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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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forderung im feindlichen Heere ruchtbar wurde, erhob
sich Echemus, der König von Tegea; ein kecker Kämp¬
fer in den besten Mannesjahren, und nahm die Ausfor¬
derung an. Beide kämpften mit seltener Tapferkeit;
zuletzt aber unterlag Hyllus, und ein finsteres Sinnen
über die Zweideutigkeit des Orakelspruchs, den er erhal¬
ten hatte, umschwebte die Stirnfalten des Sterbenden.
Dem Vertrage gemäß standen jetzt die Herakliden von
ihrem Unternehmen ab, kehrten wieder nach dem Isth¬
mus um, und wohnten jetzt wieder in der Gegend
von Marathon. Die fünfzig Jahre gingen vorüber,
ohne daß die Kinder des Herkules daran dachten, dem
Vertrage zuwider, ihr Erbland aufs neue zu erobern. In¬
zwischen war Kleodäus, der Sohn des Hyllus und der
Jole, ein Mann von mehr als fünfzig Jahren geworden.
Da nun der Vergleich abgelaufen und ihm die Hände
nicht mehr gebunden waren, machte er sich mit andern Enkeln
des Herkules gegen den Peloponnes auf, als der troja¬
nische Krieg schon dreißig Jahre vorüber war. Aber auch
er war nicht glücklicher als sein Vater, und kam mit sei¬
nem ganzen Heer auf diesem Feldzuge um. Zwanzig Jahre
später machte sein Sohn Aristomachus, der Enkel des
Hyllus und Urenkel des Herkules, einen zweiten Versuch.
Dieß geschah, als Tisamenus, ein Sohn des Orestes, über
die Peloponnesier herrschte. Auch ihn führte das Orakel
durch einen zweideutigen Rath irre; "die Götter," sprach es,
"verleihen dir den Sieg durch den Pfad des Engpasses."
Er brach über den Isthmus ein, wurde zurückgeschlagen
und ließ wie Vater und Großvater sein Leben.

Neue dreißig Jahre gingen vorüber, und Troja lag
schon achtzig Jahre in Asche. Da unternahmen die Söhne

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forderung im feindlichen Heere ruchtbar wurde, erhob
ſich Echemus, der König von Tegea; ein kecker Kämp¬
fer in den beſten Mannesjahren, und nahm die Ausfor¬
derung an. Beide kämpften mit ſeltener Tapferkeit;
zuletzt aber unterlag Hyllus, und ein finſteres Sinnen
über die Zweideutigkeit des Orakelſpruchs, den er erhal¬
ten hatte, umſchwebte die Stirnfalten des Sterbenden.
Dem Vertrage gemäß ſtanden jetzt die Herakliden von
ihrem Unternehmen ab, kehrten wieder nach dem Iſth¬
mus um, und wohnten jetzt wieder in der Gegend
von Marathon. Die fünfzig Jahre gingen vorüber,
ohne daß die Kinder des Herkules daran dachten, dem
Vertrage zuwider, ihr Erbland aufs neue zu erobern. In¬
zwiſchen war Kleodäus, der Sohn des Hyllus und der
Jole, ein Mann von mehr als fünfzig Jahren geworden.
Da nun der Vergleich abgelaufen und ihm die Hände
nicht mehr gebunden waren, machte er ſich mit andern Enkeln
des Herkules gegen den Peloponnes auf, als der troja¬
niſche Krieg ſchon dreißig Jahre vorüber war. Aber auch
er war nicht glücklicher als ſein Vater, und kam mit ſei¬
nem ganzen Heer auf dieſem Feldzuge um. Zwanzig Jahre
ſpäter machte ſein Sohn Ariſtomachus, der Enkel des
Hyllus und Urenkel des Herkules, einen zweiten Verſuch.
Dieß geſchah, als Tiſamenus, ein Sohn des Oreſtes, über
die Peloponneſier herrſchte. Auch ihn führte das Orakel
durch einen zweideutigen Rath irre; „die Götter,“ ſprach es,
„verleihen dir den Sieg durch den Pfad des Engpaſſes.“
Er brach über den Iſthmus ein, wurde zurückgeſchlagen
und ließ wie Vater und Großvater ſein Leben.

Neue dreißig Jahre gingen vorüber, und Troja lag
ſchon achtzig Jahre in Aſche. Da unternahmen die Söhne

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[403/0429] forderung im feindlichen Heere ruchtbar wurde, erhob ſich Echemus, der König von Tegea; ein kecker Kämp¬ fer in den beſten Mannesjahren, und nahm die Ausfor¬ derung an. Beide kämpften mit ſeltener Tapferkeit; zuletzt aber unterlag Hyllus, und ein finſteres Sinnen über die Zweideutigkeit des Orakelſpruchs, den er erhal¬ ten hatte, umſchwebte die Stirnfalten des Sterbenden. Dem Vertrage gemäß ſtanden jetzt die Herakliden von ihrem Unternehmen ab, kehrten wieder nach dem Iſth¬ mus um, und wohnten jetzt wieder in der Gegend von Marathon. Die fünfzig Jahre gingen vorüber, ohne daß die Kinder des Herkules daran dachten, dem Vertrage zuwider, ihr Erbland aufs neue zu erobern. In¬ zwiſchen war Kleodäus, der Sohn des Hyllus und der Jole, ein Mann von mehr als fünfzig Jahren geworden. Da nun der Vergleich abgelaufen und ihm die Hände nicht mehr gebunden waren, machte er ſich mit andern Enkeln des Herkules gegen den Peloponnes auf, als der troja¬ niſche Krieg ſchon dreißig Jahre vorüber war. Aber auch er war nicht glücklicher als ſein Vater, und kam mit ſei¬ nem ganzen Heer auf dieſem Feldzuge um. Zwanzig Jahre ſpäter machte ſein Sohn Ariſtomachus, der Enkel des Hyllus und Urenkel des Herkules, einen zweiten Verſuch. Dieß geſchah, als Tiſamenus, ein Sohn des Oreſtes, über die Peloponneſier herrſchte. Auch ihn führte das Orakel durch einen zweideutigen Rath irre; „die Götter,“ ſprach es, „verleihen dir den Sieg durch den Pfad des Engpaſſes.“ Er brach über den Iſthmus ein, wurde zurückgeſchlagen und ließ wie Vater und Großvater ſein Leben. Neue dreißig Jahre gingen vorüber, und Troja lag ſchon achtzig Jahre in Aſche. Da unternahmen die Söhne 26 *

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/429>, abgerufen am 29.04.2024.