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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905.

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§ 56. Über die Modalität der Urteile.

Wie vielsinnig indessen -- zunächst -- der Grundsatz der Kausalität
ist, wie unklar darum der Ausdruck oft bei Denjenigen geblieben, die den-
selben im Munde führen, -- und wie Unrecht man gethan hat, diesen, --
im einen Sinne metaphysischen, im andern psychologischen Grundsatz mit
den übrigen, den logischen Prinzipien auf eine Linie zu stellen, ist schon
von mehreren Seiten ausgeführt worden, -- vergl. hiezu auch Bd. 1, S. 26,
sowie Sigwart1 p. 203 ... 212. Wir haben bei Begründung und Ausgestaltung
des ganzen Gebäudes unserer Umfangslogik niemals Veranlassung oder auch
nur eine Möglichkeit gehabt, uns auf jenen Grundsatz zu berufen oder den-
selben irgend wie zu verwerten. Die übrigen drei "Denkgesetze" haben wir zum
Teil durch andere, gleichfalls nicht zahlreiche ersetzt, und es dürfte aus
unseren Erörterungen unwiderleglich hervorgehen, dass jene Denkgesetze
nicht ausreichen, um die Regeln des folgerichtigen Schliessens auch nur
innerhalb der traditionellen Logik ausschliesslich auf sie gründen zu können, --
selbst wenn, wie geschehen, das Prinzip der Identität noch erweitert wird
zu dem der "Übereinstimmung", welch letzteres wesentlich auf unser Th. 6x)
a b a hinausläuft.

Die Mängel obiger Anschauung wurden nun aber von neueren Philo-
sophen, insbesondere von Sigwart1 p. 189 ... 232 und F. A. Lange1
p. 30 ... 54, schon so vortrefflich und gründlich blosgelegt, dass mir,
indem ich auf die Genannten verweise, hier nur wenig hinzuzufügen
übrig bleibt.

In den Urteilen "A ist notwendig, resp. wirklich, resp. möglicher-
weise B" gehören die Adverbia nicht zum Prädikate; die Urteile prädi-
ziren nicht über das grammatische Subjekt des Satzes, sondern lediglich
über den Stand unserer Erkenntniss inbezug auf das Urteil "A ist B,"
welch letzteres selbst also das logische Subjekt der Aussage vorstellt.

Das problematische Urteil im besonderen verneint nur, dass die
Verneinung jenes Urteils "A ist B" uns als gewiss gelte. Ist aber un-
gewiss, ob ein Urteil zu verneinen sei, so ist auch ungewiss, ob es
zu bejahen ist, und umgekehrt. Denn wäre es gewisslich zu bejahen,
so wäre es (cf. Th. 31)) sicherlich nicht zu verneinen, etc. Die beiden
Urteile
"A ist vielleicht B" und "A ist vielleicht nicht B"
stehen also nicht im Widerspruch mit einander; vielmehr sofern sie
singuläre sind, bedingen sie sogar einander gegenseitig, sind äquipollent.
Wogegen andernfalls noch die dritte Möglichkeit besteht, dass A weder
B noch nicht-B, sondern teils B, teils nicht-B sein mag.

Das assertorische und das apodiktische Urteil stellen beide die
Geltung von A B als eine für uns gewisse hin. Im apodiktischen
Urteil findet noch obendrein eine Berufung auf die "Denknotwendigkeit",
ein Hinweis auf das Gefühl der Evidenz seiner Geltung statt. Das
assertorische Urteil enthält dagegen einen solchen Hinweis nicht. Es

§ 56. Über die Modalität der Urteile.

Wie vielsinnig indessen — zunächst — der Grundsatz der Kausalität
ist, wie unklar darum der Ausdruck oft bei Denjenigen geblieben, die den-
selben im Munde führen, — und wie Unrecht man gethan hat, diesen, —
im einen Sinne metaphysischen, im andern psychologischen Grundsatz mit
den übrigen, den logischen Prinzipien auf eine Linie zu stellen, ist schon
von mehreren Seiten ausgeführt worden, — vergl. hiezu auch Bd. 1, S. 26,
sowie Sigwart1 p. 203 … 212. Wir haben bei Begründung und Ausgestaltung
des ganzen Gebäudes unserer Umfangslogik niemals Veranlassung oder auch
nur eine Möglichkeit gehabt, uns auf jenen Grundsatz zu berufen oder den-
selben irgend wie zu verwerten. Die übrigen drei „Denkgesetze“ haben wir zum
Teil durch andere, gleichfalls nicht zahlreiche ersetzt, und es dürfte aus
unseren Erörterungen unwiderleglich hervorgehen, dass jene Denkgesetze
nicht ausreichen, um die Regeln des folgerichtigen Schliessens auch nur
innerhalb der traditionellen Logik ausschliesslich auf sie gründen zu können, —
selbst wenn, wie geschehen, das Prinzip der Identität noch erweitert wird
zu dem der „Übereinstimmung“, welch letzteres wesentlich auf unser Th. 6×)
a b a hinausläuft.

Die Mängel obiger Anschauung wurden nun aber von neueren Philo-
sophen, insbesondere von Sigwart1 p. 189 … 232 und F. A. Lange1
p. 30 … 54, schon so vortrefflich und gründlich blosgelegt, dass mir,
indem ich auf die Genannten verweise, hier nur wenig hinzuzufügen
übrig bleibt.

In den Urteilen „A ist notwendig, resp. wirklich, resp. möglicher-
weise B“ gehören die Adverbia nicht zum Prädikate; die Urteile prädi-
ziren nicht über das grammatische Subjekt des Satzes, sondern lediglich
über den Stand unserer Erkenntniss inbezug auf das Urteil „A ist B,“
welch letzteres selbst also das logische Subjekt der Aussage vorstellt.

Das problematische Urteil im besonderen verneint nur, dass die
Verneinung jenes Urteils „A ist B“ uns als gewiss gelte. Ist aber un-
gewiss, ob ein Urteil zu verneinen sei, so ist auch ungewiss, ob es
zu bejahen ist, und umgekehrt. Denn wäre es gewisslich zu bejahen,
so wäre es (cf. Th. 31)) sicherlich nicht zu verneinen, etc. Die beiden
Urteile
A ist vielleicht B“ und „A ist vielleicht nicht B
stehen also nicht im Widerspruch mit einander; vielmehr sofern sie
singuläre sind, bedingen sie sogar einander gegenseitig, sind äquipollent.
Wogegen andernfalls noch die dritte Möglichkeit besteht, dass A weder
B noch nicht-B, sondern teils B, teils nicht-B sein mag.

Das assertorische und das apodiktische Urteil stellen beide die
Geltung von A B als eine für uns gewisse hin. Im apodiktischen
Urteil findet noch obendrein eine Berufung auf die „Denknotwendigkeit“,
ein Hinweis auf das Gefühl der Evidenz seiner Geltung statt. Das
assertorische Urteil enthält dagegen einen solchen Hinweis nicht. Es

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[507/0151] § 56. Über die Modalität der Urteile. Wie vielsinnig indessen — zunächst — der Grundsatz der Kausalität ist, wie unklar darum der Ausdruck oft bei Denjenigen geblieben, die den- selben im Munde führen, — und wie Unrecht man gethan hat, diesen, — im einen Sinne metaphysischen, im andern psychologischen Grundsatz mit den übrigen, den logischen Prinzipien auf eine Linie zu stellen, ist schon von mehreren Seiten ausgeführt worden, — vergl. hiezu auch Bd. 1, S. 26, sowie Sigwart1 p. 203 … 212. Wir haben bei Begründung und Ausgestaltung des ganzen Gebäudes unserer Umfangslogik niemals Veranlassung oder auch nur eine Möglichkeit gehabt, uns auf jenen Grundsatz zu berufen oder den- selben irgend wie zu verwerten. Die übrigen drei „Denkgesetze“ haben wir zum Teil durch andere, gleichfalls nicht zahlreiche ersetzt, und es dürfte aus unseren Erörterungen unwiderleglich hervorgehen, dass jene Denkgesetze nicht ausreichen, um die Regeln des folgerichtigen Schliessens auch nur innerhalb der traditionellen Logik ausschliesslich auf sie gründen zu können, — selbst wenn, wie geschehen, das Prinzip der Identität noch erweitert wird zu dem der „Übereinstimmung“, welch letzteres wesentlich auf unser Th. 6×) a b a hinausläuft. Die Mängel obiger Anschauung wurden nun aber von neueren Philo- sophen, insbesondere von Sigwart1 p. 189 … 232 und F. A. Lange1 p. 30 … 54, schon so vortrefflich und gründlich blosgelegt, dass mir, indem ich auf die Genannten verweise, hier nur wenig hinzuzufügen übrig bleibt. In den Urteilen „A ist notwendig, resp. wirklich, resp. möglicher- weise B“ gehören die Adverbia nicht zum Prädikate; die Urteile prädi- ziren nicht über das grammatische Subjekt des Satzes, sondern lediglich über den Stand unserer Erkenntniss inbezug auf das Urteil „A ist B,“ welch letzteres selbst also das logische Subjekt der Aussage vorstellt. Das problematische Urteil im besonderen verneint nur, dass die Verneinung jenes Urteils „A ist B“ uns als gewiss gelte. Ist aber un- gewiss, ob ein Urteil zu verneinen sei, so ist auch ungewiss, ob es zu bejahen ist, und umgekehrt. Denn wäre es gewisslich zu bejahen, so wäre es (cf. Th. 31)) sicherlich nicht zu verneinen, etc. Die beiden Urteile „A ist vielleicht B“ und „A ist vielleicht nicht B“ stehen also nicht im Widerspruch mit einander; vielmehr sofern sie singuläre sind, bedingen sie sogar einander gegenseitig, sind äquipollent. Wogegen andernfalls noch die dritte Möglichkeit besteht, dass A weder B noch nicht-B, sondern teils B, teils nicht-B sein mag. Das assertorische und das apodiktische Urteil stellen beide die Geltung von A B als eine für uns gewisse hin. Im apodiktischen Urteil findet noch obendrein eine Berufung auf die „Denknotwendigkeit“, ein Hinweis auf das Gefühl der Evidenz seiner Geltung statt. Das assertorische Urteil enthält dagegen einen solchen Hinweis nicht. Es

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0202_1905/151>, abgerufen am 23.04.2024.