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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Einer Nacht alle ihre Schilde. Sie sahen auf diese Weise
den Spruch des Gottes erfüllt, ließen sich in der Gegend
nieder und erbauten dem Apollo eine Bildsäule, der eine
Maus, was in äolischer Mundart Smintha bedeutet, zu
Füßen lag.

Diesem Apollo dem Sminthier, der seinen Tempel
nicht weit von Chrysa auf einer Anhöhe stehen hatte, ward
nun unter Palamedes Anführung von seinem Priester
Chryses eine Hekatombe oder Hundertzahl heiliger Schafe
geopfert. Die Ehre, die dem Palamedes durch die An¬
ordnung Apollo's selbst wiederfuhr, beschleunigte seinen
Untergang. Denn in Odysseus sonst nicht unedlem Ge¬
müthe gewann jetzt ganz der Neid die Oberhand, und er
sann auf eine fluchwürdige List, durch welche er dem edeln
Manne den Untergang bereitete. Er verbarg eigenhändig
in tiefster Heimlichkeit eine Summe Geldes in das Zelt
des Palamedes. Dann schrieb er im Namen des Priamus
einen Brief an den griechischen Helden, in welchem dieser
von überschicktem Golde sprach und dem Palamedes sei¬
nen Dank ausdrückte, daß derselbe ihm das Heer der
Griechen verrathen habe. Dieser Brief wurde einem
phrygischen Gefangenen in die Hände gespielt, bei diesem
sodann von Odysseus entdeckt und der unschuldige Träger
auf seine Veranstaltung sofort auf der Stelle niedergemacht.
Den Brief zeigte Odysseus vor der Fürstenversammlung im
griechischen Lager. Palamedes wurde von den entrüsteten
Häuptern der Danaer vor einen Kriegsrath gestellt, den
Agamemnon aus den vornehmsten Fürsten zusammensetzte
und in welchem Odysseus sich den Vorsitz zu verschaffen
wußte; auf seine Veranlassung ward im Zelte des Be¬
schuldigten geforscht, endlich nachgegraben, und so die Summe

Einer Nacht alle ihre Schilde. Sie ſahen auf dieſe Weiſe
den Spruch des Gottes erfüllt, ließen ſich in der Gegend
nieder und erbauten dem Apollo eine Bildſäule, der eine
Maus, was in äoliſcher Mundart Smintha bedeutet, zu
Füßen lag.

Dieſem Apollo dem Sminthier, der ſeinen Tempel
nicht weit von Chryſa auf einer Anhöhe ſtehen hatte, ward
nun unter Palamedes Anführung von ſeinem Prieſter
Chryſes eine Hekatombe oder Hundertzahl heiliger Schafe
geopfert. Die Ehre, die dem Palamedes durch die An¬
ordnung Apollo's ſelbſt wiederfuhr, beſchleunigte ſeinen
Untergang. Denn in Odyſſeus ſonſt nicht unedlem Ge¬
müthe gewann jetzt ganz der Neid die Oberhand, und er
ſann auf eine fluchwürdige Liſt, durch welche er dem edeln
Manne den Untergang bereitete. Er verbarg eigenhändig
in tiefſter Heimlichkeit eine Summe Geldes in das Zelt
des Palamedes. Dann ſchrieb er im Namen des Priamus
einen Brief an den griechiſchen Helden, in welchem dieſer
von überſchicktem Golde ſprach und dem Palamedes ſei¬
nen Dank ausdrückte, daß derſelbe ihm das Heer der
Griechen verrathen habe. Dieſer Brief wurde einem
phrygiſchen Gefangenen in die Hände geſpielt, bei dieſem
ſodann von Odyſſeus entdeckt und der unſchuldige Träger
auf ſeine Veranſtaltung ſofort auf der Stelle niedergemacht.
Den Brief zeigte Odyſſeus vor der Fürſtenverſammlung im
griechiſchen Lager. Palamedes wurde von den entrüſteten
Häuptern der Danaer vor einen Kriegsrath geſtellt, den
Agamemnon aus den vornehmſten Fürſten zuſammenſetzte
und in welchem Odyſſeus ſich den Vorſitz zu verſchaffen
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[72/0094] Einer Nacht alle ihre Schilde. Sie ſahen auf dieſe Weiſe den Spruch des Gottes erfüllt, ließen ſich in der Gegend nieder und erbauten dem Apollo eine Bildſäule, der eine Maus, was in äoliſcher Mundart Smintha bedeutet, zu Füßen lag. Dieſem Apollo dem Sminthier, der ſeinen Tempel nicht weit von Chryſa auf einer Anhöhe ſtehen hatte, ward nun unter Palamedes Anführung von ſeinem Prieſter Chryſes eine Hekatombe oder Hundertzahl heiliger Schafe geopfert. Die Ehre, die dem Palamedes durch die An¬ ordnung Apollo's ſelbſt wiederfuhr, beſchleunigte ſeinen Untergang. Denn in Odyſſeus ſonſt nicht unedlem Ge¬ müthe gewann jetzt ganz der Neid die Oberhand, und er ſann auf eine fluchwürdige Liſt, durch welche er dem edeln Manne den Untergang bereitete. Er verbarg eigenhändig in tiefſter Heimlichkeit eine Summe Geldes in das Zelt des Palamedes. Dann ſchrieb er im Namen des Priamus einen Brief an den griechiſchen Helden, in welchem dieſer von überſchicktem Golde ſprach und dem Palamedes ſei¬ nen Dank ausdrückte, daß derſelbe ihm das Heer der Griechen verrathen habe. Dieſer Brief wurde einem phrygiſchen Gefangenen in die Hände geſpielt, bei dieſem ſodann von Odyſſeus entdeckt und der unſchuldige Träger auf ſeine Veranſtaltung ſofort auf der Stelle niedergemacht. Den Brief zeigte Odyſſeus vor der Fürſtenverſammlung im griechiſchen Lager. Palamedes wurde von den entrüſteten Häuptern der Danaer vor einen Kriegsrath geſtellt, den Agamemnon aus den vornehmſten Fürſten zuſammenſetzte und in welchem Odyſſeus ſich den Vorſitz zu verſchaffen wußte; auf ſeine Veranlaſſung ward im Zelte des Be¬ ſchuldigten geforſcht, endlich nachgegraben, und ſo die Summe

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/94>, abgerufen am 19.04.2024.