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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905.

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§ 53. Meine Kontroverse mit Frau Franklin-Ladd ein lehrreiches Kapitel.
das in u, v, w ausgedrückte f etwa F schreiben wollte, da ja auch dann
F (u, v, w) = f (x, y, z) bliebe).

Dies liegt hier daran, dass es beim Differenziren nach einer Variabeln
nicht blos auf diese, sondern auch auf die andern Variabeln begriffsmässig an-
kommt, welche dabei als Konstante angesehen werden. Gibt man daher
-- etwa unterhalb des Differentialquotienten -- noch das ganze beim
Differenziren zugrunde gelegte System der unabhängigen Variabeln an, so
kann man in obigem Falle unbedenklich x und u vertauschen:
[Formel 1] .
Erst dies ist die zulängliche Bezeichnung partieller Differentialquotienten.
Freilich ist sie zu umständlich und schwerfällig und höchstens in verworrenen
oder schwierigen Fällen zum vorübergehenden Gebrauch zu empfehlen, --
ähnlich wie in der algebraischen Logik das so oft in Gedanken zu unter-
stellende P- Zeichen für gewöhnlich wegbleibt.

So wenig Erfolg aber heute noch jemand sich versprechen könnte,
der etwa eine Paradoxie wie die obige als ein Argument gegen die
Differentialrechnung selbst ins Feld führen wollte, ebenso wenig wird
man dereinst -- und ich hoffe, bald -- Gehör finden mit dergleichen
Ungereimtheiten, wie sie in Menge gegen die Algebra der Logik jetzt
noch aus dem philosophischen Lager -- vergl. Husserl1 -- vorgebracht
werden; wer auf eine Paradoxie stösst, wird den Fehler statt in unserer
Disziplin hübsch bei sich selbst suchen.

Frau Franklin-Ladd aber hat mir in dankenswerter Weise aus-
gezeichnetes Material geliefert, um an einzelnen logisch-algebraischen
Theoremen zu zeigen, wie sich die Disciplin bewährt, wenn man ihr
allerlei Hindernisse in den Weg legt. Ich habe selbst gefühlt, wie
erheblich die Einwände waren, indem ich zur Entkräftung derselben
bisweilen längerer Sammlung benötigte.

Ist nun die Verwendung unzulänglicher Bezeichnungen in der That
so gefährlich und verfänglich, so liegt endlich die Frage nahe: welches
sind denn die Erfordernisse einer zulänglichen Bezeichnung?

Auf diese Frage bleibe ich die Antwort schuldig, mit dem Hin-
weise, dass ich es eben, -- wie ich auch in meiner Festschrift10 schon
betonte, -- mit Gustav Kirchhoff als die Hauptaufgabe der ge-
samten Wissenschaft betrachte, die Wirklichkeit "beschreiben" und da-
mit auch ihre Objekte zulänglich bezeichnen zu lernen.

§ 53. Meine Kontroverse mit Frau Franklin-Ladd ein lehrreiches Kapitel.
das in u, v, w ausgedrückte f etwa F schreiben wollte, da ja auch dann
F (u, v, w) = f (x, y, z) bliebe).

Dies liegt hier daran, dass es beim Differenziren nach einer Variabeln
nicht blos auf diese, sondern auch auf die andern Variabeln begriffsmässig an-
kommt, welche dabei als Konstante angesehen werden. Gibt man daher
— etwa unterhalb des Differentialquotienten — noch das ganze beim
Differenziren zugrunde gelegte System der unabhängigen Variabeln an, so
kann man in obigem Falle unbedenklich x und u vertauschen:
[Formel 1] .
Erst dies ist die zulängliche Bezeichnung partieller Differentialquotienten.
Freilich ist sie zu umständlich und schwerfällig und höchstens in verworrenen
oder schwierigen Fällen zum vorübergehenden Gebrauch zu empfehlen, —
ähnlich wie in der algebraischen Logik das so oft in Gedanken zu unter-
stellende Π- Zeichen für gewöhnlich wegbleibt.

So wenig Erfolg aber heute noch jemand sich versprechen könnte,
der etwa eine Paradoxie wie die obige als ein Argument gegen die
Differentialrechnung selbst ins Feld führen wollte, ebenso wenig wird
man dereinst — und ich hoffe, bald — Gehör finden mit dergleichen
Ungereimtheiten, wie sie in Menge gegen die Algebra der Logik jetzt
noch aus dem philosophischen Lager — vergl. Husserl1 — vorgebracht
werden; wer auf eine Paradoxie stösst, wird den Fehler statt in unserer
Disziplin hübsch bei sich selbst suchen.

Frau Franklin-Ladd aber hat mir in dankenswerter Weise aus-
gezeichnetes Material geliefert, um an einzelnen logisch-algebraischen
Theoremen zu zeigen, wie sich die Disciplin bewährt, wenn man ihr
allerlei Hindernisse in den Weg legt. Ich habe selbst gefühlt, wie
erheblich die Einwände waren, indem ich zur Entkräftung derselben
bisweilen längerer Sammlung benötigte.

Ist nun die Verwendung unzulänglicher Bezeichnungen in der That
so gefährlich und verfänglich, so liegt endlich die Frage nahe: welches
sind denn die Erfordernisse einer zulänglichen Bezeichnung?

Auf diese Frage bleibe ich die Antwort schuldig, mit dem Hin-
weise, dass ich es eben, — wie ich auch in meiner Festschrift10 schon
betonte, — mit Gustav Kirchhoff als die Hauptaufgabe der ge-
samten Wissenschaft betrachte, die Wirklichkeit „beschreiben“ und da-
mit auch ihre Objekte zulänglich bezeichnen zu lernen.

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[475/0119] § 53. Meine Kontroverse mit Frau Franklin-Ladd ein lehrreiches Kapitel. das in u, v, w ausgedrückte f etwa F schreiben wollte, da ja auch dann F (u, v, w) = f (x, y, z) bliebe). Dies liegt hier daran, dass es beim Differenziren nach einer Variabeln nicht blos auf diese, sondern auch auf die andern Variabeln begriffsmässig an- kommt, welche dabei als Konstante angesehen werden. Gibt man daher — etwa unterhalb des Differentialquotienten — noch das ganze beim Differenziren zugrunde gelegte System der unabhängigen Variabeln an, so kann man in obigem Falle unbedenklich x und u vertauschen: [FORMEL]. Erst dies ist die zulängliche Bezeichnung partieller Differentialquotienten. Freilich ist sie zu umständlich und schwerfällig und höchstens in verworrenen oder schwierigen Fällen zum vorübergehenden Gebrauch zu empfehlen, — ähnlich wie in der algebraischen Logik das so oft in Gedanken zu unter- stellende Π- Zeichen für gewöhnlich wegbleibt. So wenig Erfolg aber heute noch jemand sich versprechen könnte, der etwa eine Paradoxie wie die obige als ein Argument gegen die Differentialrechnung selbst ins Feld führen wollte, ebenso wenig wird man dereinst — und ich hoffe, bald — Gehör finden mit dergleichen Ungereimtheiten, wie sie in Menge gegen die Algebra der Logik jetzt noch aus dem philosophischen Lager — vergl. Husserl1 — vorgebracht werden; wer auf eine Paradoxie stösst, wird den Fehler statt in unserer Disziplin hübsch bei sich selbst suchen. Frau Franklin-Ladd aber hat mir in dankenswerter Weise aus- gezeichnetes Material geliefert, um an einzelnen logisch-algebraischen Theoremen zu zeigen, wie sich die Disciplin bewährt, wenn man ihr allerlei Hindernisse in den Weg legt. Ich habe selbst gefühlt, wie erheblich die Einwände waren, indem ich zur Entkräftung derselben bisweilen längerer Sammlung benötigte. Ist nun die Verwendung unzulänglicher Bezeichnungen in der That so gefährlich und verfänglich, so liegt endlich die Frage nahe: welches sind denn die Erfordernisse einer zulänglichen Bezeichnung? Auf diese Frage bleibe ich die Antwort schuldig, mit dem Hin- weise, dass ich es eben, — wie ich auch in meiner Festschrift10 schon betonte, — mit Gustav Kirchhoff als die Hauptaufgabe der ge- samten Wissenschaft betrachte, die Wirklichkeit „beschreiben“ und da- mit auch ihre Objekte zulänglich bezeichnen zu lernen.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0202_1905/119>, abgerufen am 28.03.2024.