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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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Leib und Leben gefangen sitzender Delinquente,
Tags und Nachts hindurch verbleiben mußte. Dem
ohngeacht fruchteten ihre beständig mühsamen Leh-
ren nicht das allergeringste bey mir, sondern ich
wurde nur immer desto mehr in meinem Vorsatze
bestärckt, die reine Evangelisch-Lutherische Lehre
nicht zu verschwören, und solte es auch gleich mein
junges Leben kosten. Solchergestalt wurde mir
nicht allein aufs neue mit der täglichen Geisselung
gedrohet, sondern man finge auch würcklich an,
mich wieder mit blossem Wasser und Brod zu spei-
sen, welches mir doch der gütige Himmel weit besser
als die andern Lecker-Bissen gedeyhen ließ. Weni-
ge Tage hernach, bekam ich dennoch andere bessere
Speisen, vermerckte aber in den Gesichtern aller de-
rer, so bey mir aus- und eingiengen, eine allgemeine
Bestürtzung und etwas schwächern Eifer, mich zu
quälen oder umzukehren, glaubte derowegen, man
würde mich vielleicht unter gewissen Bedingungen
ehestens meiner Wege lauffen lassen. Allein es war
weit gefehlt, denn wie ich nachhero erfahren und
wohl erwogen, so sind meine Widersacher aus kei-
ner andern Ursache dermassen bestürtzt gewesen,
als weil sich eine, in der Stadt grassirende gifftige
Seuche, auch in ihrem Collegio angemeldet, und et-
liche, so wohl Junge als Alte, plötzlich hinweg gerafft
hatte. Endlich wurde ich in einer gewissen Nacht
unverhofft aus dem ersten Schlafe gestöhret, und
von einem Bedienten, der alle meine ordentlichen
Kleider mit sich brachte, angestrenget, mich aufs hur-
tigste anzukleiden. Die Einbildung, daß meine
Erlösungs-Stunde nunmehro erschienen sey, mach-

te

Leib und Leben gefangen ſitzender Delinquente,
Tags und Nachts hindurch verbleiben mußte. Dem
ohngeacht fruchteten ihre beſtaͤndig muͤhſamen Leh-
ren nicht das allergeringſte bey mir, ſondern ich
wurde nur immer deſto mehr in meinem Vorſatze
beſtaͤrckt, die reine Evangeliſch-Lutheriſche Lehre
nicht zu verſchwoͤren, und ſolte es auch gleich mein
junges Leben koſten. Solchergeſtalt wurde mir
nicht allein aufs neue mit der taͤglichen Geiſſelung
gedrohet, ſondern man finge auch wuͤrcklich an,
mich wieder mit bloſſem Waſſer und Brod zu ſpei-
ſen, welches mir doch der guͤtige Himmel weit beſſer
als die andern Lecker-Biſſen gedeyhen ließ. Weni-
ge Tage hernach, bekam ich dennoch andere beſſere
Speiſen, vermerckte aber in den Geſichtern aller de-
rer, ſo bey mir aus- und eingiengen, eine allgemeine
Beſtuͤrtzung und etwas ſchwaͤchern Eifer, mich zu
quaͤlen oder umzukehren, glaubte derowegen, man
wuͤrde mich vielleicht unter gewiſſen Bedingungen
eheſtens meiner Wege lauffen laſſen. Allein es war
weit gefehlt, denn wie ich nachhero erfahren und
wohl erwogen, ſo ſind meine Widerſacher aus kei-
ner andern Urſache dermaſſen beſtuͤrtzt geweſen,
als weil ſich eine, in der Stadt grasſirende gifftige
Seuche, auch in ihrem Collegio angemeldet, und et-
liche, ſo wohl Junge als Alte, ploͤtzlich hinweg gerafft
hatte. Endlich wurde ich in einer gewiſſen Nacht
unverhofft aus dem erſten Schlafe geſtoͤhret, und
von einem Bedienten, der alle meine ordentlichen
Kleider mit ſich brachte, angeſtrenget, mich aufs hur-
tigſte anzukleiden. Die Einbildung, daß meine
Erloͤſungs-Stunde nunmehro erſchienen ſey, mach-

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[24/0038] Leib und Leben gefangen ſitzender Delinquente, Tags und Nachts hindurch verbleiben mußte. Dem ohngeacht fruchteten ihre beſtaͤndig muͤhſamen Leh- ren nicht das allergeringſte bey mir, ſondern ich wurde nur immer deſto mehr in meinem Vorſatze beſtaͤrckt, die reine Evangeliſch-Lutheriſche Lehre nicht zu verſchwoͤren, und ſolte es auch gleich mein junges Leben koſten. Solchergeſtalt wurde mir nicht allein aufs neue mit der taͤglichen Geiſſelung gedrohet, ſondern man finge auch wuͤrcklich an, mich wieder mit bloſſem Waſſer und Brod zu ſpei- ſen, welches mir doch der guͤtige Himmel weit beſſer als die andern Lecker-Biſſen gedeyhen ließ. Weni- ge Tage hernach, bekam ich dennoch andere beſſere Speiſen, vermerckte aber in den Geſichtern aller de- rer, ſo bey mir aus- und eingiengen, eine allgemeine Beſtuͤrtzung und etwas ſchwaͤchern Eifer, mich zu quaͤlen oder umzukehren, glaubte derowegen, man wuͤrde mich vielleicht unter gewiſſen Bedingungen eheſtens meiner Wege lauffen laſſen. Allein es war weit gefehlt, denn wie ich nachhero erfahren und wohl erwogen, ſo ſind meine Widerſacher aus kei- ner andern Urſache dermaſſen beſtuͤrtzt geweſen, als weil ſich eine, in der Stadt grasſirende gifftige Seuche, auch in ihrem Collegio angemeldet, und et- liche, ſo wohl Junge als Alte, ploͤtzlich hinweg gerafft hatte. Endlich wurde ich in einer gewiſſen Nacht unverhofft aus dem erſten Schlafe geſtoͤhret, und von einem Bedienten, der alle meine ordentlichen Kleider mit ſich brachte, angeſtrenget, mich aufs hur- tigſte anzukleiden. Die Einbildung, daß meine Erloͤſungs-Stunde nunmehro erſchienen ſey, mach- te

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/38>, abgerufen am 28.03.2024.