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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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Es waren die heterogensten Leichen, mit welchen sich
die an der ersten Gebärklinik Untersuchenden beschäftigten.

Die Quelle, woher der zersetzte thierisch-organische
Stoff genommen wird, welcher, von aussen den Individuen bei-
gebracht, das Kindbettfieber erzeugt, sind alle Kranken je-
den Alters, jeden Geschlechtes, deren Krankheiten mit Er-
zeugung eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes einher-
schreiten, ohne Rücksicht, ob das kranke Individuum am Kind-
bettfieber leide oder nicht; nur der zersetzte thierisch-orga-
nische Stoff als Product der Krankheit kommt in Betracht.

An der ersten Gebärklinik zu Wien wurde im October
1847 durch einen verjauchenden Medullarkrebs der Gebärmut-
ter das Kindbettfieber hervorgebracht, im November 1847
durch die Exhalationen eines cariösen Kniegelenkes. In der
Gebärabtheilung des St. Rochus-Spitals zu Pest waren es die
heterogensten chirurgischen Krankheiten, deren jauchige Pro-
ducte das Kindbettfieber hervorgebracht haben.

Die Quelle, woher der zersetzte thierisch-organische
Stoff genommen wird, welcher von aussen den Individuen bei-
gebracht, das Kindbettfieber erzeugt, sind alle physiologi-
schen thierisch-organischen Gebilde, welche den vitalen Ge-
setzen entzogen, einen gewissen Zersetzungsgrad eingegan-
gen sind; nicht das was selbe darstellen, sondern der Grad
der Fäulniss kommt in Betracht.

Im Schuljahre 1856/7 und 1857/8 war an der geburts-
hilflichen Klinik der Pester medicinischen Facultät physiolo-
gisches Blut und normaler Wochenfluss das aetiologische Mo-
ment des Kindbettfiebers dadurch, dass selbe, längere Zeit an
den Leintüchern klebend, eine Zersetzung eingingen.

Der Träger der zersetzten thierisch-organischen Stoffe
ist der untersuchende Finger, die operirende Hand, Instru-
mente, Bettwäsche, die atmosphärische Luft, Schwämme, die
Hände der Hebammen und Wärterinnen, welche mit den de-
comprimirten Excrementen schwer erkrankter Wöchnerinnen
oder anderer Kranken und hierauf wieder mit Kreissenden

Es waren die heterogensten Leichen, mit welchen sich
die an der ersten Gebärklinik Untersuchenden beschäftigten.

Die Quelle, woher der zersetzte thierisch-organische
Stoff genommen wird, welcher, von aussen den Individuen bei-
gebracht, das Kindbettfieber erzeugt, sind alle Kranken je-
den Alters, jeden Geschlechtes, deren Krankheiten mit Er-
zeugung eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes einher-
schreiten, ohne Rücksicht, ob das kranke Individuum am Kind-
bettfieber leide oder nicht; nur der zersetzte thierisch-orga-
nische Stoff als Product der Krankheit kommt in Betracht.

An der ersten Gebärklinik zu Wien wurde im October
1847 durch einen verjauchenden Medullarkrebs der Gebärmut-
ter das Kindbettfieber hervorgebracht, im November 1847
durch die Exhalationen eines cariösen Kniegelenkes. In der
Gebärabtheilung des St. Rochus-Spitals zu Pest waren es die
heterogensten chirurgischen Krankheiten, deren jauchige Pro-
ducte das Kindbettfieber hervorgebracht haben.

Die Quelle, woher der zersetzte thierisch-organische
Stoff genommen wird, welcher von aussen den Individuen bei-
gebracht, das Kindbettfieber erzeugt, sind alle physiologi-
schen thierisch-organischen Gebilde, welche den vitalen Ge-
setzen entzogen, einen gewissen Zersetzungsgrad eingegan-
gen sind; nicht das was selbe darstellen, sondern der Grad
der Fäulniss kommt in Betracht.

Im Schuljahre 1856/7 und 1857/8 war an der geburts-
hilflichen Klinik der Pester medicinischen Facultät physiolo-
gisches Blut und normaler Wochenfluss das aetiologische Mo-
ment des Kindbettfiebers dadurch, dass selbe, längere Zeit an
den Leintüchern klebend, eine Zersetzung eingingen.

Der Träger der zersetzten thierisch-organischen Stoffe
ist der untersuchende Finger, die operirende Hand, Instru-
mente, Bettwäsche, die atmosphärische Luft, Schwämme, die
Hände der Hebammen und Wärterinnen, welche mit den de-
comprimirten Excrementen schwer erkrankter Wöchnerinnen
oder anderer Kranken und hierauf wieder mit Kreissenden

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[103/0115] Es waren die heterogensten Leichen, mit welchen sich die an der ersten Gebärklinik Untersuchenden beschäftigten. Die Quelle, woher der zersetzte thierisch-organische Stoff genommen wird, welcher, von aussen den Individuen bei- gebracht, das Kindbettfieber erzeugt, sind alle Kranken je- den Alters, jeden Geschlechtes, deren Krankheiten mit Er- zeugung eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes einher- schreiten, ohne Rücksicht, ob das kranke Individuum am Kind- bettfieber leide oder nicht; nur der zersetzte thierisch-orga- nische Stoff als Product der Krankheit kommt in Betracht. An der ersten Gebärklinik zu Wien wurde im October 1847 durch einen verjauchenden Medullarkrebs der Gebärmut- ter das Kindbettfieber hervorgebracht, im November 1847 durch die Exhalationen eines cariösen Kniegelenkes. In der Gebärabtheilung des St. Rochus-Spitals zu Pest waren es die heterogensten chirurgischen Krankheiten, deren jauchige Pro- ducte das Kindbettfieber hervorgebracht haben. Die Quelle, woher der zersetzte thierisch-organische Stoff genommen wird, welcher von aussen den Individuen bei- gebracht, das Kindbettfieber erzeugt, sind alle physiologi- schen thierisch-organischen Gebilde, welche den vitalen Ge- setzen entzogen, einen gewissen Zersetzungsgrad eingegan- gen sind; nicht das was selbe darstellen, sondern der Grad der Fäulniss kommt in Betracht. Im Schuljahre 1856/7 und 1857/8 war an der geburts- hilflichen Klinik der Pester medicinischen Facultät physiolo- gisches Blut und normaler Wochenfluss das aetiologische Mo- ment des Kindbettfiebers dadurch, dass selbe, längere Zeit an den Leintüchern klebend, eine Zersetzung eingingen. Der Träger der zersetzten thierisch-organischen Stoffe ist der untersuchende Finger, die operirende Hand, Instru- mente, Bettwäsche, die atmosphärische Luft, Schwämme, die Hände der Hebammen und Wärterinnen, welche mit den de- comprimirten Excrementen schwer erkrankter Wöchnerinnen oder anderer Kranken und hierauf wieder mit Kreissenden

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/115>, abgerufen am 25.04.2024.