Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Mamigonier.
anderer armenischer Chronist -- Vakstang -- stets von Turaniern,
wenn er der Mamigonier gedenkt ... Waren nun diese auch
Turanier im ethnologischen Sinne, nämlich Zugehörige zu jener
anderen großen Völkergruppe, welche man im Gegensatze zu den
Iraniern so benannte, und die man heute mit dem Collectiv der
ural-altaischen Völker belegt? Wir haben Gründe dies entschieden
zu bezweifeln. Aus den Schilderungen alter Chronisten geht
überzeugend genug hervor, daß die Mamigonier ein den Persern
und Armeniern verwandtes, somit arisches Volk waren, und wir
vermögen dies um so weniger zu bezweifeln, als arische Elemente
sich auch heute noch allenthalben unter den turkistanischen Völker-
schaften zerstreut vorfinden1 ... In welchem Grade sich die
Mamigonier in ihrer neuen Heimat späterhin vermehrt hatten,

1 Es sind die sogenannten "Tadschiks" (vgl. H. Vambery, "Die Iranier
Turkestans", Oesterr. Monatsschr. f. d. Orient, II, 7). Im Jahre 1857
hatten die Brüder Schlagintweit, unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus
Central-Asien, ihre Ueberzeugung ausgesprochen, daß die Bewohner Ost-
Turkestans tartarisirte Arier seien. Es wären also nicht nur, wie un-
zweifelhaft, die heute persisch redenden Tadschiks, sondern auch die der-
malen türkisch sprechenden Stämme Ost-Turkestans arischen Ursprungs.
Mit andern Worten, die Urbevölkerung wäre die arische und nicht die
türkische (turanische) gewesen. Diese Meinung hat auch durch die Beob-
achtungen Robert Schaws an hoher Wahrscheinlichkeit gewonnen. Die
meisten Tadschiks trifft man unter den Kaufleuten (also wie zur Zeit der
Mamigonier); sie stammen aus Andischan, oder sind Emigranten aus Badagh-
schan, Afghanistan und andern benachbarten Ländern. (F. v. Hellwald,
"Central-Asien", 190.) -- Gleiches behauptet J. Kruger ("Geschichte der
Assyrier und Iranier", 188 u. ff.). Nach ihm war der herrschende Stamm
in Turan zur Zeit des großen Bruderkampfes entschieden arischer Herkunft.
Der Name "Turan" will hiebei nichts bedeuten, denn nach dem persischen
Königsbuche des Firdusi erhielt das Land jenseit der Grenzen Irans erst
jenen Namen von Feriduns zweitem Sohne Tur. Später gab es zwischen
den Turaniern und Iraniern stets furchtbare Rachekriege, welche der Be-
gründer des zweiten assyrischen Weltreiches Minotscher (Chala, Ninos) im
13. Jahrhunderte v. Chr. inaugurirt hatte. Er schlug hiebei denselben
Weg ein, den Alexander d. Gr. tausend Jahre später benützte, um Darius
in seinem letzten Verstecke aufzusuchen. Unter den Mauern von Balkh kam
es zu jener großen Entscheidungsschlacht, durch welche den Iraniern die
Weltherrschaft zufiel und Turan nur eine Provinz des assyrischen Welt-
reiches ward. Tur war im Kampfe gefallen und sein Sohn Dewschin
leistete als Vasall dem Minotscher den Eid der Treue.

Die Mamigonier.
anderer armeniſcher Chroniſt — Vakſtang — ſtets von Turaniern,
wenn er der Mamigonier gedenkt … Waren nun dieſe auch
Turanier im ethnologiſchen Sinne, nämlich Zugehörige zu jener
anderen großen Völkergruppe, welche man im Gegenſatze zu den
Iraniern ſo benannte, und die man heute mit dem Collectiv der
ural-altaiſchen Völker belegt? Wir haben Gründe dies entſchieden
zu bezweifeln. Aus den Schilderungen alter Chroniſten geht
überzeugend genug hervor, daß die Mamigonier ein den Perſern
und Armeniern verwandtes, ſomit ariſches Volk waren, und wir
vermögen dies um ſo weniger zu bezweifeln, als ariſche Elemente
ſich auch heute noch allenthalben unter den turkiſtaniſchen Völker-
ſchaften zerſtreut vorfinden1 … In welchem Grade ſich die
Mamigonier in ihrer neuen Heimat ſpäterhin vermehrt hatten,

1 Es ſind die ſogenannten „Tadſchiks“ (vgl. H. Vámbéry, „Die Iranier
Turkeſtans“, Oeſterr. Monatsſchr. f. d. Orient, II, 7). Im Jahre 1857
hatten die Brüder Schlagintweit, unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus
Central-Aſien, ihre Ueberzeugung ausgeſprochen, daß die Bewohner Oſt-
Turkeſtans tartariſirte Arier ſeien. Es wären alſo nicht nur, wie un-
zweifelhaft, die heute perſiſch redenden Tadſchiks, ſondern auch die der-
malen türkiſch ſprechenden Stämme Oſt-Turkeſtans ariſchen Urſprungs.
Mit andern Worten, die Urbevölkerung wäre die ariſche und nicht die
türkiſche (turaniſche) geweſen. Dieſe Meinung hat auch durch die Beob-
achtungen Robert Schaws an hoher Wahrſcheinlichkeit gewonnen. Die
meiſten Tadſchiks trifft man unter den Kaufleuten (alſo wie zur Zeit der
Mamigonier); ſie ſtammen aus Andiſchan, oder ſind Emigranten aus Badagh-
ſchan, Afghaniſtan und andern benachbarten Ländern. (F. v. Hellwald,
„Central-Aſien“, 190.) — Gleiches behauptet J. Kruger („Geſchichte der
Aſſyrier und Iranier“, 188 u. ff.). Nach ihm war der herrſchende Stamm
in Turan zur Zeit des großen Bruderkampfes entſchieden ariſcher Herkunft.
Der Name „Turan“ will hiebei nichts bedeuten, denn nach dem perſiſchen
Königsbuche des Firduſi erhielt das Land jenſeit der Grenzen Irans erſt
jenen Namen von Feriduns zweitem Sohne Tur. Später gab es zwiſchen
den Turaniern und Iraniern ſtets furchtbare Rachekriege, welche der Be-
gründer des zweiten aſſyriſchen Weltreiches Minotſcher (Chala, Ninos) im
13. Jahrhunderte v. Chr. inaugurirt hatte. Er ſchlug hiebei denſelben
Weg ein, den Alexander d. Gr. tauſend Jahre ſpäter benützte, um Darius
in ſeinem letzten Verſtecke aufzuſuchen. Unter den Mauern von Balkh kam
es zu jener großen Entſcheidungsſchlacht, durch welche den Iraniern die
Weltherrſchaft zufiel und Turan nur eine Provinz des aſſyriſchen Welt-
reiches ward. Tur war im Kampfe gefallen und ſein Sohn Dewſchin
leiſtete als Vaſall dem Minotſcher den Eid der Treue.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0063" n="31"/><fw place="top" type="header">Die Mamigonier.</fw><lb/>
anderer armeni&#x017F;cher Chroni&#x017F;t &#x2014; Vak&#x017F;tang &#x2014; &#x017F;tets von Turaniern,<lb/>
wenn er der Mamigonier gedenkt &#x2026; Waren nun die&#x017F;e auch<lb/>
Turanier im ethnologi&#x017F;chen Sinne, nämlich Zugehörige zu jener<lb/>
anderen großen Völkergruppe, welche man im Gegen&#x017F;atze zu den<lb/>
Iraniern &#x017F;o benannte, und die man heute mit dem Collectiv der<lb/>
ural-altai&#x017F;chen Völker belegt? Wir haben Gründe dies ent&#x017F;chieden<lb/>
zu bezweifeln. Aus den Schilderungen alter Chroni&#x017F;ten geht<lb/>
überzeugend genug hervor, daß die Mamigonier ein den Per&#x017F;ern<lb/>
und Armeniern verwandtes, &#x017F;omit ari&#x017F;ches Volk waren, und wir<lb/>
vermögen dies um &#x017F;o weniger zu bezweifeln, als ari&#x017F;che Elemente<lb/>
&#x017F;ich auch heute noch allenthalben unter den turki&#x017F;tani&#x017F;chen Völker-<lb/>
&#x017F;chaften zer&#x017F;treut vorfinden<note place="foot" n="1">Es &#x017F;ind die &#x017F;ogenannten &#x201E;Tad&#x017F;chiks&#x201C; (vgl. H. V<hi rendition="#aq">á</hi>mb<hi rendition="#aq">é</hi>ry, &#x201E;Die Iranier<lb/>
Turke&#x017F;tans&#x201C;, Oe&#x017F;terr. Monats&#x017F;chr. f. d. Orient, <hi rendition="#aq">II</hi>, 7). Im Jahre 1857<lb/>
hatten die Brüder Schlagintweit, unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus<lb/>
Central-A&#x017F;ien, ihre Ueberzeugung ausge&#x017F;prochen, daß die Bewohner O&#x017F;t-<lb/>
Turke&#x017F;tans tartari&#x017F;irte Arier &#x017F;eien. Es wären al&#x017F;o nicht nur, wie un-<lb/>
zweifelhaft, die heute per&#x017F;i&#x017F;ch redenden Tad&#x017F;chiks, &#x017F;ondern auch die der-<lb/>
malen türki&#x017F;ch &#x017F;prechenden Stämme O&#x017F;t-Turke&#x017F;tans ari&#x017F;chen Ur&#x017F;prungs.<lb/>
Mit andern Worten, die Urbevölkerung wäre die ari&#x017F;che und nicht die<lb/>
türki&#x017F;che (turani&#x017F;che) gewe&#x017F;en. Die&#x017F;e Meinung hat auch durch die Beob-<lb/>
achtungen Robert Schaws an hoher Wahr&#x017F;cheinlichkeit gewonnen. Die<lb/>
mei&#x017F;ten Tad&#x017F;chiks trifft man unter den Kaufleuten (al&#x017F;o wie zur Zeit der<lb/>
Mamigonier); &#x017F;ie &#x017F;tammen aus Andi&#x017F;chan, oder &#x017F;ind Emigranten aus Badagh-<lb/>
&#x017F;chan, Afghani&#x017F;tan und andern benachbarten Ländern. (F. v. Hellwald,<lb/>
&#x201E;Central-A&#x017F;ien&#x201C;, 190.) &#x2014; Gleiches behauptet J. Kruger (&#x201E;Ge&#x017F;chichte der<lb/>
A&#x017F;&#x017F;yrier und Iranier&#x201C;, 188 u. ff.). Nach ihm war der herr&#x017F;chende Stamm<lb/>
in Turan zur Zeit des großen Bruderkampfes ent&#x017F;chieden ari&#x017F;cher Herkunft.<lb/>
Der Name &#x201E;Turan&#x201C; will hiebei nichts bedeuten, denn nach dem per&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Königsbuche des Firdu&#x017F;i erhielt das Land jen&#x017F;eit der Grenzen Irans er&#x017F;t<lb/>
jenen Namen von Feriduns zweitem Sohne Tur. Später gab es zwi&#x017F;chen<lb/>
den Turaniern und Iraniern &#x017F;tets furchtbare Rachekriege, welche der Be-<lb/>
gründer des zweiten a&#x017F;&#x017F;yri&#x017F;chen Weltreiches Minot&#x017F;cher (Chala, Ninos) im<lb/>
13. Jahrhunderte v. Chr. inaugurirt hatte. Er &#x017F;chlug hiebei den&#x017F;elben<lb/>
Weg ein, den Alexander d. Gr. tau&#x017F;end Jahre &#x017F;päter benützte, um Darius<lb/>
in &#x017F;einem letzten Ver&#x017F;tecke aufzu&#x017F;uchen. Unter den Mauern von Balkh kam<lb/>
es zu jener großen Ent&#x017F;cheidungs&#x017F;chlacht, durch welche den Iraniern die<lb/>
Weltherr&#x017F;chaft zufiel und Turan nur eine Provinz des a&#x017F;&#x017F;yri&#x017F;chen Welt-<lb/>
reiches ward. Tur war im Kampfe gefallen und &#x017F;ein Sohn Dew&#x017F;chin<lb/>
lei&#x017F;tete als Va&#x017F;all dem Minot&#x017F;cher den Eid der Treue.</note> &#x2026; In welchem Grade &#x017F;ich die<lb/>
Mamigonier in ihrer neuen Heimat &#x017F;päterhin vermehrt hatten,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0063] Die Mamigonier. anderer armeniſcher Chroniſt — Vakſtang — ſtets von Turaniern, wenn er der Mamigonier gedenkt … Waren nun dieſe auch Turanier im ethnologiſchen Sinne, nämlich Zugehörige zu jener anderen großen Völkergruppe, welche man im Gegenſatze zu den Iraniern ſo benannte, und die man heute mit dem Collectiv der ural-altaiſchen Völker belegt? Wir haben Gründe dies entſchieden zu bezweifeln. Aus den Schilderungen alter Chroniſten geht überzeugend genug hervor, daß die Mamigonier ein den Perſern und Armeniern verwandtes, ſomit ariſches Volk waren, und wir vermögen dies um ſo weniger zu bezweifeln, als ariſche Elemente ſich auch heute noch allenthalben unter den turkiſtaniſchen Völker- ſchaften zerſtreut vorfinden 1 … In welchem Grade ſich die Mamigonier in ihrer neuen Heimat ſpäterhin vermehrt hatten, 1 Es ſind die ſogenannten „Tadſchiks“ (vgl. H. Vámbéry, „Die Iranier Turkeſtans“, Oeſterr. Monatsſchr. f. d. Orient, II, 7). Im Jahre 1857 hatten die Brüder Schlagintweit, unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Central-Aſien, ihre Ueberzeugung ausgeſprochen, daß die Bewohner Oſt- Turkeſtans tartariſirte Arier ſeien. Es wären alſo nicht nur, wie un- zweifelhaft, die heute perſiſch redenden Tadſchiks, ſondern auch die der- malen türkiſch ſprechenden Stämme Oſt-Turkeſtans ariſchen Urſprungs. Mit andern Worten, die Urbevölkerung wäre die ariſche und nicht die türkiſche (turaniſche) geweſen. Dieſe Meinung hat auch durch die Beob- achtungen Robert Schaws an hoher Wahrſcheinlichkeit gewonnen. Die meiſten Tadſchiks trifft man unter den Kaufleuten (alſo wie zur Zeit der Mamigonier); ſie ſtammen aus Andiſchan, oder ſind Emigranten aus Badagh- ſchan, Afghaniſtan und andern benachbarten Ländern. (F. v. Hellwald, „Central-Aſien“, 190.) — Gleiches behauptet J. Kruger („Geſchichte der Aſſyrier und Iranier“, 188 u. ff.). Nach ihm war der herrſchende Stamm in Turan zur Zeit des großen Bruderkampfes entſchieden ariſcher Herkunft. Der Name „Turan“ will hiebei nichts bedeuten, denn nach dem perſiſchen Königsbuche des Firduſi erhielt das Land jenſeit der Grenzen Irans erſt jenen Namen von Feriduns zweitem Sohne Tur. Später gab es zwiſchen den Turaniern und Iraniern ſtets furchtbare Rachekriege, welche der Be- gründer des zweiten aſſyriſchen Weltreiches Minotſcher (Chala, Ninos) im 13. Jahrhunderte v. Chr. inaugurirt hatte. Er ſchlug hiebei denſelben Weg ein, den Alexander d. Gr. tauſend Jahre ſpäter benützte, um Darius in ſeinem letzten Verſtecke aufzuſuchen. Unter den Mauern von Balkh kam es zu jener großen Entſcheidungsſchlacht, durch welche den Iraniern die Weltherrſchaft zufiel und Turan nur eine Provinz des aſſyriſchen Welt- reiches ward. Tur war im Kampfe gefallen und ſein Sohn Dewſchin leiſtete als Vaſall dem Minotſcher den Eid der Treue.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/63
Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/63>, abgerufen am 19.04.2024.