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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Aber als Herkules aus dem Munde seines Sohnes
Hyllus unter heiligen Betheurungen erfuhr, daß seine Mutter
die unfreiwillige Ursache seines Unglücks gewesen, und
ihre Unbedachtsamkeit mit dem Selbstmorde gebüßt habe,
wandte sich auch sein Sinn vom Zorn zur Wehmuth. Er
verlobte seinen Sohn Hyllus mit der gefangenen Jung¬
frau Jole, die ihm selbst so lieb gewesen war, und da
ein Orakel von Delphi gekommen, daß er auf dem Berge
Oeta, der zum Gebiete von Trachin gehörte, sein Leben
beschließen müsse, so ließ er sich, seinen Qualen zum
Trotz, auf den Gipfel dieses Berges tragen. Hier ward
auf seinen Befehl ein Scheiterhaufen errichtet, auf wel¬
chem der kranke Held seinen Platz nahm. Und nun be¬
fahl er den Seinigen, den Holzstoß von unten anzuzünden.
Aber Niemand wollte ihm den traurigen Liebesdienst
erweisen. Endlich entschloß sich, auf die eindringliche
Bitte des vor Schmerzen bis zur Verzweiflung gequälten
Helden, sein Freund Philoktetes, seinen Willen zu thun.
Zum Danke für diese Bereitwilligkeit reichte Herkules
ihm seine unüberwindlichen Pfeile, nebst dem siegreichen
Bogen. Sobald der Scheiterhaufen angezündet war,
schlugen Blitze vom Himmel darein, und beschleunigten die
Flammen. Da senkte sich eine Wolke herab auf den Holz¬
stoß, und trug den Unsterblichen unter Donnerschlägen
zum Olymp empor. Als nun, da der Scheiterhaufen
schnell zu Asche verbrannt war, Jolaus und die andern
Freunde der Brandstätte sich näherten, die Ueberbleibsel des
Helden zusammen zu lesen, fanden sie kein einziges Gebein
mehr. Sie konnten auch nicht länger zweifeln, daß Her¬
kules, dem alten Götterspruche zu Folge, aus dem Kreise
der Menschen in den der Himmlischen versetzt worden sey,

Aber als Herkules aus dem Munde ſeines Sohnes
Hyllus unter heiligen Betheurungen erfuhr, daß ſeine Mutter
die unfreiwillige Urſache ſeines Unglücks geweſen, und
ihre Unbedachtſamkeit mit dem Selbſtmorde gebüßt habe,
wandte ſich auch ſein Sinn vom Zorn zur Wehmuth. Er
verlobte ſeinen Sohn Hyllus mit der gefangenen Jung¬
frau Jole, die ihm ſelbſt ſo lieb geweſen war, und da
ein Orakel von Delphi gekommen, daß er auf dem Berge
Oeta, der zum Gebiete von Trachin gehörte, ſein Leben
beſchließen müſſe, ſo ließ er ſich, ſeinen Qualen zum
Trotz, auf den Gipfel dieſes Berges tragen. Hier ward
auf ſeinen Befehl ein Scheiterhaufen errichtet, auf wel¬
chem der kranke Held ſeinen Platz nahm. Und nun be¬
fahl er den Seinigen, den Holzſtoß von unten anzuzünden.
Aber Niemand wollte ihm den traurigen Liebesdienſt
erweiſen. Endlich entſchloß ſich, auf die eindringliche
Bitte des vor Schmerzen bis zur Verzweiflung gequälten
Helden, ſein Freund Philoktetes, ſeinen Willen zu thun.
Zum Danke für dieſe Bereitwilligkeit reichte Herkules
ihm ſeine unüberwindlichen Pfeile, nebſt dem ſiegreichen
Bogen. Sobald der Scheiterhaufen angezündet war,
ſchlugen Blitze vom Himmel darein, und beſchleunigten die
Flammen. Da ſenkte ſich eine Wolke herab auf den Holz¬
ſtoß, und trug den Unſterblichen unter Donnerſchlägen
zum Olymp empor. Als nun, da der Scheiterhaufen
ſchnell zu Aſche verbrannt war, Jolaus und die andern
Freunde der Brandſtätte ſich näherten, die Ueberbleibſel des
Helden zuſammen zu leſen, fanden ſie kein einziges Gebein
mehr. Sie konnten auch nicht länger zweifeln, daß Her¬
kules, dem alten Götterſpruche zu Folge, aus dem Kreiſe
der Menſchen in den der Himmliſchen verſetzt worden ſey,

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[267/0293] Aber als Herkules aus dem Munde ſeines Sohnes Hyllus unter heiligen Betheurungen erfuhr, daß ſeine Mutter die unfreiwillige Urſache ſeines Unglücks geweſen, und ihre Unbedachtſamkeit mit dem Selbſtmorde gebüßt habe, wandte ſich auch ſein Sinn vom Zorn zur Wehmuth. Er verlobte ſeinen Sohn Hyllus mit der gefangenen Jung¬ frau Jole, die ihm ſelbſt ſo lieb geweſen war, und da ein Orakel von Delphi gekommen, daß er auf dem Berge Oeta, der zum Gebiete von Trachin gehörte, ſein Leben beſchließen müſſe, ſo ließ er ſich, ſeinen Qualen zum Trotz, auf den Gipfel dieſes Berges tragen. Hier ward auf ſeinen Befehl ein Scheiterhaufen errichtet, auf wel¬ chem der kranke Held ſeinen Platz nahm. Und nun be¬ fahl er den Seinigen, den Holzſtoß von unten anzuzünden. Aber Niemand wollte ihm den traurigen Liebesdienſt erweiſen. Endlich entſchloß ſich, auf die eindringliche Bitte des vor Schmerzen bis zur Verzweiflung gequälten Helden, ſein Freund Philoktetes, ſeinen Willen zu thun. Zum Danke für dieſe Bereitwilligkeit reichte Herkules ihm ſeine unüberwindlichen Pfeile, nebſt dem ſiegreichen Bogen. Sobald der Scheiterhaufen angezündet war, ſchlugen Blitze vom Himmel darein, und beſchleunigten die Flammen. Da ſenkte ſich eine Wolke herab auf den Holz¬ ſtoß, und trug den Unſterblichen unter Donnerſchlägen zum Olymp empor. Als nun, da der Scheiterhaufen ſchnell zu Aſche verbrannt war, Jolaus und die andern Freunde der Brandſtätte ſich näherten, die Ueberbleibſel des Helden zuſammen zu leſen, fanden ſie kein einziges Gebein mehr. Sie konnten auch nicht länger zweifeln, daß Her¬ kules, dem alten Götterſpruche zu Folge, aus dem Kreiſe der Menſchen in den der Himmliſchen verſetzt worden ſey,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/293>, abgerufen am 29.04.2024.