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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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ich aber so unglücklich, demjenigen, der mich tou-
chir
et hatte, einen solchen Circumflexum über den
Hirnschädel zuschreiben, wovon er augenblicklich
zu Boden sincken, und als ein halb-toder Mensch
aufs Stroh gelegt werden mußte.

Wäre ich so vernünfftig gewesen, gleich meines
Wegs über die Grentze zu gehen, so hätte es seiten
meiner weiter nichts zubedeuten gehabt, denn mei-
ne Sachen, die in lauter Büchern und Kleidern
bestunden, würden meine guten Freunde gar bald
in Sicherheit gebracht haben; allein meine Thorheit
bildete sich ein, noch Recht überley zu haben, dero-
wegen ging ich ohne Scheu in mein Logis, erzehlete
die gehabten Fatalitäten, trunck mit meiner Amasia
noch einen Coffee, und legte mich hernach aufs Ohr.
Da aber mein guter Kramer kaum zwey oder drey
Stunden geschlafen hatte, meldete sich der Herr
Pedell, nebst hinter sich habenden Handgreiflichen
Anwalden, (denn solchen Titul haben sich in diesem
Seculo die Herren Häscher beygelegt) und führeten
ihn in die Custodiam.

Es brauchte hier kein langes Kopfbrechens und
Fragens nach den gewöhnlichen Oratorischen Be-
helffs Worten: Quis? quid? ubi? quibus auxiliis?
cur? quomodo? quando?
sondern ich konte mir
leicht die Rechnung machen, daß mein kunstmäßig
gezogener Circumflexus, diese übeln Suiten nach
sich gezogen, und vielleicht noch üblere nach sich zie-
hen könte, zumahl da es hieß, daß an des Patienten
Aufkommen gar sehr gezweifelt würde. Man ver-
gönnete mir zwar, aus meinem Logis die Speisen zu
empfangen, doch durffte der Uberbringer kein Wort

mit

ich aber ſo ungluͤcklich, demjenigen, der mich tou-
chir
et hatte, einen ſolchen Circumflexum uͤber den
Hirnſchaͤdel zuſchreiben, wovon er augenblicklich
zu Boden ſincken, und als ein halb-toder Menſch
aufs Stroh gelegt werden mußte.

Waͤre ich ſo vernuͤnfftig geweſen, gleich meines
Wegs uͤber die Grentze zu gehen, ſo haͤtte es ſeiten
meiner weiter nichts zubedeuten gehabt, denn mei-
ne Sachen, die in lauter Buͤchern und Kleidern
beſtunden, wuͤrden meine guten Freunde gar bald
in Sicherheit gebracht haben; allein meine Thorheit
bildete ſich ein, noch Recht uͤberley zu haben, dero-
wegen ging ich ohne Scheu in mein Logis, erzehlete
die gehabten Fatalitaͤten, trunck mit meiner Amaſia
noch einen Coffeé, und legte mich hernach aufs Ohr.
Da aber mein guter Kramer kaum zwey oder drey
Stunden geſchlafen hatte, meldete ſich der Herr
Pedell, nebſt hinter ſich habenden Handgreiflichen
Anwalden, (denn ſolchen Titul haben ſich in dieſem
Seculo die Herren Haͤſcher beygelegt) und fuͤhreten
ihn in die Cuſtodiam.

Es brauchte hier kein langes Kopfbrechens und
Fragens nach den gewoͤhnlichen Oratoriſchen Be-
helffs Worten: Quis? quid? ubi? quibus auxiliis?
cur? quomodo? quando?
ſondern ich konte mir
leicht die Rechnung machen, daß mein kunſtmaͤßig
gezogener Circumflexus, dieſe uͤbeln Suiten nach
ſich gezogen, und vielleicht noch uͤblere nach ſich zie-
hen koͤnte, zumahl da es hieß, daß an des Patienten
Aufkommen gar ſehr gezweifelt wuͤrde. Man ver-
goͤnnete mir zwar, aus meinem Logis die Speiſen zu
empfangen, doch durffte der Uberbringer kein Wort

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[210/0224] ich aber ſo ungluͤcklich, demjenigen, der mich tou- chiret hatte, einen ſolchen Circumflexum uͤber den Hirnſchaͤdel zuſchreiben, wovon er augenblicklich zu Boden ſincken, und als ein halb-toder Menſch aufs Stroh gelegt werden mußte. Waͤre ich ſo vernuͤnfftig geweſen, gleich meines Wegs uͤber die Grentze zu gehen, ſo haͤtte es ſeiten meiner weiter nichts zubedeuten gehabt, denn mei- ne Sachen, die in lauter Buͤchern und Kleidern beſtunden, wuͤrden meine guten Freunde gar bald in Sicherheit gebracht haben; allein meine Thorheit bildete ſich ein, noch Recht uͤberley zu haben, dero- wegen ging ich ohne Scheu in mein Logis, erzehlete die gehabten Fatalitaͤten, trunck mit meiner Amaſia noch einen Coffeé, und legte mich hernach aufs Ohr. Da aber mein guter Kramer kaum zwey oder drey Stunden geſchlafen hatte, meldete ſich der Herr Pedell, nebſt hinter ſich habenden Handgreiflichen Anwalden, (denn ſolchen Titul haben ſich in dieſem Seculo die Herren Haͤſcher beygelegt) und fuͤhreten ihn in die Cuſtodiam. Es brauchte hier kein langes Kopfbrechens und Fragens nach den gewoͤhnlichen Oratoriſchen Be- helffs Worten: Quis? quid? ubi? quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? ſondern ich konte mir leicht die Rechnung machen, daß mein kunſtmaͤßig gezogener Circumflexus, dieſe uͤbeln Suiten nach ſich gezogen, und vielleicht noch uͤblere nach ſich zie- hen koͤnte, zumahl da es hieß, daß an des Patienten Aufkommen gar ſehr gezweifelt wuͤrde. Man ver- goͤnnete mir zwar, aus meinem Logis die Speiſen zu empfangen, doch durffte der Uberbringer kein Wort mit

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/224>, abgerufen am 23.04.2024.