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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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So kehrte Stephan Heribert in das Schloß seiner Väter zurück -- aber freilich nicht ganz derselbe Mensch mehr, als welcher er ausgezogen war. Der wilde Tollkopf war er noch immer, aber die Neigung zu offner Empörung hatte sich mit einem Hange zu stiller Tücke einträchtlich zusammengefunden: er war neben seinen früheren überaus glänzenden Eigenschaften auch noch verstockt, rachsüchtig und schadenfroh geworden, und die seraphische Erziehungsmethode hatte -- das war unverkennbar -- immerhin einige bleibende Spuren zurückgelassen.

Als unsere edle Pflanze zur Freude Gottes und der Menschen bis zu einem Alter von zweiundzwanzig Jahren emporgeblüht war, suchten ihm seine Eltern eine Frau aus. Da sie hübsch war und einiges Vermögen besaß, zeigte er bei dieser Gelegenheit nichts von seinem sonstigen Widerspruchsgeiste, sondern ließ sich die sämmtlichen, bei einer solchen Veranlassung üblichen Verhandlungen und Ceremonien aufs Geduldigste gefallen. Auch beschenkte er seine Gattin in höchst anständiger Weise mit zwei Kindern, einem Sohne und einer Tochter; dann aber kümmerte er sich nicht weiter um sie und ließ sie still und langsam in Langerweile und Gram sich verzehren, bis sie nach einer Reihe von Jahren wie ein zu Ende gekommenes Licht lautlos und ohne Klage erlosch. Es war eine Wohlthat des Himmels, daß er sie zu sich nahm. Denn da schon vorher ihre beiden Schwiegereltern zu Grabe gegangen und

So kehrte Stephan Heribert in das Schloß seiner Väter zurück — aber freilich nicht ganz derselbe Mensch mehr, als welcher er ausgezogen war. Der wilde Tollkopf war er noch immer, aber die Neigung zu offner Empörung hatte sich mit einem Hange zu stiller Tücke einträchtlich zusammengefunden: er war neben seinen früheren überaus glänzenden Eigenschaften auch noch verstockt, rachsüchtig und schadenfroh geworden, und die seraphische Erziehungsmethode hatte — das war unverkennbar — immerhin einige bleibende Spuren zurückgelassen.

Als unsere edle Pflanze zur Freude Gottes und der Menschen bis zu einem Alter von zweiundzwanzig Jahren emporgeblüht war, suchten ihm seine Eltern eine Frau aus. Da sie hübsch war und einiges Vermögen besaß, zeigte er bei dieser Gelegenheit nichts von seinem sonstigen Widerspruchsgeiste, sondern ließ sich die sämmtlichen, bei einer solchen Veranlassung üblichen Verhandlungen und Ceremonien aufs Geduldigste gefallen. Auch beschenkte er seine Gattin in höchst anständiger Weise mit zwei Kindern, einem Sohne und einer Tochter; dann aber kümmerte er sich nicht weiter um sie und ließ sie still und langsam in Langerweile und Gram sich verzehren, bis sie nach einer Reihe von Jahren wie ein zu Ende gekommenes Licht lautlos und ohne Klage erlosch. Es war eine Wohlthat des Himmels, daß er sie zu sich nahm. Denn da schon vorher ihre beiden Schwiegereltern zu Grabe gegangen und

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/22>, abgerufen am 28.03.2024.