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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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ssem Pfade dahinjagte. Endlich wurden sie an das Sand¬
wüstenufer der afrikanischen Syrten verschlagen, in eine
Bucht, deren Gewässer mit dichtem Seegras und trägem
Schaume bedeckt, wie ein Sumpf in starrer Ruhe brü¬
tete. Rings um breiteten sich Sandflächen aus, auf de¬
nen kein Thier, kein Vogel sichtbar ward. Hier wurde
das Schiff von der Fluth so dicht aufs Gestade geschwemmt,
daß der Kiel ganz auf dem Sande aufsaß. Mit Schrecken
sprangen die Helden aus dem Schiff und mit Entsetzen
erblickten sie den breiten Erdrücken, der sich, der Luft
ähnlich, ohne Abwechslung ins Unendliche ausdehnte.
Kein Wasserquell, kein Pfad, kein Hirtenhof zeigte sich;
alles ruhte in todtem Schweigen. "Weh uns, wie heißt
dieses Land? wohin haben uns die Stürme verschlagen?"
So fragten einander die Genossen. "Wären wir doch
lieber mitten in die schwimmenden Felsen hineingefahren!
Hätten wir lieber gegen Jupiters Willen etwas unter¬
nommen und wären in einem großen Versuch unterge¬
gangen!" "Ja, sagte der Steuermann Ancäus, die Fluth
hat uns sitzen lassen und wird uns nicht wieder abholen.
Alle Hoffnung der Fahrt und Heimkehr ist abgeschnitten,
steure wer da kann und will!" Damit ließ er das
Steuerruder aus der Hand gleiten und setzte sich weinend
im Schiffe nieder. Wie Männer in einer verpesteten
Stadt unthätig, Gespenstern gleich, dem Verderben ent¬
gegen sehen, so trauerten die Helden, dem öden Ufer ent¬
lang schleichend. Als der Abend gekommen war, gaben
sie einander traurig die Hände zum Abschiede, warfen sich,
ohne Nahrung genommen zu haben, der eine da, der an¬
dere dort im Sande nieder und erwarteten, in ihre Män¬
tel gehüllt, eine schlaflose Nacht hindurch, den Tag und

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ſſem Pfade dahinjagte. Endlich wurden ſie an das Sand¬
wüſtenufer der afrikaniſchen Syrten verſchlagen, in eine
Bucht, deren Gewäſſer mit dichtem Seegras und trägem
Schaume bedeckt, wie ein Sumpf in ſtarrer Ruhe brü¬
tete. Rings um breiteten ſich Sandflächen aus, auf de¬
nen kein Thier, kein Vogel ſichtbar ward. Hier wurde
das Schiff von der Fluth ſo dicht aufs Geſtade geſchwemmt,
daß der Kiel ganz auf dem Sande aufſaß. Mit Schrecken
ſprangen die Helden aus dem Schiff und mit Entſetzen
erblickten ſie den breiten Erdrücken, der ſich, der Luft
ähnlich, ohne Abwechslung ins Unendliche ausdehnte.
Kein Waſſerquell, kein Pfad, kein Hirtenhof zeigte ſich;
alles ruhte in todtem Schweigen. „Weh uns, wie heißt
dieſes Land? wohin haben uns die Stürme verſchlagen?“
So fragten einander die Genoſſen. „Wären wir doch
lieber mitten in die ſchwimmenden Felſen hineingefahren!
Hätten wir lieber gegen Jupiters Willen etwas unter¬
nommen und wären in einem großen Verſuch unterge¬
gangen!“ „Ja, ſagte der Steuermann Ancäus, die Fluth
hat uns ſitzen laſſen und wird uns nicht wieder abholen.
Alle Hoffnung der Fahrt und Heimkehr iſt abgeſchnitten,
ſteure wer da kann und will!“ Damit ließ er das
Steuerruder aus der Hand gleiten und ſetzte ſich weinend
im Schiffe nieder. Wie Männer in einer verpeſteten
Stadt unthätig, Geſpenſtern gleich, dem Verderben ent¬
gegen ſehen, ſo trauerten die Helden, dem öden Ufer ent¬
lang ſchleichend. Als der Abend gekommen war, gaben
ſie einander traurig die Hände zum Abſchiede, warfen ſich,
ohne Nahrung genommen zu haben, der eine da, der an¬
dere dort im Sande nieder und erwarteten, in ihre Män¬
tel gehüllt, eine ſchlafloſe Nacht hindurch, den Tag und

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[163/0189] ſſem Pfade dahinjagte. Endlich wurden ſie an das Sand¬ wüſtenufer der afrikaniſchen Syrten verſchlagen, in eine Bucht, deren Gewäſſer mit dichtem Seegras und trägem Schaume bedeckt, wie ein Sumpf in ſtarrer Ruhe brü¬ tete. Rings um breiteten ſich Sandflächen aus, auf de¬ nen kein Thier, kein Vogel ſichtbar ward. Hier wurde das Schiff von der Fluth ſo dicht aufs Geſtade geſchwemmt, daß der Kiel ganz auf dem Sande aufſaß. Mit Schrecken ſprangen die Helden aus dem Schiff und mit Entſetzen erblickten ſie den breiten Erdrücken, der ſich, der Luft ähnlich, ohne Abwechslung ins Unendliche ausdehnte. Kein Waſſerquell, kein Pfad, kein Hirtenhof zeigte ſich; alles ruhte in todtem Schweigen. „Weh uns, wie heißt dieſes Land? wohin haben uns die Stürme verſchlagen?“ So fragten einander die Genoſſen. „Wären wir doch lieber mitten in die ſchwimmenden Felſen hineingefahren! Hätten wir lieber gegen Jupiters Willen etwas unter¬ nommen und wären in einem großen Verſuch unterge¬ gangen!“ „Ja, ſagte der Steuermann Ancäus, die Fluth hat uns ſitzen laſſen und wird uns nicht wieder abholen. Alle Hoffnung der Fahrt und Heimkehr iſt abgeſchnitten, ſteure wer da kann und will!“ Damit ließ er das Steuerruder aus der Hand gleiten und ſetzte ſich weinend im Schiffe nieder. Wie Männer in einer verpeſteten Stadt unthätig, Geſpenſtern gleich, dem Verderben ent¬ gegen ſehen, ſo trauerten die Helden, dem öden Ufer ent¬ lang ſchleichend. Als der Abend gekommen war, gaben ſie einander traurig die Hände zum Abſchiede, warfen ſich, ohne Nahrung genommen zu haben, der eine da, der an¬ dere dort im Sande nieder und erwarteten, in ihre Män¬ tel gehüllt, eine ſchlafloſe Nacht hindurch, den Tag und 11 *

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/189>, abgerufen am 30.04.2024.