Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Arme. Jn Liefland und Kurland verließ ich
die Saaten, noch kaum aus der Erde hervor-
kriechend; zehn oder funfzehn Meilen nach
Lithauen hinein, war das Getreide im Begriff
zu schossen. Eben so mit dem Triebe der
Bäume. Die Weiden und der Schlehdorn
blüheten, die Birken waren grün. Die Wie-
sen und Anger zeigten die frischeste Farbe.
Große und zahlreiche Heerden von starkem
Hornvieh standen auf denselben zerstreuet.

Dies gewährt einen erheiternden Anblick,
aber einen desto gräulichern die waldigten Ge-
genden des Landes. Man sieht hier, was Ue-
berfluß und Trägheit für Unheil anrichten.
Jch bin durch meilenlange Wälder gekommen,
in welchen, auf beiden Seiten des Weges, die
schönsten Bäume lagen, theils frisch umge-
brannt (denn, sie umzuhauen, giebt man sich
nicht die Mühe) theils schon mit der Schwärze
der Verwitterung überzogen, theils in förmli-
chen Moder und Staube. Ganze Strecken
Wald lagen öde und verwüstet, und die übrig-

Arme. Jn Liefland und Kurland verließ ich
die Saaten, noch kaum aus der Erde hervor-
kriechend; zehn oder funfzehn Meilen nach
Lithauen hinein, war das Getreide im Begriff
zu ſchoſſen. Eben ſo mit dem Triebe der
Baͤume. Die Weiden und der Schlehdorn
bluͤheten, die Birken waren gruͤn. Die Wie-
ſen und Anger zeigten die friſcheſte Farbe.
Große und zahlreiche Heerden von ſtarkem
Hornvieh ſtanden auf denſelben zerſtreuet.

Dies gewaͤhrt einen erheiternden Anblick,
aber einen deſto graͤulichern die waldigten Ge-
genden des Landes. Man ſieht hier, was Ue-
berfluß und Traͤgheit fuͤr Unheil anrichten.
Jch bin durch meilenlange Waͤlder gekommen,
in welchen, auf beiden Seiten des Weges, die
ſchoͤnſten Baͤume lagen, theils friſch umge-
brannt (denn, ſie umzuhauen, giebt man ſich
nicht die Muͤhe) theils ſchon mit der Schwaͤrze
der Verwitterung uͤberzogen, theils in foͤrmli-
chen Moder und Staube. Ganze Strecken
Wald lagen oͤde und verwuͤſtet, und die uͤbrig-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0082" n="64"/>
Arme. Jn Liefland und Kurland verließ ich<lb/>
die Saaten, noch kaum aus der Erde hervor-<lb/>
kriechend; zehn oder funfzehn Meilen nach<lb/>
Lithauen hinein, war das Getreide im Begriff<lb/>
zu &#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en. Eben &#x017F;o mit dem Triebe der<lb/>
Ba&#x0364;ume. Die Weiden und der Schlehdorn<lb/>
blu&#x0364;heten, die Birken waren gru&#x0364;n. Die Wie-<lb/>
&#x017F;en und Anger zeigten die fri&#x017F;che&#x017F;te Farbe.<lb/>
Große und zahlreiche Heerden von &#x017F;tarkem<lb/>
Hornvieh &#x017F;tanden auf den&#x017F;elben zer&#x017F;treuet.</p><lb/>
          <p>Dies gewa&#x0364;hrt einen erheiternden Anblick,<lb/>
aber einen de&#x017F;to gra&#x0364;ulichern die waldigten Ge-<lb/>
genden des Landes. Man &#x017F;ieht hier, was Ue-<lb/>
berfluß und Tra&#x0364;gheit fu&#x0364;r Unheil anrichten.<lb/>
Jch bin durch meilenlange Wa&#x0364;lder gekommen,<lb/>
in welchen, auf beiden Seiten des Weges, die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Ba&#x0364;ume lagen, theils fri&#x017F;ch umge-<lb/>
brannt (denn, &#x017F;ie umzuhauen, giebt man &#x017F;ich<lb/>
nicht die Mu&#x0364;he) theils &#x017F;chon mit der Schwa&#x0364;rze<lb/>
der Verwitterung u&#x0364;berzogen, theils in fo&#x0364;rmli-<lb/>
chen Moder und Staube. Ganze Strecken<lb/>
Wald lagen o&#x0364;de und verwu&#x0364;&#x017F;tet, und die u&#x0364;brig-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0082] Arme. Jn Liefland und Kurland verließ ich die Saaten, noch kaum aus der Erde hervor- kriechend; zehn oder funfzehn Meilen nach Lithauen hinein, war das Getreide im Begriff zu ſchoſſen. Eben ſo mit dem Triebe der Baͤume. Die Weiden und der Schlehdorn bluͤheten, die Birken waren gruͤn. Die Wie- ſen und Anger zeigten die friſcheſte Farbe. Große und zahlreiche Heerden von ſtarkem Hornvieh ſtanden auf denſelben zerſtreuet. Dies gewaͤhrt einen erheiternden Anblick, aber einen deſto graͤulichern die waldigten Ge- genden des Landes. Man ſieht hier, was Ue- berfluß und Traͤgheit fuͤr Unheil anrichten. Jch bin durch meilenlange Waͤlder gekommen, in welchen, auf beiden Seiten des Weges, die ſchoͤnſten Baͤume lagen, theils friſch umge- brannt (denn, ſie umzuhauen, giebt man ſich nicht die Muͤhe) theils ſchon mit der Schwaͤrze der Verwitterung uͤberzogen, theils in foͤrmli- chen Moder und Staube. Ganze Strecken Wald lagen oͤde und verwuͤſtet, und die uͤbrig-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/82
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/82>, abgerufen am 29.04.2024.