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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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Wenn man bedenkt. dass der Semester für praktische
Geburtshilfe nicht für alle Schüler am selben Tage beginnt,
wo dann alle gleichzeitig mit ihren Pflichten bekannt gemacht
werden können, sondern dass in die praktische Geburtshilfe
täglich Schüler ein- und austreten, und da man nicht täglich
dasselbe sagen kann, es leicht vorkommen mag, dass mancher
erst nach vielen Tagen gewarnt wird; wenn man bedenkt,
dass die 42 Schüler der I. Gebärklinik den grössten Theil des
Tages in der Todtenkammer bei den pathologischen und
gerichtlichen Sectionen, auf den Abtheilungen des Kranken-
hauses, in den verschiedensten Operations- und andern Cursen
verbringen, wodurch die Hand nicht nur mit zersetzten Stoffen
verunreinigt, sondern förmlich getränkt wird, und wenn es
nicht unwahrscheinlich ist, dass manche dieser so mit zer-
setzten Stoffen getränkte Hände nicht lange genug der Wir-
kung des Chlorkalkes ausgesetzt werden, um völlig desinficirt
zu werden; wenn man alle diese Umstände bedenkt, so muss
es begreiflich sein, dass an der I. Gebärklinik immer noch
Fälle von Infection von Aussen vorgekommen sind.

Diesem Uebelstande kann nur das oben angedeutete
Gesetz abhelfen. Aber dieses Gesetz hätte noch andere heil-
same Folgen. Ich werde später Gelegenheit haben, sehr zahl-
reiche Professoren der Geburtshilfe anzuführen, welche gegen
meine Lehre geschrieben, folglich auch ihren Schülern gegen-
über gegen meine Lehre gesprochen haben. Ein Thor, der nun
glaubt, dass die so irrebelehrten Schüler sich so gewissenhaft
desinficiren werden, als es nöthig ist. Und wenn dann der Tod
reiche Beute hält, so wird die Erfolglosigkeit der Chlor-
waschungen als Beweis des epidemischen Ursprunges des
Kindbettfiebers benützt.

Diesem verderblichen Gebahren, wodurch nicht nur in
den Gebärhäusern so viele Menschenleben frühzeitig zerstört
werden, sondern wodurch noch Generationen irregeleiteter
Aerzte ins praktische Leben hinausgeschickt werden, deren
Infectionsfälle dann wieder als Beweise des epidemischen

Wenn man bedenkt. dass der Semester für praktische
Geburtshilfe nicht für alle Schüler am selben Tage beginnt,
wo dann alle gleichzeitig mit ihren Pflichten bekannt gemacht
werden können, sondern dass in die praktische Geburtshilfe
täglich Schüler ein- und austreten, und da man nicht täglich
dasselbe sagen kann, es leicht vorkommen mag, dass mancher
erst nach vielen Tagen gewarnt wird; wenn man bedenkt,
dass die 42 Schüler der I. Gebärklinik den grössten Theil des
Tages in der Todtenkammer bei den pathologischen und
gerichtlichen Sectionen, auf den Abtheilungen des Kranken-
hauses, in den verschiedensten Operations- und andern Cursen
verbringen, wodurch die Hand nicht nur mit zersetzten Stoffen
verunreinigt, sondern förmlich getränkt wird, und wenn es
nicht unwahrscheinlich ist, dass manche dieser so mit zer-
setzten Stoffen getränkte Hände nicht lange genug der Wir-
kung des Chlorkalkes ausgesetzt werden, um völlig desinficirt
zu werden; wenn man alle diese Umstände bedenkt, so muss
es begreiflich sein, dass an der I. Gebärklinik immer noch
Fälle von Infection von Aussen vorgekommen sind.

Diesem Uebelstande kann nur das oben angedeutete
Gesetz abhelfen. Aber dieses Gesetz hätte noch andere heil-
same Folgen. Ich werde später Gelegenheit haben, sehr zahl-
reiche Professoren der Geburtshilfe anzuführen, welche gegen
meine Lehre geschrieben, folglich auch ihren Schülern gegen-
über gegen meine Lehre gesprochen haben. Ein Thor, der nun
glaubt, dass die so irrebelehrten Schüler sich so gewissenhaft
desinficiren werden, als es nöthig ist. Und wenn dann der Tod
reiche Beute hält, so wird die Erfolglosigkeit der Chlor-
waschungen als Beweis des epidemischen Ursprunges des
Kindbettfiebers benützt.

Diesem verderblichen Gebahren, wodurch nicht nur in
den Gebärhäusern so viele Menschenleben frühzeitig zerstört
werden, sondern wodurch noch Generationen irregeleiteter
Aerzte ins praktische Leben hinausgeschickt werden, deren
Infectionsfälle dann wieder als Beweise des epidemischen

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[267/0279] Wenn man bedenkt. dass der Semester für praktische Geburtshilfe nicht für alle Schüler am selben Tage beginnt, wo dann alle gleichzeitig mit ihren Pflichten bekannt gemacht werden können, sondern dass in die praktische Geburtshilfe täglich Schüler ein- und austreten, und da man nicht täglich dasselbe sagen kann, es leicht vorkommen mag, dass mancher erst nach vielen Tagen gewarnt wird; wenn man bedenkt, dass die 42 Schüler der I. Gebärklinik den grössten Theil des Tages in der Todtenkammer bei den pathologischen und gerichtlichen Sectionen, auf den Abtheilungen des Kranken- hauses, in den verschiedensten Operations- und andern Cursen verbringen, wodurch die Hand nicht nur mit zersetzten Stoffen verunreinigt, sondern förmlich getränkt wird, und wenn es nicht unwahrscheinlich ist, dass manche dieser so mit zer- setzten Stoffen getränkte Hände nicht lange genug der Wir- kung des Chlorkalkes ausgesetzt werden, um völlig desinficirt zu werden; wenn man alle diese Umstände bedenkt, so muss es begreiflich sein, dass an der I. Gebärklinik immer noch Fälle von Infection von Aussen vorgekommen sind. Diesem Uebelstande kann nur das oben angedeutete Gesetz abhelfen. Aber dieses Gesetz hätte noch andere heil- same Folgen. Ich werde später Gelegenheit haben, sehr zahl- reiche Professoren der Geburtshilfe anzuführen, welche gegen meine Lehre geschrieben, folglich auch ihren Schülern gegen- über gegen meine Lehre gesprochen haben. Ein Thor, der nun glaubt, dass die so irrebelehrten Schüler sich so gewissenhaft desinficiren werden, als es nöthig ist. Und wenn dann der Tod reiche Beute hält, so wird die Erfolglosigkeit der Chlor- waschungen als Beweis des epidemischen Ursprunges des Kindbettfiebers benützt. Diesem verderblichen Gebahren, wodurch nicht nur in den Gebärhäusern so viele Menschenleben frühzeitig zerstört werden, sondern wodurch noch Generationen irregeleiteter Aerzte ins praktische Leben hinausgeschickt werden, deren Infectionsfälle dann wieder als Beweise des epidemischen

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/279>, abgerufen am 24.04.2024.