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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Rußland und England in Vorder-Asien.
jetzigen Schah geblieben, und er setzte auf ihre Verwirklichung
sehr viel Hoffnung, -- da schob England auch hier ganz uner-
wartet dem, von Rußland begreiflicherweise sehr warm unter-
stützten Plane, einen Riegel vor; es faßte in dem elenden Dorfe
Mohammereh, an der Mündung des Schatt-el-Arab, Fuß, um
sich hier in Zukunft sein mesopotamisches Singapur zu gründen.

Einen noch viel entschiedeneren Einfluß wußte sich England
im östlichen Arabien zu sichern, wo namentlich die turbulenten
politischen Ereignisse im Sultanat von Maskat die brittische
Intervention geradezu herausforderten. Zum Verständnisse der
heutigen Lage daselbst müssen wir indessen die Geschichte Omans
in aller Kürze vorbringen. Die eigentlichen Wirren in diesem
Sultanat datiren seit der unglücklichen Entschließung des Sultans
Sayid Said (gest. 1856): sein Reich in Asien und Afrika in
zwei Theile, wie sie die Natur allerdings begünstigte, zu trennen
und so aus einem Staate zwei zu schaffen. Es erhielt Said
Medschid die Territorien an der ostafrikanischen Küste mit San-
sibar, und Said Tsueni das Sultanat von Oman, mit der
Hauptstadt Maskat. Bald nach dem Regierungsantritte Tsuenis
entspann sich in Oman ein Bruderzwist, hervorgerufen durch ein
geradezu usurpatorisches Auftreten Saids Achmeds, des dritten
Sohnes Sayid Saids. In seiner Bedrängniß rief der Regent
die Wahabiten, die Hochländler von Nedsched, zu Hilfe, schlug mit
diesen seinen Bruder Achmed und warf ihn ins Gefängniß, wo
er wahrscheinlich eines gewaltsamen Todes starb, denn es hat
seitdem von ihm nichts mehr verlautet. Wir wollen nun noch
hinzusetzen, daß bereits der Vater Tsuenis, als ganz unmündiger
Knabe noch, seinen eigenen Oheim, den Sultan Bedr, auf seinem
Schlosse zu Burka ermordet hatte, und somit sich und seine
Nachkommen der in Arabien noch mit voller Intensität grassirenden
Blutrache überlieferte. Das Familien-Drama sollte auch in der
That nicht zu lange auf sich warten lassen. Unter den unab-
hängigen Beduinen im Innern des Landes lebte ein Enkel Bedrs,
Azran Ibn Ghais, der den eigenen Sohn des omanitischen Sul-
tans für eine Verschwörung gegen diesen und sein Regiment
gewann, und so wurde Tsueni (im Sommer 1867) durch seinen
eigenen Sohn im Schlosse Burka hinterlistig ermordet. Diese
blutige That hat dem jungen Said Salem schlechte Früchte

Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. II

Rußland und England in Vorder-Aſien.
jetzigen Schah geblieben, und er ſetzte auf ihre Verwirklichung
ſehr viel Hoffnung, — da ſchob England auch hier ganz uner-
wartet dem, von Rußland begreiflicherweiſe ſehr warm unter-
ſtützten Plane, einen Riegel vor; es faßte in dem elenden Dorfe
Mohammereh, an der Mündung des Schatt-el-Arab, Fuß, um
ſich hier in Zukunft ſein meſopotamiſches Singapur zu gründen.

Einen noch viel entſchiedeneren Einfluß wußte ſich England
im öſtlichen Arabien zu ſichern, wo namentlich die turbulenten
politiſchen Ereigniſſe im Sultanat von Maskat die brittiſche
Intervention geradezu herausforderten. Zum Verſtändniſſe der
heutigen Lage daſelbſt müſſen wir indeſſen die Geſchichte Omans
in aller Kürze vorbringen. Die eigentlichen Wirren in dieſem
Sultanat datiren ſeit der unglücklichen Entſchließung des Sultans
Sayid Said (geſt. 1856): ſein Reich in Aſien und Afrika in
zwei Theile, wie ſie die Natur allerdings begünſtigte, zu trennen
und ſo aus einem Staate zwei zu ſchaffen. Es erhielt Said
Medſchid die Territorien an der oſtafrikaniſchen Küſte mit San-
ſibar, und Said Tsueni das Sultanat von Oman, mit der
Hauptſtadt Maskat. Bald nach dem Regierungsantritte Tsuenis
entſpann ſich in Oman ein Bruderzwiſt, hervorgerufen durch ein
geradezu uſurpatoriſches Auftreten Saids Achmeds, des dritten
Sohnes Sayid Saids. In ſeiner Bedrängniß rief der Regent
die Wahabiten, die Hochländler von Nedſched, zu Hilfe, ſchlug mit
dieſen ſeinen Bruder Achmed und warf ihn ins Gefängniß, wo
er wahrſcheinlich eines gewaltſamen Todes ſtarb, denn es hat
ſeitdem von ihm nichts mehr verlautet. Wir wollen nun noch
hinzuſetzen, daß bereits der Vater Tsuenis, als ganz unmündiger
Knabe noch, ſeinen eigenen Oheim, den Sultan Bedr, auf ſeinem
Schloſſe zu Burka ermordet hatte, und ſomit ſich und ſeine
Nachkommen der in Arabien noch mit voller Intenſität graſſirenden
Blutrache überlieferte. Das Familien-Drama ſollte auch in der
That nicht zu lange auf ſich warten laſſen. Unter den unab-
hängigen Beduinen im Innern des Landes lebte ein Enkel Bedrs,
Azran Ibn Ghais, der den eigenen Sohn des omanitiſchen Sul-
tans für eine Verſchwörung gegen dieſen und ſein Regiment
gewann, und ſo wurde Tsueni (im Sommer 1867) durch ſeinen
eigenen Sohn im Schloſſe Burka hinterliſtig ermordet. Dieſe
blutige That hat dem jungen Said Salem ſchlechte Früchte

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[XVII/0021] Rußland und England in Vorder-Aſien. jetzigen Schah geblieben, und er ſetzte auf ihre Verwirklichung ſehr viel Hoffnung, — da ſchob England auch hier ganz uner- wartet dem, von Rußland begreiflicherweiſe ſehr warm unter- ſtützten Plane, einen Riegel vor; es faßte in dem elenden Dorfe Mohammereh, an der Mündung des Schatt-el-Arab, Fuß, um ſich hier in Zukunft ſein meſopotamiſches Singapur zu gründen. Einen noch viel entſchiedeneren Einfluß wußte ſich England im öſtlichen Arabien zu ſichern, wo namentlich die turbulenten politiſchen Ereigniſſe im Sultanat von Maskat die brittiſche Intervention geradezu herausforderten. Zum Verſtändniſſe der heutigen Lage daſelbſt müſſen wir indeſſen die Geſchichte Omans in aller Kürze vorbringen. Die eigentlichen Wirren in dieſem Sultanat datiren ſeit der unglücklichen Entſchließung des Sultans Sayid Said (geſt. 1856): ſein Reich in Aſien und Afrika in zwei Theile, wie ſie die Natur allerdings begünſtigte, zu trennen und ſo aus einem Staate zwei zu ſchaffen. Es erhielt Said Medſchid die Territorien an der oſtafrikaniſchen Küſte mit San- ſibar, und Said Tsueni das Sultanat von Oman, mit der Hauptſtadt Maskat. Bald nach dem Regierungsantritte Tsuenis entſpann ſich in Oman ein Bruderzwiſt, hervorgerufen durch ein geradezu uſurpatoriſches Auftreten Saids Achmeds, des dritten Sohnes Sayid Saids. In ſeiner Bedrängniß rief der Regent die Wahabiten, die Hochländler von Nedſched, zu Hilfe, ſchlug mit dieſen ſeinen Bruder Achmed und warf ihn ins Gefängniß, wo er wahrſcheinlich eines gewaltſamen Todes ſtarb, denn es hat ſeitdem von ihm nichts mehr verlautet. Wir wollen nun noch hinzuſetzen, daß bereits der Vater Tsuenis, als ganz unmündiger Knabe noch, ſeinen eigenen Oheim, den Sultan Bedr, auf ſeinem Schloſſe zu Burka ermordet hatte, und ſomit ſich und ſeine Nachkommen der in Arabien noch mit voller Intenſität graſſirenden Blutrache überlieferte. Das Familien-Drama ſollte auch in der That nicht zu lange auf ſich warten laſſen. Unter den unab- hängigen Beduinen im Innern des Landes lebte ein Enkel Bedrs, Azran Ibn Ghais, der den eigenen Sohn des omanitiſchen Sul- tans für eine Verſchwörung gegen dieſen und ſein Regiment gewann, und ſo wurde Tsueni (im Sommer 1867) durch ſeinen eigenen Sohn im Schloſſe Burka hinterliſtig ermordet. Dieſe blutige That hat dem jungen Said Salem ſchlechte Früchte Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. II

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. XVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/21>, abgerufen am 25.04.2024.