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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬
dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen
jetzt hier die grösste Anzahl aus.

Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬
nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬
dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der
Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich
viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar
für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon
über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬
gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge,
dass sie das Verderben vieler Familien würden. Man
weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus
und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬
sino die ausgesuchtesten Vergnügen geniesse und ge¬
niessen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit,
und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬
mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann
ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er
schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste
oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie
und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die
stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das
Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom.
Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt;
Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale
haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬
dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses
ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen
muss; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey
den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über

Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬
dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen
jetzt hier die gröſste Anzahl aus.

Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬
nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬
dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der
Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich
viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar
für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon
über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬
gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge,
daſs sie das Verderben vieler Familien würden. Man
weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus
und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬
sino die ausgesuchtesten Vergnügen genieſse und ge¬
nieſsen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit,
und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬
mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann
ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er
schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste
oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie
und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die
stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das
Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom.
Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt;
Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale
haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬
dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses
ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen
muſs; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey
den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über

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[187/0213] Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬ dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen jetzt hier die gröſste Anzahl aus. Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬ nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬ dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬ gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge, daſs sie das Verderben vieler Familien würden. Man weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬ sino die ausgesuchtesten Vergnügen genieſse und ge¬ nieſsen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit, und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬ mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom. Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬ dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen muſs; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/213>, abgerufen am 29.03.2024.