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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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mindern versteht, aber dass er mit allen Verhältnissen der ca-
daverösen Infection noch nicht vollkommen vertraut ist; denn
sonst würde Carl Braun wissen, dass an einer zwanzigmal
ausgedehnteren Anstalt viele Hundert und Hundert Individuen
gar nicht dem Unterrichte gewidmet werden, welche dann die
enorme Sterblichkeit der wirklich zum Unterrichte benützten
Individuen weniger enorm erscheinen lassen.

Aber an einer Anstalt, wo 150 bis 200 Geburten vorkom-
men, wird ein jeder Fall zum Unterrichte benützt, und ist trotz
der vortrefflichsten Anordnungen nur ein indolentes Individuum
vorhanden, so zeigt sich eine enorme Sterblichkeit.

Zu meiner schmerzlichsten Ueberraschung finde ich Chiari
meinen Gegnern angereiht, ohne dass Chiari dem wider-
sprochen hätte; der Leser erinnert sich, dass Chiari, nachdem
er mit meiner Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers
bekannt wurde, sich den Tod der Kranken mit einem fibrösen
Gebärmutter-Polypen nicht mehr durch epidemische Einflüsse,
sondern durch Infection erklärte.

Der Leser erinnert sich, dass Chiari in der Gesellschaft
der Aerzte zu Wien erklärte, die Sterblichkeit der I. Klinik
ist abhängig von Verhältnissen, wie solche von Dr. Semmel-
weis näher bezeichnet worden sind; und Chiari hatte den Auf-
satz, in welchem er mittheilt, dass in Prag zweimal eine Puer-
peralfieber-Epidemie dadurch ausgebrochen ist, dass die Geni-
talien zweier Kreissender Jauche lieferten, schon in seinem
Schreibtische, als er es duldete, unter meinen Gegnern ge-
nannt zu werden (siehe 148).

Damit sich der Leser überzeugen könne, dass Chiari mit
dem Aufsatze, auf welchen sich Carl Braun beruft, um Chiari
als Gegner von mir zu characterisiren, keine Opposition ge-
gen mich beabsichtigte, wollen wir diesen Aufsatz hier wört-
lich geben:

mindern versteht, aber dass er mit allen Verhältnissen der ca-
daverösen Infection noch nicht vollkommen vertraut ist; denn
sonst würde Carl Braun wissen, dass an einer zwanzigmal
ausgedehnteren Anstalt viele Hundert und Hundert Individuen
gar nicht dem Unterrichte gewidmet werden, welche dann die
enorme Sterblichkeit der wirklich zum Unterrichte benützten
Individuen weniger enorm erscheinen lassen.

Aber an einer Anstalt, wo 150 bis 200 Geburten vorkom-
men, wird ein jeder Fall zum Unterrichte benützt, und ist trotz
der vortrefflichsten Anordnungen nur ein indolentes Individuum
vorhanden, so zeigt sich eine enorme Sterblichkeit.

Zu meiner schmerzlichsten Ueberraschung finde ich Chiari
meinen Gegnern angereiht, ohne dass Chiari dem wider-
sprochen hätte; der Leser erinnert sich, dass Chiari, nachdem
er mit meiner Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers
bekannt wurde, sich den Tod der Kranken mit einem fibrösen
Gebärmutter-Polypen nicht mehr durch epidemische Einflüsse,
sondern durch Infection erklärte.

Der Leser erinnert sich, dass Chiari in der Gesellschaft
der Aerzte zu Wien erklärte, die Sterblichkeit der I. Klinik
ist abhängig von Verhältnissen, wie solche von Dr. Semmel-
weis näher bezeichnet worden sind; und Chiari hatte den Auf-
satz, in welchem er mittheilt, dass in Prag zweimal eine Puer-
peralfieber-Epidemie dadurch ausgebrochen ist, dass die Geni-
talien zweier Kreissender Jauche lieferten, schon in seinem
Schreibtische, als er es duldete, unter meinen Gegnern ge-
nannt zu werden (siehe 148).

Damit sich der Leser überzeugen könne, dass Chiari mit
dem Aufsatze, auf welchen sich Carl Braun beruft, um Chiari
als Gegner von mir zu characterisiren, keine Opposition ge-
gen mich beabsichtigte, wollen wir diesen Aufsatz hier wört-
lich geben:

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[527/0539] mindern versteht, aber dass er mit allen Verhältnissen der ca- daverösen Infection noch nicht vollkommen vertraut ist; denn sonst würde Carl Braun wissen, dass an einer zwanzigmal ausgedehnteren Anstalt viele Hundert und Hundert Individuen gar nicht dem Unterrichte gewidmet werden, welche dann die enorme Sterblichkeit der wirklich zum Unterrichte benützten Individuen weniger enorm erscheinen lassen. Aber an einer Anstalt, wo 150 bis 200 Geburten vorkom- men, wird ein jeder Fall zum Unterrichte benützt, und ist trotz der vortrefflichsten Anordnungen nur ein indolentes Individuum vorhanden, so zeigt sich eine enorme Sterblichkeit. Zu meiner schmerzlichsten Ueberraschung finde ich Chiari meinen Gegnern angereiht, ohne dass Chiari dem wider- sprochen hätte; der Leser erinnert sich, dass Chiari, nachdem er mit meiner Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers bekannt wurde, sich den Tod der Kranken mit einem fibrösen Gebärmutter-Polypen nicht mehr durch epidemische Einflüsse, sondern durch Infection erklärte. Der Leser erinnert sich, dass Chiari in der Gesellschaft der Aerzte zu Wien erklärte, die Sterblichkeit der I. Klinik ist abhängig von Verhältnissen, wie solche von Dr. Semmel- weis näher bezeichnet worden sind; und Chiari hatte den Auf- satz, in welchem er mittheilt, dass in Prag zweimal eine Puer- peralfieber-Epidemie dadurch ausgebrochen ist, dass die Geni- talien zweier Kreissender Jauche lieferten, schon in seinem Schreibtische, als er es duldete, unter meinen Gegnern ge- nannt zu werden (siehe 148). Damit sich der Leser überzeugen könne, dass Chiari mit dem Aufsatze, auf welchen sich Carl Braun beruft, um Chiari als Gegner von mir zu characterisiren, keine Opposition ge- gen mich beabsichtigte, wollen wir diesen Aufsatz hier wört- lich geben:

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/539>, abgerufen am 29.03.2024.