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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Einleitende Bemerkungen.
sollten. Im Allgemeinen befanden sich die türkischen Streitkräfte,
unter Commando des Muschirs Achmet Mukhtar gestellt, zu
Beginn des Krieges nicht in der Lage, dem Gegner erheblichen
Widerstand zu leisten. Es waren meist nur Irreguläre, Kurden,
Tscherkessen, ja selbst Araber, welche unter die Fahnen des tür-
kischen Generals geeilt waren, während die eigentliche reguläre
Feldarmee eine sehr bescheidene Ziffer repräsentirte. So gelang
die erste russische Invasion spielend. Bereits eine Woche nach
erfolgter Kriegserklärung zog General Tergukassoff an der Spitze
des Detachements von Eriwan in Bajazid ein und in den ersten
Tagen des Mai erschien die Hauptcolonne vor Kars, wo sie,
ohne eine Cernirung zu bewirken, einige Zeit liegen blieb, indeß
Seiten-Colonnen gegen den Araxes streiften, wobei das Städtchen
Kagisman am 9. Mai den Russen in die Hände fiel. Tergu-
kassoff war wenige Tage später in Djadin eingetroffen und am
17. Mai gelang es dem General Komarow, nach kurzem aber
hartnäckigem Kampfe sich der Festung Ardaghan zu bemächtigen,
wobei zwei Paschas, 7600 Mann in Gefangenschaft geriethen
und 96 Kanonen, 2000 Zelte und 7000 Gewehre erbeutet
wurden. Unterdessen erging es den Russen an den Pontusküsten
minder gut. Die respectable türkische Panzerflotte hatte nicht nur
einzelne russische Häfen blokirt, sondern auch zahlreiche Truppen
in Batum ans Land gesetzt, die nicht nur gleich im Anfange
einen jeden Offensiv-Versuch des Rioncorps vereitelten, sondern
auch späterhin, für die ganze Dauer des Krieges, dasselbe zur
Unthätigkeit verurtheilten. Gleichzeitig war Fazly Pascha mit
einem Expeditionscorps, nachdem vorher von einer Escadre
Suchum-Kaleh an der Küste Abchasiens zusammengeschossen ward,
daselbst gelandet, um den Kaukasus zu insurgiren. Die Absicht
schien Anfangs von Erfolg gekrönt werden zu wollen, denn die
aufständische Bewegung pulste bis tief ins Binnenland hinein
und bald erhoben sich auch einzelne Stämme in der Tschetschna
und im Daghestan, aufgemuntert durch das Erscheinen eines
Sohnes Schamyls und haranguirt durch eine Proclamation
Sultan Abdul Hamids, die an den Opfermuth der "bedrückten
Glaubensbrüder" appellirte. Die Russen wurden indeß der Be-
wegung bald Meister und wenn es auch hin und wieder zu
blutigen Zusammenstößen kam, so waren gleichwohl die Mittel

Einleitende Bemerkungen.
ſollten. Im Allgemeinen befanden ſich die türkiſchen Streitkräfte,
unter Commando des Muſchirs Achmet Mukhtar geſtellt, zu
Beginn des Krieges nicht in der Lage, dem Gegner erheblichen
Widerſtand zu leiſten. Es waren meiſt nur Irreguläre, Kurden,
Tſcherkeſſen, ja ſelbſt Araber, welche unter die Fahnen des tür-
kiſchen Generals geeilt waren, während die eigentliche reguläre
Feldarmee eine ſehr beſcheidene Ziffer repräſentirte. So gelang
die erſte ruſſiſche Invaſion ſpielend. Bereits eine Woche nach
erfolgter Kriegserklärung zog General Tergukaſſoff an der Spitze
des Detachements von Eriwan in Bajazid ein und in den erſten
Tagen des Mai erſchien die Hauptcolonne vor Kars, wo ſie,
ohne eine Cernirung zu bewirken, einige Zeit liegen blieb, indeß
Seiten-Colonnen gegen den Araxes ſtreiften, wobei das Städtchen
Kagisman am 9. Mai den Ruſſen in die Hände fiel. Tergu-
kaſſoff war wenige Tage ſpäter in Djadin eingetroffen und am
17. Mai gelang es dem General Komarow, nach kurzem aber
hartnäckigem Kampfe ſich der Feſtung Ardaghan zu bemächtigen,
wobei zwei Paſchas, 7600 Mann in Gefangenſchaft geriethen
und 96 Kanonen, 2000 Zelte und 7000 Gewehre erbeutet
wurden. Unterdeſſen erging es den Ruſſen an den Pontusküſten
minder gut. Die reſpectable türkiſche Panzerflotte hatte nicht nur
einzelne ruſſiſche Häfen blokirt, ſondern auch zahlreiche Truppen
in Batum ans Land geſetzt, die nicht nur gleich im Anfange
einen jeden Offenſiv-Verſuch des Rioncorps vereitelten, ſondern
auch ſpäterhin, für die ganze Dauer des Krieges, daſſelbe zur
Unthätigkeit verurtheilten. Gleichzeitig war Fazly Paſcha mit
einem Expeditionscorps, nachdem vorher von einer Escadre
Suchum-Kaleh an der Küſte Abchaſiens zuſammengeſchoſſen ward,
daſelbſt gelandet, um den Kaukaſus zu inſurgiren. Die Abſicht
ſchien Anfangs von Erfolg gekrönt werden zu wollen, denn die
aufſtändiſche Bewegung pulſte bis tief ins Binnenland hinein
und bald erhoben ſich auch einzelne Stämme in der Tſchetſchna
und im Dagheſtan, aufgemuntert durch das Erſcheinen eines
Sohnes Schamyls und haranguirt durch eine Proclamation
Sultan Abdul Hamids, die an den Opfermuth der „bedrückten
Glaubensbrüder“ appellirte. Die Ruſſen wurden indeß der Be-
wegung bald Meiſter und wenn es auch hin und wieder zu
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[XXII/0026] Einleitende Bemerkungen. ſollten. Im Allgemeinen befanden ſich die türkiſchen Streitkräfte, unter Commando des Muſchirs Achmet Mukhtar geſtellt, zu Beginn des Krieges nicht in der Lage, dem Gegner erheblichen Widerſtand zu leiſten. Es waren meiſt nur Irreguläre, Kurden, Tſcherkeſſen, ja ſelbſt Araber, welche unter die Fahnen des tür- kiſchen Generals geeilt waren, während die eigentliche reguläre Feldarmee eine ſehr beſcheidene Ziffer repräſentirte. So gelang die erſte ruſſiſche Invaſion ſpielend. Bereits eine Woche nach erfolgter Kriegserklärung zog General Tergukaſſoff an der Spitze des Detachements von Eriwan in Bajazid ein und in den erſten Tagen des Mai erſchien die Hauptcolonne vor Kars, wo ſie, ohne eine Cernirung zu bewirken, einige Zeit liegen blieb, indeß Seiten-Colonnen gegen den Araxes ſtreiften, wobei das Städtchen Kagisman am 9. Mai den Ruſſen in die Hände fiel. Tergu- kaſſoff war wenige Tage ſpäter in Djadin eingetroffen und am 17. Mai gelang es dem General Komarow, nach kurzem aber hartnäckigem Kampfe ſich der Feſtung Ardaghan zu bemächtigen, wobei zwei Paſchas, 7600 Mann in Gefangenſchaft geriethen und 96 Kanonen, 2000 Zelte und 7000 Gewehre erbeutet wurden. Unterdeſſen erging es den Ruſſen an den Pontusküſten minder gut. Die reſpectable türkiſche Panzerflotte hatte nicht nur einzelne ruſſiſche Häfen blokirt, ſondern auch zahlreiche Truppen in Batum ans Land geſetzt, die nicht nur gleich im Anfange einen jeden Offenſiv-Verſuch des Rioncorps vereitelten, ſondern auch ſpäterhin, für die ganze Dauer des Krieges, daſſelbe zur Unthätigkeit verurtheilten. Gleichzeitig war Fazly Paſcha mit einem Expeditionscorps, nachdem vorher von einer Escadre Suchum-Kaleh an der Küſte Abchaſiens zuſammengeſchoſſen ward, daſelbſt gelandet, um den Kaukaſus zu inſurgiren. Die Abſicht ſchien Anfangs von Erfolg gekrönt werden zu wollen, denn die aufſtändiſche Bewegung pulſte bis tief ins Binnenland hinein und bald erhoben ſich auch einzelne Stämme in der Tſchetſchna und im Dagheſtan, aufgemuntert durch das Erſcheinen eines Sohnes Schamyls und haranguirt durch eine Proclamation Sultan Abdul Hamids, die an den Opfermuth der „bedrückten Glaubensbrüder“ appellirte. Die Ruſſen wurden indeß der Be- wegung bald Meiſter und wenn es auch hin und wieder zu blutigen Zuſammenſtößen kam, ſo waren gleichwohl die Mittel

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. XXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/26>, abgerufen am 28.03.2024.