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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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und den Schleier mitgenommen, die unglückbringenden Ge¬
schenke, die einst Venus der Harmonia an ihrem Beila¬
ger mit Kadmus, dem Gründer Thebe's, verehrt hatte,
und die jedem, der sie trug, das Verderben brachten.
Diese Gaben hatten auch wirklich schon der Harmonia
selbst, der Semele, der Mutter des Bacchus, und der
Jokaste den Untergang gebracht. Zuletzt hatte sie Argia,
die Gemahlin des Polynices, die auch unglücklich werden
sollte, besessen, und jetzt beschloß ihr Gemahl, mit einem
derselben, dem Halsbande, die Eriphyle zu bestechen,
daß sie ihm und seinen Kampfgenossen den Aufenthalt
ihres Gatten verriethe. Als das Weib, das längst seine
Schwester um den herrlichen Schmuck, den ihr der
Fremdling zugebracht, beneidet hatte, die funkelnden Edel¬
steine und Goldspangen an dem Halsbande sah, konnte
sie der Lockung nicht widerstehen, hieß den Polynices fol¬
gen und zog den Amphiaraus aus seiner Zufluchtsstätte
hervor. Jetzt konnte dieser sich der Anschließung an
den Feldzug um so weniger entziehen, als er schon frü¬
her, da er sich mit dem Adrastus ausgesöhnt und von
ihm die Schwester zur Ehe erhalten hatte, anheischig ge¬
macht, bei jeder künftigen Streitigkeit mit dem Schwager
die Entscheidung seiner Gattin zu überlassen. Er that
seine Rüstung an und sammelte seine Krieger. Bevor er
jedoch auszog, rief er seinen Sohn Alkmäon zu sich und
verpflichtete ihn mit einem heiligen Schwure, sich nach sei¬
nem Tode, sobald ihm derselbe kundbar würde, an der
treulosen Mutter zu rächen.


und den Schleier mitgenommen, die unglückbringenden Ge¬
ſchenke, die einſt Venus der Harmonia an ihrem Beila¬
ger mit Kadmus, dem Gründer Thebe's, verehrt hatte,
und die jedem, der ſie trug, das Verderben brachten.
Dieſe Gaben hatten auch wirklich ſchon der Harmonia
ſelbſt, der Semele, der Mutter des Bacchus, und der
Jokaſte den Untergang gebracht. Zuletzt hatte ſie Argia,
die Gemahlin des Polynices, die auch unglücklich werden
ſollte, beſeſſen, und jetzt beſchloß ihr Gemahl, mit einem
derſelben, dem Halsbande, die Eriphyle zu beſtechen,
daß ſie ihm und ſeinen Kampfgenoſſen den Aufenthalt
ihres Gatten verriethe. Als das Weib, das längſt ſeine
Schweſter um den herrlichen Schmuck, den ihr der
Fremdling zugebracht, beneidet hatte, die funkelnden Edel¬
ſteine und Goldſpangen an dem Halsbande ſah, konnte
ſie der Lockung nicht widerſtehen, hieß den Polynices fol¬
gen und zog den Amphiaraus aus ſeiner Zufluchtsſtätte
hervor. Jetzt konnte dieſer ſich der Anſchließung an
den Feldzug um ſo weniger entziehen, als er ſchon frü¬
her, da er ſich mit dem Adraſtus ausgeſöhnt und von
ihm die Schweſter zur Ehe erhalten hatte, anheiſchig ge¬
macht, bei jeder künftigen Streitigkeit mit dem Schwager
die Entſcheidung ſeiner Gattin zu überlaſſen. Er that
ſeine Rüſtung an und ſammelte ſeine Krieger. Bevor er
jedoch auszog, rief er ſeinen Sohn Alkmäon zu ſich und
verpflichtete ihn mit einem heiligen Schwure, ſich nach ſei¬
nem Tode, ſobald ihm derſelbe kundbar würde, an der
treuloſen Mutter zu rächen.


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[347/0373] und den Schleier mitgenommen, die unglückbringenden Ge¬ ſchenke, die einſt Venus der Harmonia an ihrem Beila¬ ger mit Kadmus, dem Gründer Thebe's, verehrt hatte, und die jedem, der ſie trug, das Verderben brachten. Dieſe Gaben hatten auch wirklich ſchon der Harmonia ſelbſt, der Semele, der Mutter des Bacchus, und der Jokaſte den Untergang gebracht. Zuletzt hatte ſie Argia, die Gemahlin des Polynices, die auch unglücklich werden ſollte, beſeſſen, und jetzt beſchloß ihr Gemahl, mit einem derſelben, dem Halsbande, die Eriphyle zu beſtechen, daß ſie ihm und ſeinen Kampfgenoſſen den Aufenthalt ihres Gatten verriethe. Als das Weib, das längſt ſeine Schweſter um den herrlichen Schmuck, den ihr der Fremdling zugebracht, beneidet hatte, die funkelnden Edel¬ ſteine und Goldſpangen an dem Halsbande ſah, konnte ſie der Lockung nicht widerſtehen, hieß den Polynices fol¬ gen und zog den Amphiaraus aus ſeiner Zufluchtsſtätte hervor. Jetzt konnte dieſer ſich der Anſchließung an den Feldzug um ſo weniger entziehen, als er ſchon frü¬ her, da er ſich mit dem Adraſtus ausgeſöhnt und von ihm die Schweſter zur Ehe erhalten hatte, anheiſchig ge¬ macht, bei jeder künftigen Streitigkeit mit dem Schwager die Entſcheidung ſeiner Gattin zu überlaſſen. Er that ſeine Rüſtung an und ſammelte ſeine Krieger. Bevor er jedoch auszog, rief er ſeinen Sohn Alkmäon zu ſich und verpflichtete ihn mit einem heiligen Schwure, ſich nach ſei¬ nem Tode, ſobald ihm derſelbe kundbar würde, an der treuloſen Mutter zu rächen.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/373>, abgerufen am 30.04.2024.