von den Gesellen des Stadtthürmers herzhaft abgeblasenen Musikstück rollte der Vorhang mit der in Wolken schwebenden und bekränzten Lyra empor, und wir befanden uns in Prag, am Hofe des wilden Böhmenkönigs Wenzel. Es war ein ziemlich grob aus Brettern zusammengenagelter Tyrann, den ein ebenso grobkörniger Bösewicht von Kanzler in allen unwürdigen Leidenschaften bestärkte, um im Trüben fischen und sich bereichern zu können. Dabei waren ihm hauptsächlich zwei Personen im Wege, die tugendhafte Königin und ihr nicht minder tugendhafter Gewissensrath. Der Kanzler drehte daher aus der Eifersucht Wenzels die Dop-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:20:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_mohrenfranzl_1910/10>, abgerufen am 24.04.2024.