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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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verdienten. Vor einigen Tagen führte man auf einer
breiten Gasse öffentlich ein Banditendrama auf. Es
war sogar Militärwache dabey um Ordnung zu halten,
und die ganze Gasse war gedrängt voll Zuschauer.
Die Schauspieler arbeiteten grässlich schön, und der
Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freylich
wird er mit poetischer Gerechtigkeit wohl im
Stücke seine Strafe erhalten; aber dergleichen Scenen,
wo noch so viel natürliche heroische Kraft und Dekla¬
mation ist, sind zu blendend, um in Unteritalien auf
öffentlichen Plätzen unter dem grössten Zulauf gegeben
zu werden. Man zahlt nichts; jeder tritt hin und
schaut und nimmt was und wie viel er will. Haben
doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bey uns an¬
gerichtet. Auf diese Weise arbeitet man dem sieden¬
den Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das Messer
noch eben so sehr im Gebrauch und vielleicht noch
mehr, als vor zwanzig Jahren. Ich hatte vor einigen
Tagen ein Schauspiel davon. Ich ging den Morgen
aus; ein Kerl schoss blutig an mir vorbey, und ein
anderer mit dem Dolche hinter ihm her. Es sam¬
melte sich Volk, und in einigen Minuten war einer
erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die
Wache, welche nicht weit davon stand, that als ob
sie dabey gar nichts zu thun hätte. Dergleichen Auf¬
tritte gelten dort für eine gewöhnliche Festtagstrakas¬
serie. Sie haben einen erschlagen, klingt in Sicilien
und Unteritalien nicht härter als bey uns, wenn man
sagt, es ist einer berauscht in den Graben gefallen.
Nur gegen die Fremden scheinen sie, aus einer alten
religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu haben. Sie

verdienten. Vor einigen Tagen führte man auf einer
breiten Gasse öffentlich ein Banditendrama auf. Es
war sogar Militärwache dabey um Ordnung zu halten,
und die ganze Gasse war gedrängt voll Zuschauer.
Die Schauspieler arbeiteten gräſslich schön, und der
Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freylich
wird er mit poetischer Gerechtigkeit wohl im
Stücke seine Strafe erhalten; aber dergleichen Scenen,
wo noch so viel natürliche heroische Kraft und Dekla¬
mation ist, sind zu blendend, um in Unteritalien auf
öffentlichen Plätzen unter dem gröſsten Zulauf gegeben
zu werden. Man zahlt nichts; jeder tritt hin und
schaut und nimmt was und wie viel er will. Haben
doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bey uns an¬
gerichtet. Auf diese Weise arbeitet man dem sieden¬
den Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das Messer
noch eben so sehr im Gebrauch und vielleicht noch
mehr, als vor zwanzig Jahren. Ich hatte vor einigen
Tagen ein Schauspiel davon. Ich ging den Morgen
aus; ein Kerl schoſs blutig an mir vorbey, und ein
anderer mit dem Dolche hinter ihm her. Es sam¬
melte sich Volk, und in einigen Minuten war einer
erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die
Wache, welche nicht weit davon stand, that als ob
sie dabey gar nichts zu thun hätte. Dergleichen Auf¬
tritte gelten dort für eine gewöhnliche Festtagstrakas¬
serie. Sie haben einen erschlagen, klingt in Sicilien
und Unteritalien nicht härter als bey uns, wenn man
sagt, es ist einer berauscht in den Graben gefallen.
Nur gegen die Fremden scheinen sie, aus einer alten
religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu haben. Sie

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[326/0352] verdienten. Vor einigen Tagen führte man auf einer breiten Gasse öffentlich ein Banditendrama auf. Es war sogar Militärwache dabey um Ordnung zu halten, und die ganze Gasse war gedrängt voll Zuschauer. Die Schauspieler arbeiteten gräſslich schön, und der Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freylich wird er mit poetischer Gerechtigkeit wohl im Stücke seine Strafe erhalten; aber dergleichen Scenen, wo noch so viel natürliche heroische Kraft und Dekla¬ mation ist, sind zu blendend, um in Unteritalien auf öffentlichen Plätzen unter dem gröſsten Zulauf gegeben zu werden. Man zahlt nichts; jeder tritt hin und schaut und nimmt was und wie viel er will. Haben doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bey uns an¬ gerichtet. Auf diese Weise arbeitet man dem sieden¬ den Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das Messer noch eben so sehr im Gebrauch und vielleicht noch mehr, als vor zwanzig Jahren. Ich hatte vor einigen Tagen ein Schauspiel davon. Ich ging den Morgen aus; ein Kerl schoſs blutig an mir vorbey, und ein anderer mit dem Dolche hinter ihm her. Es sam¬ melte sich Volk, und in einigen Minuten war einer erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die Wache, welche nicht weit davon stand, that als ob sie dabey gar nichts zu thun hätte. Dergleichen Auf¬ tritte gelten dort für eine gewöhnliche Festtagstrakas¬ serie. Sie haben einen erschlagen, klingt in Sicilien und Unteritalien nicht härter als bey uns, wenn man sagt, es ist einer berauscht in den Graben gefallen. Nur gegen die Fremden scheinen sie, aus einer alten religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu haben. Sie

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/352>, abgerufen am 29.03.2024.