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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die historische Bedeutung der patriarchalischen Familie. Die neuere Kleinfamilie.
wie diese zur Muttergruppe. Ihre allgemeine Struktur, eine gewisse vaterrechtliche
Gewalt, die Zusammensetzung aus Mann, Frau, Kindern und Dienstboten bleibt; ebenso
die Thatsache, daß die zusammenlebenden Eltern und Kinder in freiem Geben und
Nehmen, in freier gegenseitiger Unterstützung im ganzen aus einer gemeinsamen Kasse
ohne Abrechnung und Bezahlung untereinander wirtschaften; die Einschränkung der
väterlichen Gewalt durch Staatsgesetze, durch die freiere Stellung der Frau, der Kinder,
der Knechte, die Ersetzung des Frauenkaufes durch Verlobung, freie kirchliche oder
bürgerliche Eheschließung, das sind Neuerungen, die längst in der Zeit der patriarcha-
lischen Familienverfassung begannen, nun bloß vollendet werden. Aber die große Ver-
änderung ist doch daneben nicht zu verkennen: die Familie wird kleiner, ihre wirtschaft-
liche Aufgabe wird in der arbeitsteiligen Gesellschaft eine eingeschränktere; eine Reihe
von Funktionen der Familie gehen auf Gemeinde, Kreis, Verbände, Kirche und Schule,
Unternehmungen, den Staat über.

Die patriarchalische Familie war das allseitige Organ für alle wirtschaftlichen
Zwecke gewesen, sie hatte, wenigstens in ihren Spitzen, zugleich politischen, kriegerischen,
Verwaltungs- und anderen Aufgaben gedient; sie war, so lange sie blühte, das aus-
schließlich dominierende Unterorgan der Gesellschaft und des Staates überhaupt gewesen.
In dem Maße, wie nun teils aus der Familie, teils unabhängig von ihr eine Reihe
anderer gesellschaftlicher Organe mit specialisierten Zwecken entstanden, mußte die Familie
in ihrer allseitigen Thätigkeit eingeschränkt, sowie auf eine geringere Zahl von Personen
beschränkt werden. Wenn die patriarchalische Familie mindestens aus 10, oft aus 20
und mehr Gliedern bestand, so zählt die neuere, so weit man sie statistisch verfolgen
kann, 6, 5, ja nur 4 und 3,2 im Durchschnitt. Die verheirateten Kinder bleiben selten
bei den Eltern; erwachsene und verheiratete Geschwister bilden nicht mehr eine ungeteilte
Hausgemeinschaft wie einstens; die heranwachsenden Söhne und Töchter verlassen früher
das elterliche Haus, um anderswo zu lernen, eine Stellung zu suchen; die Zahl der
Knechte und Mägde ist um so geringer, je höher die wirtschaftliche Arbeitsteilung steht.
Die Eltern, einige unerwachsene Kinder, in den höheren Klassen ein oder ein paar
Dienstboten machen die Familie aus, sie genügen für den Haushalt, der nicht mehr,
wie einstens, möglichst viel selbst produzieren, sondern, könnte man sagen, möglichst viel
fertig einkaufen will. Nicht mehr die Produktion, sondern die Herrichtung für die
Konsumtion ist seine Aufgabe: vieles, was vor 60 Jahren noch im Haushalt geschah,
wie Spinnen, Weben, Kleidermachen, Backen, Schlachten, Waschen, ist selbst auf dem
Lande teilweise aus der Familienthätigkeit ausgeschaltet: nur das Kochen, Kleiderreinigen,
die Wohnung in Ordnung halten, die Kinder warten und erziehen, die kleinen Freuden
des Familienlebens ermöglichen und vorbereiten, das ist der gegen früher so sehr ein-
geschränkte Zweck der Hauswirtschaft, deren Leitung nun ausschließlich oder überwiegend
der Frau zufällt. Wenn schon ein römischer Ehemann auf das Grabmal seiner Gattin
als höchstes Lob schrieb: domum servavit, lanam fecit, so umschrieb er damit den
wesentlichen Inhalt der hauswirtschaftlichen Thätigkeit in den arbeitsteiligen Kultur-
staaten überhaupt. Der Ehemann, oft auch erwachsene Söhne und andere Glieder der
Familie gehören der Familie nur noch als genießende, nicht als eigentlich arbeitende
Glieder an. Ihre Thätigkeit ist hinaus verlegt in die anderweiten socialen Organi-
sationen.

Der Anfang zu dieser Ausscheidung ist alt. Wo die großen herrschaftlich-patri-
archalischen Haushalte einen allzu großen Umfang erreichten, wo man nicht mehr alle
Diener, Sklaven, Hörige oder Gefolgsleute selbst beköstigen und bekleiden wollte, da
wies man diesen dienenden Kräften besondere Hütten, Grundstücke, Natural- oder Geld-
einkünfte zu, und so entstanden kleine Sonderhaushalte und Familienwirtschaften, deren
Väter auf dem Herrenhofe dienten, deren übrige Glieder das zugewiesene Feld bebauten,
für Speise, Trank, Kleidung und die anderen kleinen Tagesbedürfnisse ihrer Familie
selbst sorgten. Das in Naturalien, Bodennutzung oder Geld bestehende, vom Vater
allein oder jedenfalls nur von 2--3 Familiengliedern verdiente Einkommen begann die
wesentliche Grundlage der wirtschaftlichen Existenz der Familie zu werden.

Die hiſtoriſche Bedeutung der patriarchaliſchen Familie. Die neuere Kleinfamilie.
wie dieſe zur Muttergruppe. Ihre allgemeine Struktur, eine gewiſſe vaterrechtliche
Gewalt, die Zuſammenſetzung aus Mann, Frau, Kindern und Dienſtboten bleibt; ebenſo
die Thatſache, daß die zuſammenlebenden Eltern und Kinder in freiem Geben und
Nehmen, in freier gegenſeitiger Unterſtützung im ganzen aus einer gemeinſamen Kaſſe
ohne Abrechnung und Bezahlung untereinander wirtſchaften; die Einſchränkung der
väterlichen Gewalt durch Staatsgeſetze, durch die freiere Stellung der Frau, der Kinder,
der Knechte, die Erſetzung des Frauenkaufes durch Verlobung, freie kirchliche oder
bürgerliche Eheſchließung, das ſind Neuerungen, die längſt in der Zeit der patriarcha-
liſchen Familienverfaſſung begannen, nun bloß vollendet werden. Aber die große Ver-
änderung iſt doch daneben nicht zu verkennen: die Familie wird kleiner, ihre wirtſchaft-
liche Aufgabe wird in der arbeitsteiligen Geſellſchaft eine eingeſchränktere; eine Reihe
von Funktionen der Familie gehen auf Gemeinde, Kreis, Verbände, Kirche und Schule,
Unternehmungen, den Staat über.

Die patriarchaliſche Familie war das allſeitige Organ für alle wirtſchaftlichen
Zwecke geweſen, ſie hatte, wenigſtens in ihren Spitzen, zugleich politiſchen, kriegeriſchen,
Verwaltungs- und anderen Aufgaben gedient; ſie war, ſo lange ſie blühte, das aus-
ſchließlich dominierende Unterorgan der Geſellſchaft und des Staates überhaupt geweſen.
In dem Maße, wie nun teils aus der Familie, teils unabhängig von ihr eine Reihe
anderer geſellſchaftlicher Organe mit ſpecialiſierten Zwecken entſtanden, mußte die Familie
in ihrer allſeitigen Thätigkeit eingeſchränkt, ſowie auf eine geringere Zahl von Perſonen
beſchränkt werden. Wenn die patriarchaliſche Familie mindeſtens aus 10, oft aus 20
und mehr Gliedern beſtand, ſo zählt die neuere, ſo weit man ſie ſtatiſtiſch verfolgen
kann, 6, 5, ja nur 4 und 3,2 im Durchſchnitt. Die verheirateten Kinder bleiben ſelten
bei den Eltern; erwachſene und verheiratete Geſchwiſter bilden nicht mehr eine ungeteilte
Hausgemeinſchaft wie einſtens; die heranwachſenden Söhne und Töchter verlaſſen früher
das elterliche Haus, um anderswo zu lernen, eine Stellung zu ſuchen; die Zahl der
Knechte und Mägde iſt um ſo geringer, je höher die wirtſchaftliche Arbeitsteilung ſteht.
Die Eltern, einige unerwachſene Kinder, in den höheren Klaſſen ein oder ein paar
Dienſtboten machen die Familie aus, ſie genügen für den Haushalt, der nicht mehr,
wie einſtens, möglichſt viel ſelbſt produzieren, ſondern, könnte man ſagen, möglichſt viel
fertig einkaufen will. Nicht mehr die Produktion, ſondern die Herrichtung für die
Konſumtion iſt ſeine Aufgabe: vieles, was vor 60 Jahren noch im Haushalt geſchah,
wie Spinnen, Weben, Kleidermachen, Backen, Schlachten, Waſchen, iſt ſelbſt auf dem
Lande teilweiſe aus der Familienthätigkeit ausgeſchaltet: nur das Kochen, Kleiderreinigen,
die Wohnung in Ordnung halten, die Kinder warten und erziehen, die kleinen Freuden
des Familienlebens ermöglichen und vorbereiten, das iſt der gegen früher ſo ſehr ein-
geſchränkte Zweck der Hauswirtſchaft, deren Leitung nun ausſchließlich oder überwiegend
der Frau zufällt. Wenn ſchon ein römiſcher Ehemann auf das Grabmal ſeiner Gattin
als höchſtes Lob ſchrieb: domum servavit, lanam fecit, ſo umſchrieb er damit den
weſentlichen Inhalt der hauswirtſchaftlichen Thätigkeit in den arbeitsteiligen Kultur-
ſtaaten überhaupt. Der Ehemann, oft auch erwachſene Söhne und andere Glieder der
Familie gehören der Familie nur noch als genießende, nicht als eigentlich arbeitende
Glieder an. Ihre Thätigkeit iſt hinaus verlegt in die anderweiten ſocialen Organi-
ſationen.

Der Anfang zu dieſer Ausſcheidung iſt alt. Wo die großen herrſchaftlich-patri-
archaliſchen Haushalte einen allzu großen Umfang erreichten, wo man nicht mehr alle
Diener, Sklaven, Hörige oder Gefolgsleute ſelbſt beköſtigen und bekleiden wollte, da
wies man dieſen dienenden Kräften beſondere Hütten, Grundſtücke, Natural- oder Geld-
einkünfte zu, und ſo entſtanden kleine Sonderhaushalte und Familienwirtſchaften, deren
Väter auf dem Herrenhofe dienten, deren übrige Glieder das zugewieſene Feld bebauten,
für Speiſe, Trank, Kleidung und die anderen kleinen Tagesbedürfniſſe ihrer Familie
ſelbſt ſorgten. Das in Naturalien, Bodennutzung oder Geld beſtehende, vom Vater
allein oder jedenfalls nur von 2—3 Familiengliedern verdiente Einkommen begann die
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[245/0261] Die hiſtoriſche Bedeutung der patriarchaliſchen Familie. Die neuere Kleinfamilie. wie dieſe zur Muttergruppe. Ihre allgemeine Struktur, eine gewiſſe vaterrechtliche Gewalt, die Zuſammenſetzung aus Mann, Frau, Kindern und Dienſtboten bleibt; ebenſo die Thatſache, daß die zuſammenlebenden Eltern und Kinder in freiem Geben und Nehmen, in freier gegenſeitiger Unterſtützung im ganzen aus einer gemeinſamen Kaſſe ohne Abrechnung und Bezahlung untereinander wirtſchaften; die Einſchränkung der väterlichen Gewalt durch Staatsgeſetze, durch die freiere Stellung der Frau, der Kinder, der Knechte, die Erſetzung des Frauenkaufes durch Verlobung, freie kirchliche oder bürgerliche Eheſchließung, das ſind Neuerungen, die längſt in der Zeit der patriarcha- liſchen Familienverfaſſung begannen, nun bloß vollendet werden. Aber die große Ver- änderung iſt doch daneben nicht zu verkennen: die Familie wird kleiner, ihre wirtſchaft- liche Aufgabe wird in der arbeitsteiligen Geſellſchaft eine eingeſchränktere; eine Reihe von Funktionen der Familie gehen auf Gemeinde, Kreis, Verbände, Kirche und Schule, Unternehmungen, den Staat über. Die patriarchaliſche Familie war das allſeitige Organ für alle wirtſchaftlichen Zwecke geweſen, ſie hatte, wenigſtens in ihren Spitzen, zugleich politiſchen, kriegeriſchen, Verwaltungs- und anderen Aufgaben gedient; ſie war, ſo lange ſie blühte, das aus- ſchließlich dominierende Unterorgan der Geſellſchaft und des Staates überhaupt geweſen. In dem Maße, wie nun teils aus der Familie, teils unabhängig von ihr eine Reihe anderer geſellſchaftlicher Organe mit ſpecialiſierten Zwecken entſtanden, mußte die Familie in ihrer allſeitigen Thätigkeit eingeſchränkt, ſowie auf eine geringere Zahl von Perſonen beſchränkt werden. Wenn die patriarchaliſche Familie mindeſtens aus 10, oft aus 20 und mehr Gliedern beſtand, ſo zählt die neuere, ſo weit man ſie ſtatiſtiſch verfolgen kann, 6, 5, ja nur 4 und 3,2 im Durchſchnitt. Die verheirateten Kinder bleiben ſelten bei den Eltern; erwachſene und verheiratete Geſchwiſter bilden nicht mehr eine ungeteilte Hausgemeinſchaft wie einſtens; die heranwachſenden Söhne und Töchter verlaſſen früher das elterliche Haus, um anderswo zu lernen, eine Stellung zu ſuchen; die Zahl der Knechte und Mägde iſt um ſo geringer, je höher die wirtſchaftliche Arbeitsteilung ſteht. Die Eltern, einige unerwachſene Kinder, in den höheren Klaſſen ein oder ein paar Dienſtboten machen die Familie aus, ſie genügen für den Haushalt, der nicht mehr, wie einſtens, möglichſt viel ſelbſt produzieren, ſondern, könnte man ſagen, möglichſt viel fertig einkaufen will. Nicht mehr die Produktion, ſondern die Herrichtung für die Konſumtion iſt ſeine Aufgabe: vieles, was vor 60 Jahren noch im Haushalt geſchah, wie Spinnen, Weben, Kleidermachen, Backen, Schlachten, Waſchen, iſt ſelbſt auf dem Lande teilweiſe aus der Familienthätigkeit ausgeſchaltet: nur das Kochen, Kleiderreinigen, die Wohnung in Ordnung halten, die Kinder warten und erziehen, die kleinen Freuden des Familienlebens ermöglichen und vorbereiten, das iſt der gegen früher ſo ſehr ein- geſchränkte Zweck der Hauswirtſchaft, deren Leitung nun ausſchließlich oder überwiegend der Frau zufällt. Wenn ſchon ein römiſcher Ehemann auf das Grabmal ſeiner Gattin als höchſtes Lob ſchrieb: domum servavit, lanam fecit, ſo umſchrieb er damit den weſentlichen Inhalt der hauswirtſchaftlichen Thätigkeit in den arbeitsteiligen Kultur- ſtaaten überhaupt. Der Ehemann, oft auch erwachſene Söhne und andere Glieder der Familie gehören der Familie nur noch als genießende, nicht als eigentlich arbeitende Glieder an. Ihre Thätigkeit iſt hinaus verlegt in die anderweiten ſocialen Organi- ſationen. Der Anfang zu dieſer Ausſcheidung iſt alt. Wo die großen herrſchaftlich-patri- archaliſchen Haushalte einen allzu großen Umfang erreichten, wo man nicht mehr alle Diener, Sklaven, Hörige oder Gefolgsleute ſelbſt beköſtigen und bekleiden wollte, da wies man dieſen dienenden Kräften beſondere Hütten, Grundſtücke, Natural- oder Geld- einkünfte zu, und ſo entſtanden kleine Sonderhaushalte und Familienwirtſchaften, deren Väter auf dem Herrenhofe dienten, deren übrige Glieder das zugewieſene Feld bebauten, für Speiſe, Trank, Kleidung und die anderen kleinen Tagesbedürfniſſe ihrer Familie ſelbſt ſorgten. Das in Naturalien, Bodennutzung oder Geld beſtehende, vom Vater allein oder jedenfalls nur von 2—3 Familiengliedern verdiente Einkommen begann die weſentliche Grundlage der wirtſchaftlichen Exiſtenz der Familie zu werden.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/261>, abgerufen am 28.03.2024.