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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
in infinitum. Wer diese Fragen fort und fort zu beantworten unter-
nähme, würde in Erinnerung rufen -- das Bild des Hundes, der sich
in den Schwanz zu beissen sucht; er würde sich immerfort im Ring
herum bewegen!

Zudem ist die exakte Beantwortung derartiger Fragen etwas
höchst Schwieriges -- zumeist wol ein verfrühtes Unternehmen!

Und ihr Versuch schon könnte uns von unserm eigentlichen Vorhaben
immer weiter abziehen, würde uns möglicherweise gar nicht zu demselben
kommen lassen, ja er dürfte uns in Untersuchungen verwickeln, die zu den
schwierigsten der Philosophie überhaupt gehören, darunter manche, die Ver-
fasser gern berufeneren Federn überlassen möchte. Daneben aber -- und
nicht zum mindesten -- müsste uns solches Wagniss auch auf Untersuchungs-
gebiete führen, in Bezug auf welche die Philosophen von Fach noch lange
nicht einig sind, wo es annoch heisst: "soviel Köpfe, soviel Sinne", Gebiete, die
sich eben einer exakten Behandlung bis jetzt nicht zugänglich erwiesen haben.

Und sich auf Spekulationen in derartigen Gebieten einzulassen, würde
als unvereinbar erscheinen mit dem ganzen Charakter der deduktiven Logik,
die ja auf das Gemeinverbindliche, unmittelbar oder mittelbar Selbstverständ-
liche sich zu beschränken hat, und deren Aufgabe es vorzugsweise ist, in
dem Chaos der philosophischen Systeme den gemeinsamen Boden herzustellen,
auf dem jedes System fussen muss, den unumstösslich sichern Kern zu ge-
winnen, um welchen die übrigen Zweige der Philosophie und Wissenschaft
überhaupt ankrystallisiren mögen.

Jedenfalls, meine ich, kann es dem Verfasser eines Buches über
Logik nicht zugemutet werden, die tiefsten Rätsel des Daseins über-
haupt, die schwierigsten Probleme der Metaphysik, Erkenntnisstheorie,
Psychologie und vielleicht auch Physiologie schon in dessen Einleitung
vorweg zu lösen. Wir können eben hier nur ein Ideal aufstellen, und
von dem Standpunkte aus, den jeder Mensch einnimmt, welcher die Sprache
beherrscht
, auf dasselbe zusteuern.

Das Ideal ist: die Gesetze folgerichtigen (weil als solches einleuch-
tenden) Denkens zum Bewusstsein zu bringen, denselben einen allgemeinen
und zugleich möglichst einfachen Ausdruck zu geben, sie namentlich auch
auf möglichst einfache Grundlagen -- auf möglichst wenige Prinzipien
oder Axiome -- zurückzuführen, und überhaupt dieses Denken zu einer
bewussten Kunstfertigkeit zu gestalten -- noch mehr: es in eine Technik
zu entwickeln, welche zu irgendwie gegebenen Prämissen oder An-
nahmen mit leichtester Mühe alle Folgerungen liefere, die nach irgend
einer wünschbaren Richtung überhaupt gezogen werden können, auch
mit unfehlbarer Sicherheit über die Folgerichtigkeit oder -unrichtigkeit
einer Behauptung zu entscheiden, die richtige zu beweisen, die unbe-
rechtigte oder falsche zu widerlegen gestatte.

Schröder, Algebra der Logik. 2

Einleitung.
in infinitum. Wer diese Fragen fort und fort zu beantworten unter-
nähme, würde in Erinnerung rufen — das Bild des Hundes, der sich
in den Schwanz zu beissen sucht; er würde sich immerfort im Ring
herum bewegen!

Zudem ist die exakte Beantwortung derartiger Fragen etwas
höchst Schwieriges — zumeist wol ein verfrühtes Unternehmen!

Und ihr Versuch schon könnte uns von unserm eigentlichen Vorhaben
immer weiter abziehen, würde uns möglicherweise gar nicht zu demselben
kommen lassen, ja er dürfte uns in Untersuchungen verwickeln, die zu den
schwierigsten der Philosophie überhaupt gehören, darunter manche, die Ver-
fasser gern berufeneren Federn überlassen möchte. Daneben aber — und
nicht zum mindesten — müsste uns solches Wagniss auch auf Untersuchungs-
gebiete führen, in Bezug auf welche die Philosophen von Fach noch lange
nicht einig sind, wo es annoch heisst: „soviel Köpfe, soviel Sinne“, Gebiete, die
sich eben einer exakten Behandlung bis jetzt nicht zugänglich erwiesen haben.

Und sich auf Spekulationen in derartigen Gebieten einzulassen, würde
als unvereinbar erscheinen mit dem ganzen Charakter der deduktiven Logik,
die ja auf das Gemeinverbindliche, unmittelbar oder mittelbar Selbstverständ-
liche sich zu beschränken hat, und deren Aufgabe es vorzugsweise ist, in
dem Chaos der philosophischen Systeme den gemeinsamen Boden herzustellen,
auf dem jedes System fussen muss, den unumstösslich sichern Kern zu ge-
winnen, um welchen die übrigen Zweige der Philosophie und Wissenschaft
überhaupt ankrystallisiren mögen.

Jedenfalls, meine ich, kann es dem Verfasser eines Buches über
Logik nicht zugemutet werden, die tiefsten Rätsel des Daseins über-
haupt, die schwierigsten Probleme der Metaphysik, Erkenntnisstheorie,
Psychologie und vielleicht auch Physiologie schon in dessen Einleitung
vorweg zu lösen. Wir können eben hier nur ein Ideal aufstellen, und
von dem Standpunkte aus, den jeder Mensch einnimmt, welcher die Sprache
beherrscht
, auf dasselbe zusteuern.

Das Ideal ist: die Gesetze folgerichtigen (weil als solches einleuch-
tenden) Denkens zum Bewusstsein zu bringen, denselben einen allgemeinen
und zugleich möglichst einfachen Ausdruck zu geben, sie namentlich auch
auf möglichst einfache Grundlagen — auf möglichst wenige Prinzipien
oder Axiome — zurückzuführen, und überhaupt dieses Denken zu einer
bewussten Kunstfertigkeit zu gestalten — noch mehr: es in eine Technik
zu entwickeln, welche zu irgendwie gegebenen Prämissen oder An-
nahmen mit leichtester Mühe alle Folgerungen liefere, die nach irgend
einer wünschbaren Richtung überhaupt gezogen werden können, auch
mit unfehlbarer Sicherheit über die Folgerichtigkeit oder -unrichtigkeit
einer Behauptung zu entscheiden, die richtige zu beweisen, die unbe-
rechtigte oder falsche zu widerlegen gestatte.

Schröder, Algebra der Logik. 2
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[17/0037] Einleitung. in infinitum. Wer diese Fragen fort und fort zu beantworten unter- nähme, würde in Erinnerung rufen — das Bild des Hundes, der sich in den Schwanz zu beissen sucht; er würde sich immerfort im Ring herum bewegen! Zudem ist die exakte Beantwortung derartiger Fragen etwas höchst Schwieriges — zumeist wol ein verfrühtes Unternehmen! Und ihr Versuch schon könnte uns von unserm eigentlichen Vorhaben immer weiter abziehen, würde uns möglicherweise gar nicht zu demselben kommen lassen, ja er dürfte uns in Untersuchungen verwickeln, die zu den schwierigsten der Philosophie überhaupt gehören, darunter manche, die Ver- fasser gern berufeneren Federn überlassen möchte. Daneben aber — und nicht zum mindesten — müsste uns solches Wagniss auch auf Untersuchungs- gebiete führen, in Bezug auf welche die Philosophen von Fach noch lange nicht einig sind, wo es annoch heisst: „soviel Köpfe, soviel Sinne“, Gebiete, die sich eben einer exakten Behandlung bis jetzt nicht zugänglich erwiesen haben. Und sich auf Spekulationen in derartigen Gebieten einzulassen, würde als unvereinbar erscheinen mit dem ganzen Charakter der deduktiven Logik, die ja auf das Gemeinverbindliche, unmittelbar oder mittelbar Selbstverständ- liche sich zu beschränken hat, und deren Aufgabe es vorzugsweise ist, in dem Chaos der philosophischen Systeme den gemeinsamen Boden herzustellen, auf dem jedes System fussen muss, den unumstösslich sichern Kern zu ge- winnen, um welchen die übrigen Zweige der Philosophie und Wissenschaft überhaupt ankrystallisiren mögen. Jedenfalls, meine ich, kann es dem Verfasser eines Buches über Logik nicht zugemutet werden, die tiefsten Rätsel des Daseins über- haupt, die schwierigsten Probleme der Metaphysik, Erkenntnisstheorie, Psychologie und vielleicht auch Physiologie schon in dessen Einleitung vorweg zu lösen. Wir können eben hier nur ein Ideal aufstellen, und von dem Standpunkte aus, den jeder Mensch einnimmt, welcher die Sprache beherrscht, auf dasselbe zusteuern. Das Ideal ist: die Gesetze folgerichtigen (weil als solches einleuch- tenden) Denkens zum Bewusstsein zu bringen, denselben einen allgemeinen und zugleich möglichst einfachen Ausdruck zu geben, sie namentlich auch auf möglichst einfache Grundlagen — auf möglichst wenige Prinzipien oder Axiome — zurückzuführen, und überhaupt dieses Denken zu einer bewussten Kunstfertigkeit zu gestalten — noch mehr: es in eine Technik zu entwickeln, welche zu irgendwie gegebenen Prämissen oder An- nahmen mit leichtester Mühe alle Folgerungen liefere, die nach irgend einer wünschbaren Richtung überhaupt gezogen werden können, auch mit unfehlbarer Sicherheit über die Folgerichtigkeit oder -unrichtigkeit einer Behauptung zu entscheiden, die richtige zu beweisen, die unbe- rechtigte oder falsche zu widerlegen gestatte. Schröder, Algebra der Logik. 2

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/37>, abgerufen am 18.04.2024.