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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Im Ararat-Gebiet.
durch dessen Fenster der Blick eine der pittoreskesten Landschaften
Armeniens umfassen konnte. Arkaden und schattige Lausch-
plätzchen in dem weitläufigen Hofe gestalteten diesen Raubhorst
geradezu zu einem Mußesitze. Das Harem des Schlosses com-
municirte mit dem nebenangelegenen Gefängnisse und so ist für
Romanbeflissene der rothe Faden zur wunderbaren Rettung
Jauberts und seiner Genossen gegeben. Der Palast dominirt
selbstverständlich die Stadt, da die umliegenden Höhen aber auch
diesen beherrschen, so fiel es sowohl im Jahre 1828, wie im
letzten Kriege den Russen nicht schwer, die ganze Position nach
kurzem Kampfe in ihre Hände zu bekommen. Belul, der 1828
als türkischer Pascha und Halb-Vasall der Pforte in Bajazid
regierte, floh in die südlichen Berge mit einem großen Theile der
Stadtbewohner, und was damals noch in den elenden Hütten
zurückblieb, erlag der Pest, welche in dem Räuberneste furchtbar
aufräumte. So verfiel der Platz, umsomehr, als mit dem Ueber-
gang des Bezirkes von Eriwan an die Russen, der Verkehr nach
diesem Theile Armeniens den kurdischen Nomaden gänzlich unter-
bunden war und Persien nach seiner Niederwerfung durch Pas-
kiewitsch nicht daran denken konnte, der kurdischen Räuberromantik
irgendwie Vorschub zu leisten1. Später wanderten auch die
Armenier aus und was in den schmutzigen Behausungen zwischen
Schutt und Gräbern zurückblieb, war ein rohes, bösartiges Ge-
sindel, eine wahre Stammcolonie berüchtigter Meuchelmörder und
Wegelagerer.

Die Ebene von Bajazid ist ein gutes Concentrirungsfeld im
militärischen Sinne. Ueber drei Meilen breit nimmt sie nord-
wärts gegen den Ararat ihre Ausdehnung, dessen Doppelhaupt,
vollkommen abgetrennt von allen übrigen Gebirgen, auf sie
hinabblickt. Allenthalben ist diese platte Niederung von Lava-
kegeln und Trachytklippen durchsetzt2, ein sprechendes Zeugniß
von dem vulkanischen Charakter der ganzen Gegend, der sich auch
wiederholt durch furchtbare Erderschütterungen darthat. Rechnet
man zu den zeitweiligen Schrecken dieser Erscheinungen noch das
rauhe Klima, den einer Seehöhe von 6000 Fuß entsprechenden,

1 Bei Ritter, a. a. O., X.
2 Parrot, "Reisen", I, a. a. O.

Im Ararat-Gebiet.
durch deſſen Fenſter der Blick eine der pittoreskeſten Landſchaften
Armeniens umfaſſen konnte. Arkaden und ſchattige Lauſch-
plätzchen in dem weitläufigen Hofe geſtalteten dieſen Raubhorſt
geradezu zu einem Mußeſitze. Das Harem des Schloſſes com-
municirte mit dem nebenangelegenen Gefängniſſe und ſo iſt für
Romanbefliſſene der rothe Faden zur wunderbaren Rettung
Jauberts und ſeiner Genoſſen gegeben. Der Palaſt dominirt
ſelbſtverſtändlich die Stadt, da die umliegenden Höhen aber auch
dieſen beherrſchen, ſo fiel es ſowohl im Jahre 1828, wie im
letzten Kriege den Ruſſen nicht ſchwer, die ganze Poſition nach
kurzem Kampfe in ihre Hände zu bekommen. Belul, der 1828
als türkiſcher Paſcha und Halb-Vaſall der Pforte in Bajazid
regierte, floh in die ſüdlichen Berge mit einem großen Theile der
Stadtbewohner, und was damals noch in den elenden Hütten
zurückblieb, erlag der Peſt, welche in dem Räuberneſte furchtbar
aufräumte. So verfiel der Platz, umſomehr, als mit dem Ueber-
gang des Bezirkes von Eriwan an die Ruſſen, der Verkehr nach
dieſem Theile Armeniens den kurdiſchen Nomaden gänzlich unter-
bunden war und Perſien nach ſeiner Niederwerfung durch Pas-
kiewitſch nicht daran denken konnte, der kurdiſchen Räuberromantik
irgendwie Vorſchub zu leiſten1. Später wanderten auch die
Armenier aus und was in den ſchmutzigen Behauſungen zwiſchen
Schutt und Gräbern zurückblieb, war ein rohes, bösartiges Ge-
ſindel, eine wahre Stammcolonie berüchtigter Meuchelmörder und
Wegelagerer.

Die Ebene von Bajazid iſt ein gutes Concentrirungsfeld im
militäriſchen Sinne. Ueber drei Meilen breit nimmt ſie nord-
wärts gegen den Ararat ihre Ausdehnung, deſſen Doppelhaupt,
vollkommen abgetrennt von allen übrigen Gebirgen, auf ſie
hinabblickt. Allenthalben iſt dieſe platte Niederung von Lava-
kegeln und Trachytklippen durchſetzt2, ein ſprechendes Zeugniß
von dem vulkaniſchen Charakter der ganzen Gegend, der ſich auch
wiederholt durch furchtbare Erderſchütterungen darthat. Rechnet
man zu den zeitweiligen Schrecken dieſer Erſcheinungen noch das
rauhe Klima, den einer Seehöhe von 6000 Fuß entſprechenden,

1 Bei Ritter, a. a. O., X.
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[6/0038] Im Ararat-Gebiet. durch deſſen Fenſter der Blick eine der pittoreskeſten Landſchaften Armeniens umfaſſen konnte. Arkaden und ſchattige Lauſch- plätzchen in dem weitläufigen Hofe geſtalteten dieſen Raubhorſt geradezu zu einem Mußeſitze. Das Harem des Schloſſes com- municirte mit dem nebenangelegenen Gefängniſſe und ſo iſt für Romanbefliſſene der rothe Faden zur wunderbaren Rettung Jauberts und ſeiner Genoſſen gegeben. Der Palaſt dominirt ſelbſtverſtändlich die Stadt, da die umliegenden Höhen aber auch dieſen beherrſchen, ſo fiel es ſowohl im Jahre 1828, wie im letzten Kriege den Ruſſen nicht ſchwer, die ganze Poſition nach kurzem Kampfe in ihre Hände zu bekommen. Belul, der 1828 als türkiſcher Paſcha und Halb-Vaſall der Pforte in Bajazid regierte, floh in die ſüdlichen Berge mit einem großen Theile der Stadtbewohner, und was damals noch in den elenden Hütten zurückblieb, erlag der Peſt, welche in dem Räuberneſte furchtbar aufräumte. So verfiel der Platz, umſomehr, als mit dem Ueber- gang des Bezirkes von Eriwan an die Ruſſen, der Verkehr nach dieſem Theile Armeniens den kurdiſchen Nomaden gänzlich unter- bunden war und Perſien nach ſeiner Niederwerfung durch Pas- kiewitſch nicht daran denken konnte, der kurdiſchen Räuberromantik irgendwie Vorſchub zu leiſten 1. Später wanderten auch die Armenier aus und was in den ſchmutzigen Behauſungen zwiſchen Schutt und Gräbern zurückblieb, war ein rohes, bösartiges Ge- ſindel, eine wahre Stammcolonie berüchtigter Meuchelmörder und Wegelagerer. Die Ebene von Bajazid iſt ein gutes Concentrirungsfeld im militäriſchen Sinne. Ueber drei Meilen breit nimmt ſie nord- wärts gegen den Ararat ihre Ausdehnung, deſſen Doppelhaupt, vollkommen abgetrennt von allen übrigen Gebirgen, auf ſie hinabblickt. Allenthalben iſt dieſe platte Niederung von Lava- kegeln und Trachytklippen durchſetzt 2, ein ſprechendes Zeugniß von dem vulkaniſchen Charakter der ganzen Gegend, der ſich auch wiederholt durch furchtbare Erderſchütterungen darthat. Rechnet man zu den zeitweiligen Schrecken dieſer Erſcheinungen noch das rauhe Klima, den einer Seehöhe von 6000 Fuß entſprechenden, 1 Bei Ritter, a. a. O., X. 2 Parrot, „Reiſen“, I, a. a. O.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/38>, abgerufen am 24.04.2024.