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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Vierte Vorlesung.
tigsten Mittel an die Hand bekommen resp. in Gestalt derselben be-
reits besitzen, um aus vorhandenen Gemeinnamen in's Unbegrenzte neue
Gemeinnamen zusammenzusetzen oder abzuleiten -- wodurch sie in
den Stand gelangt, mit einem noch verhältnissmässig geringen Namen-
vorrat haushälterisch auszureichen zur Bezeichnung von Vielem.

Es verdient deshalb sorgfältig untersucht zu werden, auf welche
Weise die Wortsprache unser Mal- und Plus-Zeichen wiedergibt; es
muss in's Auge gefasst und konstatirt werden, wie, wenn a, b, c, ... in
Worten charakterisirte Klassen vorstellen, deren identisches Produkt
und Summe ihren verbalen Ausdruck finden.

Für das Nämliche bieten oft sich mehrere Ausdrucksmöglichkeiten
dar, mitunter aber -- werden wir sehen -- auch gleiche Ausdrucks-
weisen für Verschiedenes! -- Ein bedenklicher Umstand, der gelegent-
lich die Gefahr von Missverständnissen hervorruft und der Wortsprache
den Vorwurf mangelhafter Präzision zuziehen muss, von welchem unsre
Formel- oder Zeichensprache frei bleibt.

Um alles auf Interpretation unsrer identischen Operationen, deren
Vor- und Rückübersetzung aus der Wort- in die Zeichensprache Be-
zügliche sogleich vollständig erledigen zu können, setzen wir, ein wenig
vorgreifend, hier schon als bekannt voraus einige Grundeigenschaften
dieser Operationen, die ohnehin unmittelbar einleuchten, aber aller-
dings erst im nächsten Paragraphen formell bewiesen werden -- so
namentlich die in den Theoremen 12) und 13) ausgesprochenen, des-
gleichen die Ausdehnung der Def. (3) auf beliebig viele Klassensym-
bole, wie sie in Zusatz 2 zu Th. 13) geleistet wird.

a) Was die Wiedergabe des identischen Produktes a · b oder a b
(wovon wir also beiläufig wissen, dass es auch einerlei mit b a ist)
mit Worten betrifft, so kann, wenn die Klassen a und b mit Substan-
tiven benannt sind, a b unter Umständen durch ein zusammengesetztes
Hauptwort
ausgedrückt werden. Z. B. a = Neger, b = Sklave, a b =
Negersklave, d. i. ein Neger, welcher ein Sklave, oder ein Sklave, der
Neger ist. So auch "Gold-Münze", "Marmor-Platte", etc.

a') Umgekehrt jedoch lässt sich durchaus nicht, ja bei weitem nicht,
jedes zusammengesetzte Hauptwort in dieser Weise deuten, als iden-
tisches Produkt hinstellen. Schon bei "Tischler-Meister" könnte man
darüber streiten, ob darunter blos ein Tischler zu verstehen sei, der
zugleich Meister ist, ein "Meister unter den Tischlern" oder aber
ein Meister von Tischlern, "Meister der Tischler", der über andre
Tischler als Befehlender und Meister gesetzt ist. Eine Rede aber,

Vierte Vorlesung.
tigsten Mittel an die Hand bekommen resp. in Gestalt derselben be-
reits besitzen, um aus vorhandenen Gemeinnamen in's Unbegrenzte neue
Gemeinnamen zusammenzusetzen oder abzuleiten — wodurch sie in
den Stand gelangt, mit einem noch verhältnissmässig geringen Namen-
vorrat haushälterisch auszureichen zur Bezeichnung von Vielem.

Es verdient deshalb sorgfältig untersucht zu werden, auf welche
Weise die Wortsprache unser Mal- und Plus-Zeichen wiedergibt; es
muss in's Auge gefasst und konstatirt werden, wie, wenn a, b, c, … in
Worten charakterisirte Klassen vorstellen, deren identisches Produkt
und Summe ihren verbalen Ausdruck finden.

Für das Nämliche bieten oft sich mehrere Ausdrucksmöglichkeiten
dar, mitunter aber — werden wir sehen — auch gleiche Ausdrucks-
weisen für Verschiedenes! — Ein bedenklicher Umstand, der gelegent-
lich die Gefahr von Missverständnissen hervorruft und der Wortsprache
den Vorwurf mangelhafter Präzision zuziehen muss, von welchem unsre
Formel- oder Zeichensprache frei bleibt.

Um alles auf Interpretation unsrer identischen Operationen, deren
Vor- und Rückübersetzung aus der Wort- in die Zeichensprache Be-
zügliche sogleich vollständig erledigen zu können, setzen wir, ein wenig
vorgreifend, hier schon als bekannt voraus einige Grundeigenschaften
dieser Operationen, die ohnehin unmittelbar einleuchten, aber aller-
dings erst im nächsten Paragraphen formell bewiesen werden — so
namentlich die in den Theoremen 12) und 13) ausgesprochenen, des-
gleichen die Ausdehnung der Def. (3) auf beliebig viele Klassensym-
bole, wie sie in Zusatz 2 zu Th. 13) geleistet wird.

α) Was die Wiedergabe des identischen Produktes a · b oder a b
(wovon wir also beiläufig wissen, dass es auch einerlei mit b a ist)
mit Worten betrifft, so kann, wenn die Klassen a und b mit Substan-
tiven benannt sind, a b unter Umständen durch ein zusammengesetztes
Hauptwort
ausgedrückt werden. Z. B. a = Neger, b = Sklave, a b =
Negersklave, d. i. ein Neger, welcher ein Sklave, oder ein Sklave, der
Neger ist. So auch „Gold-Münze“, „Marmor-Platte“, etc.

α') Umgekehrt jedoch lässt sich durchaus nicht, ja bei weitem nicht,
jedes zusammengesetzte Hauptwort in dieser Weise deuten, als iden-
tisches Produkt hinstellen. Schon bei „Tischler-Meister“ könnte man
darüber streiten, ob darunter blos ein Tischler zu verstehen sei, der
zugleich Meister ist, ein „Meister unter den Tischlern“ oder aber
ein Meister von Tischlern, „Meister der Tischler“, der über andre
Tischler als Befehlender und Meister gesetzt ist. Eine Rede aber,

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[218/0238] Vierte Vorlesung. tigsten Mittel an die Hand bekommen resp. in Gestalt derselben be- reits besitzen, um aus vorhandenen Gemeinnamen in's Unbegrenzte neue Gemeinnamen zusammenzusetzen oder abzuleiten — wodurch sie in den Stand gelangt, mit einem noch verhältnissmässig geringen Namen- vorrat haushälterisch auszureichen zur Bezeichnung von Vielem. Es verdient deshalb sorgfältig untersucht zu werden, auf welche Weise die Wortsprache unser Mal- und Plus-Zeichen wiedergibt; es muss in's Auge gefasst und konstatirt werden, wie, wenn a, b, c, … in Worten charakterisirte Klassen vorstellen, deren identisches Produkt und Summe ihren verbalen Ausdruck finden. Für das Nämliche bieten oft sich mehrere Ausdrucksmöglichkeiten dar, mitunter aber — werden wir sehen — auch gleiche Ausdrucks- weisen für Verschiedenes! — Ein bedenklicher Umstand, der gelegent- lich die Gefahr von Missverständnissen hervorruft und der Wortsprache den Vorwurf mangelhafter Präzision zuziehen muss, von welchem unsre Formel- oder Zeichensprache frei bleibt. Um alles auf Interpretation unsrer identischen Operationen, deren Vor- und Rückübersetzung aus der Wort- in die Zeichensprache Be- zügliche sogleich vollständig erledigen zu können, setzen wir, ein wenig vorgreifend, hier schon als bekannt voraus einige Grundeigenschaften dieser Operationen, die ohnehin unmittelbar einleuchten, aber aller- dings erst im nächsten Paragraphen formell bewiesen werden — so namentlich die in den Theoremen 12) und 13) ausgesprochenen, des- gleichen die Ausdehnung der Def. (3) auf beliebig viele Klassensym- bole, wie sie in Zusatz 2 zu Th. 13) geleistet wird. α) Was die Wiedergabe des identischen Produktes a · b oder a b (wovon wir also beiläufig wissen, dass es auch einerlei mit b a ist) mit Worten betrifft, so kann, wenn die Klassen a und b mit Substan- tiven benannt sind, a b unter Umständen durch ein zusammengesetztes Hauptwort ausgedrückt werden. Z. B. a = Neger, b = Sklave, a b = Negersklave, d. i. ein Neger, welcher ein Sklave, oder ein Sklave, der Neger ist. So auch „Gold-Münze“, „Marmor-Platte“, etc. α') Umgekehrt jedoch lässt sich durchaus nicht, ja bei weitem nicht, jedes zusammengesetzte Hauptwort in dieser Weise deuten, als iden- tisches Produkt hinstellen. Schon bei „Tischler-Meister“ könnte man darüber streiten, ob darunter blos ein Tischler zu verstehen sei, der zugleich Meister ist, ein „Meister unter den Tischlern“ oder aber ein Meister von Tischlern, „Meister der Tischler“, der über andre Tischler als Befehlender und Meister gesetzt ist. Eine Rede aber,

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/238>, abgerufen am 29.03.2024.