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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.

Stimmt nun das Ergebnis unserer deduktiven Schlüsse mit der Wirklichkeit nicht
überein, oder sind die bereits feststehenden Wahrheiten nicht ausreichend, unseren That-
bestand zu erklären, dann schreiten wir zur Induktion; d. h. wir suchen aus dem vor-
liegenden, genau beobachteten und geprüften Fall auf eine allgemeine Regel, auf ein
bisher uns verschlossenes Kausalverhältnis zu kommen. Aber die so gefundene neue
Wahrheit verwerten wir sofort wieder deduktiv, wir prüfen, ob sie auf analoge Fälle paßt.

In der Regel oder sehr häufig pflegt man nun aber alle empirische Beobachtung
als Induktionsverfahren zu bezeichnen; alle statistische und historische Forschung, alles
synthetische Kombinieren von Resultaten solcher Untersuchungen gilt als induktiv. Wer
ein gegebenes volkswirtschaftliches Verhältnis nicht aus dem Egoismus erklärt, sondern
aus dem Volkscharakter, den Zeitverhältnissen, wird als induktiver Nationalökonom
bezeichnet, wie der, welcher aus einer Reihe hausindustrieller Schilderungen allgemeine
Wahrheiten über das Vorkommen dieser Betriebsform zu gewinnen sucht. Und trotzdem
liegen hier wohl mehr deduktive als induktive Operationen vor.

Das aber ist richtig, wer in erster Linie auf dem Boden der Erfahrung steht, der
traut deduktiven Schlüssen nie so ohne weiteres; er hat mindestens das Bedürfnis, sie
stets wieder durch die Erfahrung zu verifizieren, durch neue Induktionen die Probe aufs
Exempel zu machen. Diese Rolle gesteht auch John Stuart Mill der Induktion in der
Volkswirtschaftslehre zu, während er im übrigen sie auf den deduktiven Weg verweist.
Die experimentelle Psychologie und Ethnologie soll ihr die Obersätze liefern, aus denen
sie schließen soll; sie selbst könne keine brauchbare Induktion vornehmen, weil sie kein
Experiment vornehmen könne. Erhalte sie so nur annähernde Generalisationen, so
genüge das.

Wir geben zu, daß wir uns oft mit ungefähren Generalisationen genügen lassen
müssen; aber wir leugneten schon oben, daß der Mangel des Experimentes uns jede
Induktion aus guten Beobachtungen unmöglich mache. Wenn aus den verschiedensten
Schilderungen der Arbeits- und Industrie-, der Ackerverfassung immer wieder allgemeine
Resultate zu ziehen versucht werden, wenn immer zahlreichere Beobachtungen vergleichend
nebeneinander gestellt werden, so mögen die Schlüsse nicht immer bereits feststehende
sein; ein außerordentlicher Fortschritt, den wir der Induktion danken, liegt doch darin.
Diejenigen, welche in der neueren deutschen Nationalökonomie als Vertreter induktiver
Forschung gelten, bekämpfen nicht die Deduktion überhaupt, sondern nur die aus ober-
flächlichen, unzureichenden Prämissen, welche sie glauben auf Grund besserer Beobachtung
durch genauere Obersätze ersetzen zu können. Sie behaupten, daß die letzten Ausläufer
der englischen deduktiven Schule wie K. Menger und Dietzel das Gebiet unserer Wissen-
schaft allzusehr einengen, wenn sie nur Deduktionen aus einem oder ein paar psycho-
logischen Sätzen oder dem Princip der Wirtschaftlichkeit als theoretische Nationalökonomie
anerkennen; sie glauben, durch zahlreichere Induktionen und Zuhülfenahme anderweiter
Deduktion das Gebiet der bloß hypothetischen, mit der Wirklichkeit in immer stärkeren
Konflikt kommenden Schlüsse mehr einengen zu können. Sie bekämpfen vor allem, wie
wir schon oben ausführten (S. 73--75), das einseitige deduktive Schließen aus sittlichen
Principien und socialen Idealen, wie z. B. aus dem Princip der Gleichheit, der Frei-
heit, der Gerechtigkeit. Sie betonen, man können nur aus fest umgrenzten Aussagen über
Kausalverhältnisse deduktiv schließen, nicht aus Postulaten und Zweckideen, die nur all-
gemeine Richtungen der wünschenswerten Entwickelung andeuten, die stets durch koordinierte
andere Ideale begrenzt werden.

Was unserer Wissenschaft mehr genützt habe, induktives oder deduktives Verfahren,
ist eine überhaupt nicht zu beantwortende Frage, zumal die größten Fortschritte hier
wie überall mehr dem genialen Instinkt oder Takt gedankt werden, der blitzartig
Zusammenhänge und Kausalketten klar vor sich sieht, für die erst langsam nachher die
Beweise gefunden werden.

Gerade aber um zu solchen Lichtblicken zu kommen, ist in den Geisteswissenschaften
und mit am meisten in den Staats- und Socialwissenschaften eines nötig, was mehr
in das Gebiet des deduktiven Schließens hinüberführt: Überblick über weite Wissens-

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.

Stimmt nun das Ergebnis unſerer deduktiven Schlüſſe mit der Wirklichkeit nicht
überein, oder ſind die bereits feſtſtehenden Wahrheiten nicht ausreichend, unſeren That-
beſtand zu erklären, dann ſchreiten wir zur Induktion; d. h. wir ſuchen aus dem vor-
liegenden, genau beobachteten und geprüften Fall auf eine allgemeine Regel, auf ein
bisher uns verſchloſſenes Kauſalverhältnis zu kommen. Aber die ſo gefundene neue
Wahrheit verwerten wir ſofort wieder deduktiv, wir prüfen, ob ſie auf analoge Fälle paßt.

In der Regel oder ſehr häufig pflegt man nun aber alle empiriſche Beobachtung
als Induktionsverfahren zu bezeichnen; alle ſtatiſtiſche und hiſtoriſche Forſchung, alles
ſynthetiſche Kombinieren von Reſultaten ſolcher Unterſuchungen gilt als induktiv. Wer
ein gegebenes volkswirtſchaftliches Verhältnis nicht aus dem Egoismus erklärt, ſondern
aus dem Volkscharakter, den Zeitverhältniſſen, wird als induktiver Nationalökonom
bezeichnet, wie der, welcher aus einer Reihe hausinduſtrieller Schilderungen allgemeine
Wahrheiten über das Vorkommen dieſer Betriebsform zu gewinnen ſucht. Und trotzdem
liegen hier wohl mehr deduktive als induktive Operationen vor.

Das aber iſt richtig, wer in erſter Linie auf dem Boden der Erfahrung ſteht, der
traut deduktiven Schlüſſen nie ſo ohne weiteres; er hat mindeſtens das Bedürfnis, ſie
ſtets wieder durch die Erfahrung zu verifizieren, durch neue Induktionen die Probe aufs
Exempel zu machen. Dieſe Rolle geſteht auch John Stuart Mill der Induktion in der
Volkswirtſchaftslehre zu, während er im übrigen ſie auf den deduktiven Weg verweiſt.
Die experimentelle Pſychologie und Ethnologie ſoll ihr die Oberſätze liefern, aus denen
ſie ſchließen ſoll; ſie ſelbſt könne keine brauchbare Induktion vornehmen, weil ſie kein
Experiment vornehmen könne. Erhalte ſie ſo nur annähernde Generaliſationen, ſo
genüge das.

Wir geben zu, daß wir uns oft mit ungefähren Generaliſationen genügen laſſen
müſſen; aber wir leugneten ſchon oben, daß der Mangel des Experimentes uns jede
Induktion aus guten Beobachtungen unmöglich mache. Wenn aus den verſchiedenſten
Schilderungen der Arbeits- und Induſtrie-, der Ackerverfaſſung immer wieder allgemeine
Reſultate zu ziehen verſucht werden, wenn immer zahlreichere Beobachtungen vergleichend
nebeneinander geſtellt werden, ſo mögen die Schlüſſe nicht immer bereits feſtſtehende
ſein; ein außerordentlicher Fortſchritt, den wir der Induktion danken, liegt doch darin.
Diejenigen, welche in der neueren deutſchen Nationalökonomie als Vertreter induktiver
Forſchung gelten, bekämpfen nicht die Deduktion überhaupt, ſondern nur die aus ober-
flächlichen, unzureichenden Prämiſſen, welche ſie glauben auf Grund beſſerer Beobachtung
durch genauere Oberſätze erſetzen zu können. Sie behaupten, daß die letzten Ausläufer
der engliſchen deduktiven Schule wie K. Menger und Dietzel das Gebiet unſerer Wiſſen-
ſchaft allzuſehr einengen, wenn ſie nur Deduktionen aus einem oder ein paar pſycho-
logiſchen Sätzen oder dem Princip der Wirtſchaftlichkeit als theoretiſche Nationalökonomie
anerkennen; ſie glauben, durch zahlreichere Induktionen und Zuhülfenahme anderweiter
Deduktion das Gebiet der bloß hypothetiſchen, mit der Wirklichkeit in immer ſtärkeren
Konflikt kommenden Schlüſſe mehr einengen zu können. Sie bekämpfen vor allem, wie
wir ſchon oben ausführten (S. 73—75), das einſeitige deduktive Schließen aus ſittlichen
Principien und ſocialen Idealen, wie z. B. aus dem Princip der Gleichheit, der Frei-
heit, der Gerechtigkeit. Sie betonen, man können nur aus feſt umgrenzten Ausſagen über
Kauſalverhältniſſe deduktiv ſchließen, nicht aus Poſtulaten und Zweckideen, die nur all-
gemeine Richtungen der wünſchenswerten Entwickelung andeuten, die ſtets durch koordinierte
andere Ideale begrenzt werden.

Was unſerer Wiſſenſchaft mehr genützt habe, induktives oder deduktives Verfahren,
iſt eine überhaupt nicht zu beantwortende Frage, zumal die größten Fortſchritte hier
wie überall mehr dem genialen Inſtinkt oder Takt gedankt werden, der blitzartig
Zuſammenhänge und Kauſalketten klar vor ſich ſieht, für die erſt langſam nachher die
Beweiſe gefunden werden.

Gerade aber um zu ſolchen Lichtblicken zu kommen, iſt in den Geiſteswiſſenſchaften
und mit am meiſten in den Staats- und Socialwiſſenſchaften eines nötig, was mehr
in das Gebiet des deduktiven Schließens hinüberführt: Überblick über weite Wiſſens-

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[110/0126] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. Stimmt nun das Ergebnis unſerer deduktiven Schlüſſe mit der Wirklichkeit nicht überein, oder ſind die bereits feſtſtehenden Wahrheiten nicht ausreichend, unſeren That- beſtand zu erklären, dann ſchreiten wir zur Induktion; d. h. wir ſuchen aus dem vor- liegenden, genau beobachteten und geprüften Fall auf eine allgemeine Regel, auf ein bisher uns verſchloſſenes Kauſalverhältnis zu kommen. Aber die ſo gefundene neue Wahrheit verwerten wir ſofort wieder deduktiv, wir prüfen, ob ſie auf analoge Fälle paßt. In der Regel oder ſehr häufig pflegt man nun aber alle empiriſche Beobachtung als Induktionsverfahren zu bezeichnen; alle ſtatiſtiſche und hiſtoriſche Forſchung, alles ſynthetiſche Kombinieren von Reſultaten ſolcher Unterſuchungen gilt als induktiv. Wer ein gegebenes volkswirtſchaftliches Verhältnis nicht aus dem Egoismus erklärt, ſondern aus dem Volkscharakter, den Zeitverhältniſſen, wird als induktiver Nationalökonom bezeichnet, wie der, welcher aus einer Reihe hausinduſtrieller Schilderungen allgemeine Wahrheiten über das Vorkommen dieſer Betriebsform zu gewinnen ſucht. Und trotzdem liegen hier wohl mehr deduktive als induktive Operationen vor. Das aber iſt richtig, wer in erſter Linie auf dem Boden der Erfahrung ſteht, der traut deduktiven Schlüſſen nie ſo ohne weiteres; er hat mindeſtens das Bedürfnis, ſie ſtets wieder durch die Erfahrung zu verifizieren, durch neue Induktionen die Probe aufs Exempel zu machen. Dieſe Rolle geſteht auch John Stuart Mill der Induktion in der Volkswirtſchaftslehre zu, während er im übrigen ſie auf den deduktiven Weg verweiſt. Die experimentelle Pſychologie und Ethnologie ſoll ihr die Oberſätze liefern, aus denen ſie ſchließen ſoll; ſie ſelbſt könne keine brauchbare Induktion vornehmen, weil ſie kein Experiment vornehmen könne. Erhalte ſie ſo nur annähernde Generaliſationen, ſo genüge das. Wir geben zu, daß wir uns oft mit ungefähren Generaliſationen genügen laſſen müſſen; aber wir leugneten ſchon oben, daß der Mangel des Experimentes uns jede Induktion aus guten Beobachtungen unmöglich mache. Wenn aus den verſchiedenſten Schilderungen der Arbeits- und Induſtrie-, der Ackerverfaſſung immer wieder allgemeine Reſultate zu ziehen verſucht werden, wenn immer zahlreichere Beobachtungen vergleichend nebeneinander geſtellt werden, ſo mögen die Schlüſſe nicht immer bereits feſtſtehende ſein; ein außerordentlicher Fortſchritt, den wir der Induktion danken, liegt doch darin. Diejenigen, welche in der neueren deutſchen Nationalökonomie als Vertreter induktiver Forſchung gelten, bekämpfen nicht die Deduktion überhaupt, ſondern nur die aus ober- flächlichen, unzureichenden Prämiſſen, welche ſie glauben auf Grund beſſerer Beobachtung durch genauere Oberſätze erſetzen zu können. Sie behaupten, daß die letzten Ausläufer der engliſchen deduktiven Schule wie K. Menger und Dietzel das Gebiet unſerer Wiſſen- ſchaft allzuſehr einengen, wenn ſie nur Deduktionen aus einem oder ein paar pſycho- logiſchen Sätzen oder dem Princip der Wirtſchaftlichkeit als theoretiſche Nationalökonomie anerkennen; ſie glauben, durch zahlreichere Induktionen und Zuhülfenahme anderweiter Deduktion das Gebiet der bloß hypothetiſchen, mit der Wirklichkeit in immer ſtärkeren Konflikt kommenden Schlüſſe mehr einengen zu können. Sie bekämpfen vor allem, wie wir ſchon oben ausführten (S. 73—75), das einſeitige deduktive Schließen aus ſittlichen Principien und ſocialen Idealen, wie z. B. aus dem Princip der Gleichheit, der Frei- heit, der Gerechtigkeit. Sie betonen, man können nur aus feſt umgrenzten Ausſagen über Kauſalverhältniſſe deduktiv ſchließen, nicht aus Poſtulaten und Zweckideen, die nur all- gemeine Richtungen der wünſchenswerten Entwickelung andeuten, die ſtets durch koordinierte andere Ideale begrenzt werden. Was unſerer Wiſſenſchaft mehr genützt habe, induktives oder deduktives Verfahren, iſt eine überhaupt nicht zu beantwortende Frage, zumal die größten Fortſchritte hier wie überall mehr dem genialen Inſtinkt oder Takt gedankt werden, der blitzartig Zuſammenhänge und Kauſalketten klar vor ſich ſieht, für die erſt langſam nachher die Beweiſe gefunden werden. Gerade aber um zu ſolchen Lichtblicken zu kommen, iſt in den Geiſteswiſſenſchaften und mit am meiſten in den Staats- und Socialwiſſenſchaften eines nötig, was mehr in das Gebiet des deduktiven Schließens hinüberführt: Überblick über weite Wiſſens-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/126>, abgerufen am 28.03.2024.