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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Wir hatten einige Tage auf leidlichen Wind zum
Auslaufen gewartet: endlich kam eine starke Tramon¬
tane und führte uns aus den Zauberplatze heraus. Es
war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete rund
umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma
glänzte, der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die
herrliche Königsstadt lag in einem grossen grossen Am¬
phitheater hinter uns in den magischen Strahlen.
Rechts war Ischia und links Kapri; die Nacht senkte
sich nach und nach und verschleyerte die ferneren Ge¬
genstände in tiefere Schatten. Ich konnte in dem
Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine
Stadt auf Kapri unterscheiden. Die gemeinen Neapo¬
litaner und Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr ge¬
wöhnlichen Metathesis die Insel nur Krap. Sie ist
ziemlich kahl. Ich hätte von Neapel aus gern eine
Wasserfahrt dahin gemacht, um einige Stunden auf
dem Theater herum zu wandeln, von welchem zur
Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer Wüst¬
ling einige Jahre das Menschengeschlecht misshandelte;
aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und
für mich allein wären nach meinen übrigen Ausgaben
die Kosten zu ansehnlich gewesen. Ueberdiess war es
fast immer schlechtes Wetter. Zur Ueberfahrt hieher
hatte ich mich auf ein Kauffartheyschiff verdungen,
weil ich auf das Paketboot nicht warten wollte. Der
Wind ging stark und die See hoch, aber ich schlief
gut: man erkannte gleich daraus und aus meinem fe¬
sten Schritt auf dem Verdeck, dass ich schon ein alter
Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die


Wir hatten einige Tage auf leidlichen Wind zum
Auslaufen gewartet: endlich kam eine starke Tramon¬
tane und führte uns aus den Zauberplatze heraus. Es
war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete rund
umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma
glänzte, der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die
herrliche Königsstadt lag in einem groſsen groſsen Am¬
phitheater hinter uns in den magischen Strahlen.
Rechts war Ischia und links Kapri; die Nacht senkte
sich nach und nach und verschleyerte die ferneren Ge¬
genstände in tiefere Schatten. Ich konnte in dem
Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine
Stadt auf Kapri unterscheiden. Die gemeinen Neapo¬
litaner und Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr ge¬
wöhnlichen Metathesis die Insel nur Krap. Sie ist
ziemlich kahl. Ich hätte von Neapel aus gern eine
Wasserfahrt dahin gemacht, um einige Stunden auf
dem Theater herum zu wandeln, von welchem zur
Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer Wüst¬
ling einige Jahre das Menschengeschlecht miſshandelte;
aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und
für mich allein wären nach meinen übrigen Ausgaben
die Kosten zu ansehnlich gewesen. Ueberdieſs war es
fast immer schlechtes Wetter. Zur Ueberfahrt hieher
hatte ich mich auf ein Kauffartheyschiff verdungen,
weil ich auf das Paketboot nicht warten wollte. Der
Wind ging stark und die See hoch, aber ich schlief
gut: man erkannte gleich daraus und aus meinem fe¬
sten Schritt auf dem Verdeck, daſs ich schon ein alter
Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die

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[[199]/0225] Palermo. Wir hatten einige Tage auf leidlichen Wind zum Auslaufen gewartet: endlich kam eine starke Tramon¬ tane und führte uns aus den Zauberplatze heraus. Es war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete rund umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma glänzte, der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die herrliche Königsstadt lag in einem groſsen groſsen Am¬ phitheater hinter uns in den magischen Strahlen. Rechts war Ischia und links Kapri; die Nacht senkte sich nach und nach und verschleyerte die ferneren Ge¬ genstände in tiefere Schatten. Ich konnte in dem Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine Stadt auf Kapri unterscheiden. Die gemeinen Neapo¬ litaner und Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr ge¬ wöhnlichen Metathesis die Insel nur Krap. Sie ist ziemlich kahl. Ich hätte von Neapel aus gern eine Wasserfahrt dahin gemacht, um einige Stunden auf dem Theater herum zu wandeln, von welchem zur Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer Wüst¬ ling einige Jahre das Menschengeschlecht miſshandelte; aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und für mich allein wären nach meinen übrigen Ausgaben die Kosten zu ansehnlich gewesen. Ueberdieſs war es fast immer schlechtes Wetter. Zur Ueberfahrt hieher hatte ich mich auf ein Kauffartheyschiff verdungen, weil ich auf das Paketboot nicht warten wollte. Der Wind ging stark und die See hoch, aber ich schlief gut: man erkannte gleich daraus und aus meinem fe¬ sten Schritt auf dem Verdeck, daſs ich schon ein alter Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. [199]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/225>, abgerufen am 29.03.2024.