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Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken-Philosophia, oder auffrichtige Untersuchung derer von vielen super-klugen Weibern hochgehaltenen Aberglauben. Bd. 1. Chemnitz, 1705.

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Weibern hochgehaltenen Aberglauben.
müsse die gantzen Sechs-Wochen hindurch täg-
lich das Wochen-Bett von ihnen gemacht wer-
den/ so gut/ als sey die Wöchnerin noch am Le-
ben. Und durch dieses Vorgeben bekommen
sie Gegenheit/ täglich ein paar mahl (wenn der
Wittwer etwas Gutes zu essen hat) einzuspre-
chen/ und ihr Amt mit Essen und Trincken in
acht zu nehmen/ und wenn die Sechs-Wochen
um sind/ und sie bekommen nicht stracks so viel
Lohn/ als wenn sie wircklich Mutter und Kind so
lange bedienet hätten/ so tragen sie wohl die ehr-
lichen Männer aus/ und reden schimpfflich von
ihnen. Wenn nun ein ehrlicher Mann böse
Nachrede vermeiden will/ so muß er eine solche
alte Katze lassen nach ihrem Vorgeben handthie-
ren/ und sie noch mit einem guten recompens
davor versehen/ weil Mutter Ursel so sorgfältig
vor der seligen Frauen ihre sanffte Ruhe im Gra-
be ist gewesen. Ob nun gleich dieses wahrhaff-
tig von nichts anders seinen Ursprung hat/ als
von denen Wehe-Müttern/ so ist es doch endlich
mit der Zeit zu einem wircklichen Aberglauben
worden/ daß ich auch bey klugen und sonst ver-
ständigen Leuten diese Thorheit gar sancte pra-
cticir
en gesehen. Und ist billich zu verwun-
dern/ daß unter gläubigen Christen solche un-
christliche Thaten/ die schnurstracks wieder den
wahren Glauben streiten/ vorgenommen und

getrie-
E 2

Weibern hochgehaltenen Aberglauben.
muͤſſe die gantzen Sechs-Wochen hindurch taͤg-
lich das Wochen-Bett von ihnen gemacht wer-
den/ ſo gut/ als ſey die Woͤchnerin noch am Le-
ben. Und durch dieſes Vorgeben bekommen
ſie Gegenheit/ taͤglich ein paar mahl (wenn der
Wittwer etwas Gutes zu eſſen hat) einzuſpre-
chen/ und ihr Amt mit Eſſen und Trincken in
acht zu nehmen/ und wenn die Sechs-Wochen
um ſind/ und ſie bekommen nicht ſtracks ſo viel
Lohn/ als wenn ſie wircklich Mutter und Kind ſo
lange bedienet haͤtten/ ſo tragen ſie wohl die ehr-
lichen Maͤnner aus/ und reden ſchimpfflich von
ihnen. Wenn nun ein ehrlicher Mann boͤſe
Nachrede vermeiden will/ ſo muß er eine ſolche
alte Katze laſſen nach ihrem Vorgeben handthie-
ren/ und ſie noch mit einem guten recompens
davor verſehen/ weil Mutter Urſel ſo ſorgfaͤltig
vor der ſeligen Frauen ihre ſanffte Ruhe im Gra-
be iſt geweſen. Ob nun gleich dieſes wahrhaff-
tig von nichts anders ſeinen Urſprung hat/ als
von denen Wehe-Muͤttern/ ſo iſt es doch endlich
mit der Zeit zu einem wircklichen Aberglauben
worden/ daß ich auch bey klugen und ſonſt ver-
ſtaͤndigen Leuten dieſe Thorheit gar ſanctè pra-
cticir
en geſehen. Und iſt billich zu verwun-
dern/ daß unter glaͤubigen Chriſten ſolche un-
chriſtliche Thaten/ die ſchnurſtracks wieder den
wahren Glauben ſtreiten/ vorgenommen und

getrie-
E 2
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[67/0089] Weibern hochgehaltenen Aberglauben. muͤſſe die gantzen Sechs-Wochen hindurch taͤg- lich das Wochen-Bett von ihnen gemacht wer- den/ ſo gut/ als ſey die Woͤchnerin noch am Le- ben. Und durch dieſes Vorgeben bekommen ſie Gegenheit/ taͤglich ein paar mahl (wenn der Wittwer etwas Gutes zu eſſen hat) einzuſpre- chen/ und ihr Amt mit Eſſen und Trincken in acht zu nehmen/ und wenn die Sechs-Wochen um ſind/ und ſie bekommen nicht ſtracks ſo viel Lohn/ als wenn ſie wircklich Mutter und Kind ſo lange bedienet haͤtten/ ſo tragen ſie wohl die ehr- lichen Maͤnner aus/ und reden ſchimpfflich von ihnen. Wenn nun ein ehrlicher Mann boͤſe Nachrede vermeiden will/ ſo muß er eine ſolche alte Katze laſſen nach ihrem Vorgeben handthie- ren/ und ſie noch mit einem guten recompens davor verſehen/ weil Mutter Urſel ſo ſorgfaͤltig vor der ſeligen Frauen ihre ſanffte Ruhe im Gra- be iſt geweſen. Ob nun gleich dieſes wahrhaff- tig von nichts anders ſeinen Urſprung hat/ als von denen Wehe-Muͤttern/ ſo iſt es doch endlich mit der Zeit zu einem wircklichen Aberglauben worden/ daß ich auch bey klugen und ſonſt ver- ſtaͤndigen Leuten dieſe Thorheit gar ſanctè pra- cticiren geſehen. Und iſt billich zu verwun- dern/ daß unter glaͤubigen Chriſten ſolche un- chriſtliche Thaten/ die ſchnurſtracks wieder den wahren Glauben ſtreiten/ vorgenommen und getrie- E 2

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Zitationshilfe: Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken-Philosophia, oder auffrichtige Untersuchung derer von vielen super-klugen Weibern hochgehaltenen Aberglauben. Bd. 1. Chemnitz, 1705, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmidt_rockenphilosophia01_1705/89>, abgerufen am 16.04.2024.