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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Im Ararat-Gebiet.
und Pferden sprachen, welche in den Schluchten bleichten. Wer
diese Höllenpforte einmal hinter sich hat, genießt plötzlich eines
der imposantesten Panoramen Armeniens. Vor dem Reisenden,
gerade nach Norden hin, liegt die ganze gewaltige Plateau-Masse
Central-Armeniens, eine baumlose Hochebene, von Hügelzügen
oder einzelnen Kegeln unterbrochen; um diese selbst, im Kreise,
ein steinernes Meer von Bergmassen, Längsketten, Zacken, Domen,
dazwischen wieder colossale Pforten -- die Thaleinschnitte des
Tschuruk, Kur, Aras und Arpatschai. -- Von diesem Aussichts-
punkte müßte ein scharf bewaffnetes Auge sowohl Kars, als
Alexandrapol, das erste genau im Norden, das letztere im Nord-
osten bemerken. Keine vorliegenden Höhen versperren die weit-
läufige Perspective, nur die grauen Dünste des nördlichen Plateau-
randes könnten die Castellzinne des alten Türken-Bollwerkes
oder die Wälle der Alexandra-Stadt umschleiern. Unmittelbar
zu Füßen erscheint Alles todt und öde. Kein Fluß, oder Bach,
der nahe vorbeiziehende Aras ausgenommen, schimmert aus dem
einförmigen Steppenbilde und selbst von den Ortschaften ist ihr
Umfang und ihre Anlage nicht leicht auszunehmen. Wenn wir
dann jene baumlose Hochplatte betreten, so wird es uns allerdings
klar, daß die betreffenden Niederlassungen nicht so leicht entdeckt
werden konnten, denn der Armenier liebt es, sich in die Erde
einzugraben, oder vielmehr, er ist es aus Mangel an Bauholz
gezwungen zu thun. Dies Bild begleitet uns, bis plötzlich vor
uns das Felsendefile des Karsflusses mit seinen, von Forts ge-
krönten Gipfeln und Stufen sich öffnet und der Blick auf die
Terrassen des vielgenannten Kars fällt.

Das gesunkene türkische Bollwerk hat eine lange, weit in
vorosmanische Epochen hineinreichende Geschichte. Die Stadt
Kars wird bereits bei den ältesten armenischen Schriftstellern
genannt, sie scheint aber erst unter den Byzantinern ihren heutigen
Namen erhalten zu haben, und sie galt bei denselben als eine
der Capitalen Armeniens, die sie auch thatsächlich war, da die
bagratidische Dynastie, bekanntlich eines der ältesten christlichen
Königsgeschlechter, durch nahezu ein halbes Jahrhundert in der
düsteren Terrassenstadt von "Armenia magna" residirte. Unter
dem letzten selbstständigen Beherrscher des Königreichs Kars, Kakig II.,
kam die Stadt und das Reich in der zweiten Hälfte des elften

Im Ararat-Gebiet.
und Pferden ſprachen, welche in den Schluchten bleichten. Wer
dieſe Höllenpforte einmal hinter ſich hat, genießt plötzlich eines
der impoſanteſten Panoramen Armeniens. Vor dem Reiſenden,
gerade nach Norden hin, liegt die ganze gewaltige Plateau-Maſſe
Central-Armeniens, eine baumloſe Hochebene, von Hügelzügen
oder einzelnen Kegeln unterbrochen; um dieſe ſelbſt, im Kreiſe,
ein ſteinernes Meer von Bergmaſſen, Längsketten, Zacken, Domen,
dazwiſchen wieder coloſſale Pforten — die Thaleinſchnitte des
Tſchuruk, Kur, Aras und Arpatſchai. — Von dieſem Ausſichts-
punkte müßte ein ſcharf bewaffnetes Auge ſowohl Kars, als
Alexandrapol, das erſte genau im Norden, das letztere im Nord-
oſten bemerken. Keine vorliegenden Höhen verſperren die weit-
läufige Perſpective, nur die grauen Dünſte des nördlichen Plateau-
randes könnten die Caſtellzinne des alten Türken-Bollwerkes
oder die Wälle der Alexandra-Stadt umſchleiern. Unmittelbar
zu Füßen erſcheint Alles todt und öde. Kein Fluß, oder Bach,
der nahe vorbeiziehende Aras ausgenommen, ſchimmert aus dem
einförmigen Steppenbilde und ſelbſt von den Ortſchaften iſt ihr
Umfang und ihre Anlage nicht leicht auszunehmen. Wenn wir
dann jene baumloſe Hochplatte betreten, ſo wird es uns allerdings
klar, daß die betreffenden Niederlaſſungen nicht ſo leicht entdeckt
werden konnten, denn der Armenier liebt es, ſich in die Erde
einzugraben, oder vielmehr, er iſt es aus Mangel an Bauholz
gezwungen zu thun. Dies Bild begleitet uns, bis plötzlich vor
uns das Felſendefilé des Karsfluſſes mit ſeinen, von Forts ge-
krönten Gipfeln und Stufen ſich öffnet und der Blick auf die
Terraſſen des vielgenannten Kars fällt.

Das geſunkene türkiſche Bollwerk hat eine lange, weit in
vorosmaniſche Epochen hineinreichende Geſchichte. Die Stadt
Kars wird bereits bei den älteſten armeniſchen Schriftſtellern
genannt, ſie ſcheint aber erſt unter den Byzantinern ihren heutigen
Namen erhalten zu haben, und ſie galt bei denſelben als eine
der Capitalen Armeniens, die ſie auch thatſächlich war, da die
bagratidiſche Dynaſtie, bekanntlich eines der älteſten chriſtlichen
Königsgeſchlechter, durch nahezu ein halbes Jahrhundert in der
düſteren Terraſſenſtadt von „Armenia magna“ reſidirte. Unter
dem letzten ſelbſtſtändigen Beherrſcher des Königreichs Kars, Kakig II.,
kam die Stadt und das Reich in der zweiten Hälfte des elften

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[10/0042] Im Ararat-Gebiet. und Pferden ſprachen, welche in den Schluchten bleichten. Wer dieſe Höllenpforte einmal hinter ſich hat, genießt plötzlich eines der impoſanteſten Panoramen Armeniens. Vor dem Reiſenden, gerade nach Norden hin, liegt die ganze gewaltige Plateau-Maſſe Central-Armeniens, eine baumloſe Hochebene, von Hügelzügen oder einzelnen Kegeln unterbrochen; um dieſe ſelbſt, im Kreiſe, ein ſteinernes Meer von Bergmaſſen, Längsketten, Zacken, Domen, dazwiſchen wieder coloſſale Pforten — die Thaleinſchnitte des Tſchuruk, Kur, Aras und Arpatſchai. — Von dieſem Ausſichts- punkte müßte ein ſcharf bewaffnetes Auge ſowohl Kars, als Alexandrapol, das erſte genau im Norden, das letztere im Nord- oſten bemerken. Keine vorliegenden Höhen verſperren die weit- läufige Perſpective, nur die grauen Dünſte des nördlichen Plateau- randes könnten die Caſtellzinne des alten Türken-Bollwerkes oder die Wälle der Alexandra-Stadt umſchleiern. Unmittelbar zu Füßen erſcheint Alles todt und öde. Kein Fluß, oder Bach, der nahe vorbeiziehende Aras ausgenommen, ſchimmert aus dem einförmigen Steppenbilde und ſelbſt von den Ortſchaften iſt ihr Umfang und ihre Anlage nicht leicht auszunehmen. Wenn wir dann jene baumloſe Hochplatte betreten, ſo wird es uns allerdings klar, daß die betreffenden Niederlaſſungen nicht ſo leicht entdeckt werden konnten, denn der Armenier liebt es, ſich in die Erde einzugraben, oder vielmehr, er iſt es aus Mangel an Bauholz gezwungen zu thun. Dies Bild begleitet uns, bis plötzlich vor uns das Felſendefilé des Karsfluſſes mit ſeinen, von Forts ge- krönten Gipfeln und Stufen ſich öffnet und der Blick auf die Terraſſen des vielgenannten Kars fällt. Das geſunkene türkiſche Bollwerk hat eine lange, weit in vorosmaniſche Epochen hineinreichende Geſchichte. Die Stadt Kars wird bereits bei den älteſten armeniſchen Schriftſtellern genannt, ſie ſcheint aber erſt unter den Byzantinern ihren heutigen Namen erhalten zu haben, und ſie galt bei denſelben als eine der Capitalen Armeniens, die ſie auch thatſächlich war, da die bagratidiſche Dynaſtie, bekanntlich eines der älteſten chriſtlichen Königsgeſchlechter, durch nahezu ein halbes Jahrhundert in der düſteren Terraſſenſtadt von „Armenia magna“ reſidirte. Unter dem letzten ſelbſtſtändigen Beherrſcher des Königreichs Kars, Kakig II., kam die Stadt und das Reich in der zweiten Hälfte des elften

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/42>, abgerufen am 19.04.2024.