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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Wirkung von Klima, Lebensweise und Erziehung auf den Rassentypus.
gemäßigten Klima. Ein solcher Völkerkenner wie Livingstone betont immer wieder, die
Rasse sei viel wichtiger als das Klima; ich möchte sagen: was wir mit Rasse bezeichnen,
sind die innersten, intimsten, seit Jahrtausenden natürlich-physiologisch fixierten, nur
sehr schwer modifizierbaren Ursachen; um diese lagern sich in weitem Umkreise, immer
weniger, immer indirekter wirkend, die äußeren Naturverhältnisse. Der Zusammenhang
und die Wechselwirkung zwischen den centralen und peripherischen Ursachen bleibt; der
Mensch ist nicht unabhängig von der äußeren Natur, aber die Abhängigkeit nimmt mit
der Kultur ab.

Niedrigstehende Rassen sterben in ungewohntem Klima, höhere wissen durch geschickte
Lebensführung sich anzupassen, zu erhalten; sie werden zwar durch Verpflanzung in
anderes Klima in einzelnen Beziehungen andere, aber nie werden sie das, was die stets
dort lebenden Rassen sind.

Ist es richtig, daß die Variabilität früher größer war, daß die physiologische
Umbildung des Rassentypus zu gewissen, für immer feststehenden Resultaten führte, so
ist es auch sehr leicht verständlich, daß alle Umbildung durch äußere Einflüsse heute
ihre festen Grenzen hat, daß man sagen konnte, jedenfalls nicht das Klima, in dem die
Kaukasier in den letzten Jahrhunderten, sondern das, in dem sie früher viele Jahrtausende
lebten, hätte ihnen seinen Stempel aufgedrückt. --

Zu den äußeren Einflüssen, welche auf die körperliche und geistige Konstitution
der Menschengruppen wirken, gehören nun auch Lebensweise, Beschäftigung, Ernährung
und Erziehung. Bleiben wir zunächst bei den drei ersteren, so haben sie sicher einen
größeren Einfluß als das Klima; soweit das letztere wirkt, geschieht es wesentlich
durch sie. Wenn Ratzel sagt, der Araber erhielt als Hirte, Nomade, Reiter, Räuber
mit der Zeit anders gebaute Gliedmaßen als der Ägypter, der seit Jahrtausenden Lasten
trägt, hackt, pflügt, Wasser schöpft, so hat er sicher recht. Die auf solche Weise aus-
gebildete Verschiedenheit der Völkertypen setzt sich in der socialen Klassenbildung fort, wie
wir unten sehen werden, hat aber innerhalb desselben Volkes immer ein Gegengewicht
in der Blutsmischung der Klassen und der einheitlichen geistig-moralischen Atmosphäre,
welche auf die Völker im ganzen wirkt. Diese Gegenwirkungen fehlen, soweit getrennt
wohnende Stämme und Völker durch verschiedene Lebensweise und Beschäftigung
differenziert werden.

Ob die Erziehung und aller Einfluß geistiger Faktoren, wie Sprache, Sitte,
Recht, all' das, was wir oben (S. 15 ff.) unter dem Begriff der geistigen Kollektivkräfte
zusammengefaßt haben, den Rassen- und Völkertypus überhaupt beeinflusse und in
welchem Maße, ist eine vielerörterte Frage. Locke, Hume, Helvetius, Lamarque und
seine Nachfolger, heute die Socialisten und manche Sociologen, z. B. Babington, sind
geneigt, auf diese Ursachen allein den Volkscharakter wie den der Individuen zurück-
zuführen. Die Theorie von der Wirkung des "Milien" wird überspannt: sociale und
Erziehungseinrichtungen sollen aus jedem Menschen alles machen können. Es ist die
der Überschätzung des Natureinflusses entgegengesetzte Übertreibung.

So viel ist richtig, daß der einzelne, die Klasse, das Volk zwar einerseits unter
der Herrschaft ererbter Eigenschaften, Instinkte, unbewußter Gefühle und Willens-
regungen, andererseits aber unter dem Einfluß des großen geistigen Fluidums stehen,
das sie umgiebt, das durch Nachahmung, Erziehung und gesellschaftliche Berührung
wirkt. Die Abgrenzung dieser zwei Ursachenreihen ist um so schwieriger, als jede
dauernde Wirkung der letzteren Art zu Sitte und Gewohnheit wird, sich nach und nach
auch physiologisch im körperlichen Organismus ausprägt und so beginnt, in das Bereich
der vererblichen Faktoren überzugehen. Ist so der Gegensatz der erblichen und der durch
geistige Beeinflussung neu geschaffenen Eigenschaften kein schroffer sondern nur ein gradueller,
so ist damit auch zugegeben, daß die durch Erziehung oder sonstwie erfolgende
Abstempelung der Individuen und weiterer Kreise eben in dem Maße Typen bildend sei,
als es sich um dauernde Einflüsse handelt. Es ist klar, daß die geistige Umgebung, die
dauernd in gewisser Richtung wirkt, zu einer Stütze und Voraussetzung für gewisse Züge
des Volks- und Rassencharakters wird. Zugleich aber werden wir betonen, daß jedes

Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 10

Wirkung von Klima, Lebensweiſe und Erziehung auf den Raſſentypus.
gemäßigten Klima. Ein ſolcher Völkerkenner wie Livingſtone betont immer wieder, die
Raſſe ſei viel wichtiger als das Klima; ich möchte ſagen: was wir mit Raſſe bezeichnen,
ſind die innerſten, intimſten, ſeit Jahrtauſenden natürlich-phyſiologiſch fixierten, nur
ſehr ſchwer modifizierbaren Urſachen; um dieſe lagern ſich in weitem Umkreiſe, immer
weniger, immer indirekter wirkend, die äußeren Naturverhältniſſe. Der Zuſammenhang
und die Wechſelwirkung zwiſchen den centralen und peripheriſchen Urſachen bleibt; der
Menſch iſt nicht unabhängig von der äußeren Natur, aber die Abhängigkeit nimmt mit
der Kultur ab.

Niedrigſtehende Raſſen ſterben in ungewohntem Klima, höhere wiſſen durch geſchickte
Lebensführung ſich anzupaſſen, zu erhalten; ſie werden zwar durch Verpflanzung in
anderes Klima in einzelnen Beziehungen andere, aber nie werden ſie das, was die ſtets
dort lebenden Raſſen ſind.

Iſt es richtig, daß die Variabilität früher größer war, daß die phyſiologiſche
Umbildung des Raſſentypus zu gewiſſen, für immer feſtſtehenden Reſultaten führte, ſo
iſt es auch ſehr leicht verſtändlich, daß alle Umbildung durch äußere Einflüſſe heute
ihre feſten Grenzen hat, daß man ſagen konnte, jedenfalls nicht das Klima, in dem die
Kaukaſier in den letzten Jahrhunderten, ſondern das, in dem ſie früher viele Jahrtauſende
lebten, hätte ihnen ſeinen Stempel aufgedrückt. —

Zu den äußeren Einflüſſen, welche auf die körperliche und geiſtige Konſtitution
der Menſchengruppen wirken, gehören nun auch Lebensweiſe, Beſchäftigung, Ernährung
und Erziehung. Bleiben wir zunächſt bei den drei erſteren, ſo haben ſie ſicher einen
größeren Einfluß als das Klima; ſoweit das letztere wirkt, geſchieht es weſentlich
durch ſie. Wenn Ratzel ſagt, der Araber erhielt als Hirte, Nomade, Reiter, Räuber
mit der Zeit anders gebaute Gliedmaßen als der Ägypter, der ſeit Jahrtauſenden Laſten
trägt, hackt, pflügt, Waſſer ſchöpft, ſo hat er ſicher recht. Die auf ſolche Weiſe aus-
gebildete Verſchiedenheit der Völkertypen ſetzt ſich in der ſocialen Klaſſenbildung fort, wie
wir unten ſehen werden, hat aber innerhalb desſelben Volkes immer ein Gegengewicht
in der Blutsmiſchung der Klaſſen und der einheitlichen geiſtig-moraliſchen Atmoſphäre,
welche auf die Völker im ganzen wirkt. Dieſe Gegenwirkungen fehlen, ſoweit getrennt
wohnende Stämme und Völker durch verſchiedene Lebensweiſe und Beſchäftigung
differenziert werden.

Ob die Erziehung und aller Einfluß geiſtiger Faktoren, wie Sprache, Sitte,
Recht, all’ das, was wir oben (S. 15 ff.) unter dem Begriff der geiſtigen Kollektivkräfte
zuſammengefaßt haben, den Raſſen- und Völkertypus überhaupt beeinfluſſe und in
welchem Maße, iſt eine vielerörterte Frage. Locke, Hume, Helvetius, Lamarque und
ſeine Nachfolger, heute die Socialiſten und manche Sociologen, z. B. Babington, ſind
geneigt, auf dieſe Urſachen allein den Volkscharakter wie den der Individuen zurück-
zuführen. Die Theorie von der Wirkung des „Milien“ wird überſpannt: ſociale und
Erziehungseinrichtungen ſollen aus jedem Menſchen alles machen können. Es iſt die
der Überſchätzung des Natureinfluſſes entgegengeſetzte Übertreibung.

So viel iſt richtig, daß der einzelne, die Klaſſe, das Volk zwar einerſeits unter
der Herrſchaft ererbter Eigenſchaften, Inſtinkte, unbewußter Gefühle und Willens-
regungen, andererſeits aber unter dem Einfluß des großen geiſtigen Fluidums ſtehen,
das ſie umgiebt, das durch Nachahmung, Erziehung und geſellſchaftliche Berührung
wirkt. Die Abgrenzung dieſer zwei Urſachenreihen iſt um ſo ſchwieriger, als jede
dauernde Wirkung der letzteren Art zu Sitte und Gewohnheit wird, ſich nach und nach
auch phyſiologiſch im körperlichen Organismus ausprägt und ſo beginnt, in das Bereich
der vererblichen Faktoren überzugehen. Iſt ſo der Gegenſatz der erblichen und der durch
geiſtige Beeinfluſſung neu geſchaffenen Eigenſchaften kein ſchroffer ſondern nur ein gradueller,
ſo iſt damit auch zugegeben, daß die durch Erziehung oder ſonſtwie erfolgende
Abſtempelung der Individuen und weiterer Kreiſe eben in dem Maße Typen bildend ſei,
als es ſich um dauernde Einflüſſe handelt. Es iſt klar, daß die geiſtige Umgebung, die
dauernd in gewiſſer Richtung wirkt, zu einer Stütze und Vorausſetzung für gewiſſe Züge
des Volks- und Raſſencharakters wird. Zugleich aber werden wir betonen, daß jedes

Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 10
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[145/0161] Wirkung von Klima, Lebensweiſe und Erziehung auf den Raſſentypus. gemäßigten Klima. Ein ſolcher Völkerkenner wie Livingſtone betont immer wieder, die Raſſe ſei viel wichtiger als das Klima; ich möchte ſagen: was wir mit Raſſe bezeichnen, ſind die innerſten, intimſten, ſeit Jahrtauſenden natürlich-phyſiologiſch fixierten, nur ſehr ſchwer modifizierbaren Urſachen; um dieſe lagern ſich in weitem Umkreiſe, immer weniger, immer indirekter wirkend, die äußeren Naturverhältniſſe. Der Zuſammenhang und die Wechſelwirkung zwiſchen den centralen und peripheriſchen Urſachen bleibt; der Menſch iſt nicht unabhängig von der äußeren Natur, aber die Abhängigkeit nimmt mit der Kultur ab. Niedrigſtehende Raſſen ſterben in ungewohntem Klima, höhere wiſſen durch geſchickte Lebensführung ſich anzupaſſen, zu erhalten; ſie werden zwar durch Verpflanzung in anderes Klima in einzelnen Beziehungen andere, aber nie werden ſie das, was die ſtets dort lebenden Raſſen ſind. Iſt es richtig, daß die Variabilität früher größer war, daß die phyſiologiſche Umbildung des Raſſentypus zu gewiſſen, für immer feſtſtehenden Reſultaten führte, ſo iſt es auch ſehr leicht verſtändlich, daß alle Umbildung durch äußere Einflüſſe heute ihre feſten Grenzen hat, daß man ſagen konnte, jedenfalls nicht das Klima, in dem die Kaukaſier in den letzten Jahrhunderten, ſondern das, in dem ſie früher viele Jahrtauſende lebten, hätte ihnen ſeinen Stempel aufgedrückt. — Zu den äußeren Einflüſſen, welche auf die körperliche und geiſtige Konſtitution der Menſchengruppen wirken, gehören nun auch Lebensweiſe, Beſchäftigung, Ernährung und Erziehung. Bleiben wir zunächſt bei den drei erſteren, ſo haben ſie ſicher einen größeren Einfluß als das Klima; ſoweit das letztere wirkt, geſchieht es weſentlich durch ſie. Wenn Ratzel ſagt, der Araber erhielt als Hirte, Nomade, Reiter, Räuber mit der Zeit anders gebaute Gliedmaßen als der Ägypter, der ſeit Jahrtauſenden Laſten trägt, hackt, pflügt, Waſſer ſchöpft, ſo hat er ſicher recht. Die auf ſolche Weiſe aus- gebildete Verſchiedenheit der Völkertypen ſetzt ſich in der ſocialen Klaſſenbildung fort, wie wir unten ſehen werden, hat aber innerhalb desſelben Volkes immer ein Gegengewicht in der Blutsmiſchung der Klaſſen und der einheitlichen geiſtig-moraliſchen Atmoſphäre, welche auf die Völker im ganzen wirkt. Dieſe Gegenwirkungen fehlen, ſoweit getrennt wohnende Stämme und Völker durch verſchiedene Lebensweiſe und Beſchäftigung differenziert werden. Ob die Erziehung und aller Einfluß geiſtiger Faktoren, wie Sprache, Sitte, Recht, all’ das, was wir oben (S. 15 ff.) unter dem Begriff der geiſtigen Kollektivkräfte zuſammengefaßt haben, den Raſſen- und Völkertypus überhaupt beeinfluſſe und in welchem Maße, iſt eine vielerörterte Frage. Locke, Hume, Helvetius, Lamarque und ſeine Nachfolger, heute die Socialiſten und manche Sociologen, z. B. Babington, ſind geneigt, auf dieſe Urſachen allein den Volkscharakter wie den der Individuen zurück- zuführen. Die Theorie von der Wirkung des „Milien“ wird überſpannt: ſociale und Erziehungseinrichtungen ſollen aus jedem Menſchen alles machen können. Es iſt die der Überſchätzung des Natureinfluſſes entgegengeſetzte Übertreibung. So viel iſt richtig, daß der einzelne, die Klaſſe, das Volk zwar einerſeits unter der Herrſchaft ererbter Eigenſchaften, Inſtinkte, unbewußter Gefühle und Willens- regungen, andererſeits aber unter dem Einfluß des großen geiſtigen Fluidums ſtehen, das ſie umgiebt, das durch Nachahmung, Erziehung und geſellſchaftliche Berührung wirkt. Die Abgrenzung dieſer zwei Urſachenreihen iſt um ſo ſchwieriger, als jede dauernde Wirkung der letzteren Art zu Sitte und Gewohnheit wird, ſich nach und nach auch phyſiologiſch im körperlichen Organismus ausprägt und ſo beginnt, in das Bereich der vererblichen Faktoren überzugehen. Iſt ſo der Gegenſatz der erblichen und der durch geiſtige Beeinfluſſung neu geſchaffenen Eigenſchaften kein ſchroffer ſondern nur ein gradueller, ſo iſt damit auch zugegeben, daß die durch Erziehung oder ſonſtwie erfolgende Abſtempelung der Individuen und weiterer Kreiſe eben in dem Maße Typen bildend ſei, als es ſich um dauernde Einflüſſe handelt. Es iſt klar, daß die geiſtige Umgebung, die dauernd in gewiſſer Richtung wirkt, zu einer Stütze und Vorausſetzung für gewiſſe Züge des Volks- und Raſſencharakters wird. Zugleich aber werden wir betonen, daß jedes Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 10

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/161>, abgerufen am 28.03.2024.