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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
selten. Der Spinner war selbständiger Unternehmer, Eigen-
thümer des von ihm verarbeiteten Rohstoffs. Strenge
gehandhabte Vorschriften über den Flachshandel, über
die Garnmaße und Benennungen, über die Zahl der
Fäden, welche eine Strähne, ein Gebinde enthalten
mußte, über getrennten Verkauf von Kette und Schuß-
garn erhielten die Geschäfte reell, schafften den Produkten
Vertrauen im Ausland.

Während so in Deutschland die Spinnerei neben
der Weberei sich entwickelt hatte, mußten andere Länder
ihr Leinengarn für die Weberei aus dem Ausland
beziehen. So besonders Irland, das schon damals eine
nicht unbedeutende Leinenweberei hatte. Irland allein
bezog jährlich etwa 16 Millionen Pfund deutsches und
holländisches Leinengarn. 1 Da mußte, nach der Erfin-
dung der Baumwollspinnmaschine, der Gedanke nahe
liegen, diese Maschine auch für die Flachsspinnerei zu
verwenden. Aber es stellten sich diesem Versuche die
größten Schwierigkeiten entgegen. Der Flachs erträgt
das gleichmäßige Ziehen der Maschine viel weniger als
die Baumwolle, die Anfeuchtung des ausgezogenen
Flachses durch die Spinner wußte man lange nicht zu
ersetzen. Die Herstellung der Maschinen war sehr kost-
spielig; die ersten mechanischen Flachsspinnereien arbeite-
ten unvollkommen und theuer. Weder die feinen, noch
die ganz groben Nummern konnte man vorerst auf der
Maschine spinnen.

1 Zollvereinsblatt, Jahrg. 1843, S. 969 ff. Ueber die
deutsche Leinenindustrie und den deutschen Leinwandhandel.

Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
ſelten. Der Spinner war ſelbſtändiger Unternehmer, Eigen-
thümer des von ihm verarbeiteten Rohſtoffs. Strenge
gehandhabte Vorſchriften über den Flachshandel, über
die Garnmaße und Benennungen, über die Zahl der
Fäden, welche eine Strähne, ein Gebinde enthalten
mußte, über getrennten Verkauf von Kette und Schuß-
garn erhielten die Geſchäfte reell, ſchafften den Produkten
Vertrauen im Ausland.

Während ſo in Deutſchland die Spinnerei neben
der Weberei ſich entwickelt hatte, mußten andere Länder
ihr Leinengarn für die Weberei aus dem Ausland
beziehen. So beſonders Irland, das ſchon damals eine
nicht unbedeutende Leinenweberei hatte. Irland allein
bezog jährlich etwa 16 Millionen Pfund deutſches und
holländiſches Leinengarn. 1 Da mußte, nach der Erfin-
dung der Baumwollſpinnmaſchine, der Gedanke nahe
liegen, dieſe Maſchine auch für die Flachsſpinnerei zu
verwenden. Aber es ſtellten ſich dieſem Verſuche die
größten Schwierigkeiten entgegen. Der Flachs erträgt
das gleichmäßige Ziehen der Maſchine viel weniger als
die Baumwolle, die Anfeuchtung des ausgezogenen
Flachſes durch die Spinner wußte man lange nicht zu
erſetzen. Die Herſtellung der Maſchinen war ſehr koſt-
ſpielig; die erſten mechaniſchen Flachsſpinnereien arbeite-
ten unvollkommen und theuer. Weder die feinen, noch
die ganz groben Nummern konnte man vorerſt auf der
Maſchine ſpinnen.

1 Zollvereinsblatt, Jahrg. 1843, S. 969 ff. Ueber die
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[458/0480] Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. ſelten. Der Spinner war ſelbſtändiger Unternehmer, Eigen- thümer des von ihm verarbeiteten Rohſtoffs. Strenge gehandhabte Vorſchriften über den Flachshandel, über die Garnmaße und Benennungen, über die Zahl der Fäden, welche eine Strähne, ein Gebinde enthalten mußte, über getrennten Verkauf von Kette und Schuß- garn erhielten die Geſchäfte reell, ſchafften den Produkten Vertrauen im Ausland. Während ſo in Deutſchland die Spinnerei neben der Weberei ſich entwickelt hatte, mußten andere Länder ihr Leinengarn für die Weberei aus dem Ausland beziehen. So beſonders Irland, das ſchon damals eine nicht unbedeutende Leinenweberei hatte. Irland allein bezog jährlich etwa 16 Millionen Pfund deutſches und holländiſches Leinengarn. 1 Da mußte, nach der Erfin- dung der Baumwollſpinnmaſchine, der Gedanke nahe liegen, dieſe Maſchine auch für die Flachsſpinnerei zu verwenden. Aber es ſtellten ſich dieſem Verſuche die größten Schwierigkeiten entgegen. Der Flachs erträgt das gleichmäßige Ziehen der Maſchine viel weniger als die Baumwolle, die Anfeuchtung des ausgezogenen Flachſes durch die Spinner wußte man lange nicht zu erſetzen. Die Herſtellung der Maſchinen war ſehr koſt- ſpielig; die erſten mechaniſchen Flachsſpinnereien arbeite- ten unvollkommen und theuer. Weder die feinen, noch die ganz groben Nummern konnte man vorerſt auf der Maſchine ſpinnen. 1 Zollvereinsblatt, Jahrg. 1843, S. 969 ff. Ueber die deutſche Leineninduſtrie und den deutſchen Leinwandhandel.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/480>, abgerufen am 24.04.2024.