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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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von Windschrot gerade wie ausgesucht die rechten Leute waren. Nicht daß sie so amusante Gesellen und unüberwindliche Zechbrüder gewesen wären, wie seine jetzt in alle vier Winde zerstreuten Freunde, die ihn zu Grunde gerichtet hatten, waren -- wenn auch nicht zu leugnen stand, daß der kleine Dorsch, ihr hochgebietender Präsident, es an Wunderlichkeit mit jedem Kauz in der Welt aufnehmen konnte; aber dafür wußten sie die rechten Worte und Gedanken auszusprechen, welche Windschrot's innerstes Herz bewegten, und verstanden es, Pläne und Anschläge zu machen, die seine tiefsten Seelenwünsche befriedigten. Bald war er einer der eifrigsten und verwogensten unter ihnen; keiner machte höhere und ausdrucksvollere Sätze -- Sprünge, in welchen die ganze Metaphysik der Freiheit und Gleichheit lag -- wenn die Carmagnole um den Freiheitsbaum getanzt wurde, und keiner entwickelte donnerndere Lungen- und Zungenkraft, wenn der glorreiche rheinischdeutsche Nationalconvent seine Sitzungen hielt.

Aber ach, dem deutschen Nationalconvent war eine kurze Lebensdauer beschieden! Die Preußen rückten vor Mainz und machten ihm ein Ende. Glücklicher, als viele andere seiner Schicksalsgenossen, welche dem General Kalkreuth in die Hände fielen, wußte Windschrot in der Montur eines französischen Soldaten mit den abziehenden Franzosen aus Mainz zu entkommen. Er begab sich mit ein paar andern Flüchtigen nach Paris und verließ es nach drei Tagen wieder, von

von Windschrot gerade wie ausgesucht die rechten Leute waren. Nicht daß sie so amusante Gesellen und unüberwindliche Zechbrüder gewesen wären, wie seine jetzt in alle vier Winde zerstreuten Freunde, die ihn zu Grunde gerichtet hatten, waren — wenn auch nicht zu leugnen stand, daß der kleine Dorsch, ihr hochgebietender Präsident, es an Wunderlichkeit mit jedem Kauz in der Welt aufnehmen konnte; aber dafür wußten sie die rechten Worte und Gedanken auszusprechen, welche Windschrot's innerstes Herz bewegten, und verstanden es, Pläne und Anschläge zu machen, die seine tiefsten Seelenwünsche befriedigten. Bald war er einer der eifrigsten und verwogensten unter ihnen; keiner machte höhere und ausdrucksvollere Sätze — Sprünge, in welchen die ganze Metaphysik der Freiheit und Gleichheit lag — wenn die Carmagnole um den Freiheitsbaum getanzt wurde, und keiner entwickelte donnerndere Lungen- und Zungenkraft, wenn der glorreiche rheinischdeutsche Nationalconvent seine Sitzungen hielt.

Aber ach, dem deutschen Nationalconvent war eine kurze Lebensdauer beschieden! Die Preußen rückten vor Mainz und machten ihm ein Ende. Glücklicher, als viele andere seiner Schicksalsgenossen, welche dem General Kalkreuth in die Hände fielen, wußte Windschrot in der Montur eines französischen Soldaten mit den abziehenden Franzosen aus Mainz zu entkommen. Er begab sich mit ein paar andern Flüchtigen nach Paris und verließ es nach drei Tagen wieder, von

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/25>, abgerufen am 25.04.2024.