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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846.

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Bruder", versetzte der Sioux lächelnd. "Muß doch
Jeder, der darin wandert, seinen Weg zum Wasser
nehmen, und so suchte ich dich gleich am Flusse; auch
zeigte sich mir deine und Bruno's Spur im hohen
Grase; o, ich kenne deine Spur, Bleichgesicht!" fügte
er betheuernd hinzu. "Aber schelten muß ich mit dir,
Bruder", fuhr er nach einer Weile fort.

-- "Schelten, Waupee? Was hätte ich dir ge-
than?"

-- "Mir nichts, gar nichts, mein bleicher Bru-
der," war die Antwort; "aber dir selbst durftest du
Schaden zufügen, indem du, wie ich sehe, dein Nacht-
lager am Ufer des großen Wassers aufschlagen woll-
test. Hast du schon vergessen, wie wir, White-
hawk
und ich, dich fast sterbend hier am Ufer fan-
den, weil du in deiner Unwissenheit dem bösen Geiste
getrotzt, der hier seine Wohnung aufgeschlagen hat,
und mit tödtlicher Krankheit die Verwegenen bestraft,
die Nachts am Wasser schlafen?"

-- "Nein, du gute Rothhaut," versetzte der Eu-
ropäer mit gerührtem Tone und indem er ihm noch-
mals die Hand reichte, "nein, das habe ich noch nicht
vergessen, und auch nicht, daß ihr mich mit euch nahmt
und mir in eurem Wigwam alle nur erdenkliche Pflege
angedeihen ließet, bis mein Leben gerettet und meine
Gesundheit wieder hergestellt war."

Bruder“, verſetzte der Sioux lächelnd. „Muß doch
Jeder, der darin wandert, ſeinen Weg zum Waſſer
nehmen, und ſo ſuchte ich dich gleich am Fluſſe; auch
zeigte ſich mir deine und Bruno’s Spur im hohen
Graſe; o, ich kenne deine Spur, Bleichgeſicht!“ fügte
er betheuernd hinzu. „Aber ſchelten muß ich mit dir,
Bruder“, fuhr er nach einer Weile fort.

— „Schelten, Waupee? Was hätte ich dir ge-
than?“

— „Mir nichts, gar nichts, mein bleicher Bru-
der,“ war die Antwort; „aber dir ſelbſt durfteſt du
Schaden zufügen, indem du, wie ich ſehe, dein Nacht-
lager am Ufer des großen Waſſers aufſchlagen woll-
teſt. Haſt du ſchon vergeſſen, wie wir, White-
hawk
und ich, dich faſt ſterbend hier am Ufer fan-
den, weil du in deiner Unwiſſenheit dem böſen Geiſte
getrotzt, der hier ſeine Wohnung aufgeſchlagen hat,
und mit tödtlicher Krankheit die Verwegenen beſtraft,
die Nachts am Waſſer ſchlafen?“

— „Nein, du gute Rothhaut,“ verſetzte der Eu-
ropäer mit gerührtem Tone und indem er ihm noch-
mals die Hand reichte, „nein, das habe ich noch nicht
vergeſſen, und auch nicht, daß ihr mich mit euch nahmt
und mir in eurem Wigwam alle nur erdenkliche Pflege
angedeihen ließet, bis mein Leben gerettet und meine
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[11/0019] Bruder“, verſetzte der Sioux lächelnd. „Muß doch Jeder, der darin wandert, ſeinen Weg zum Waſſer nehmen, und ſo ſuchte ich dich gleich am Fluſſe; auch zeigte ſich mir deine und Bruno’s Spur im hohen Graſe; o, ich kenne deine Spur, Bleichgeſicht!“ fügte er betheuernd hinzu. „Aber ſchelten muß ich mit dir, Bruder“, fuhr er nach einer Weile fort. — „Schelten, Waupee? Was hätte ich dir ge- than?“ — „Mir nichts, gar nichts, mein bleicher Bru- der,“ war die Antwort; „aber dir ſelbſt durfteſt du Schaden zufügen, indem du, wie ich ſehe, dein Nacht- lager am Ufer des großen Waſſers aufſchlagen woll- teſt. Haſt du ſchon vergeſſen, wie wir, White- hawk und ich, dich faſt ſterbend hier am Ufer fan- den, weil du in deiner Unwiſſenheit dem böſen Geiſte getrotzt, der hier ſeine Wohnung aufgeſchlagen hat, und mit tödtlicher Krankheit die Verwegenen beſtraft, die Nachts am Waſſer ſchlafen?“ — „Nein, du gute Rothhaut,“ verſetzte der Eu- ropäer mit gerührtem Tone und indem er ihm noch- mals die Hand reichte, „nein, das habe ich noch nicht vergeſſen, und auch nicht, daß ihr mich mit euch nahmt und mir in eurem Wigwam alle nur erdenkliche Pflege angedeihen ließet, bis mein Leben gerettet und meine Geſundheit wieder hergeſtellt war.“

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/19>, abgerufen am 25.04.2024.