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Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690.

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Das IV. Capitel
den/ und der halbe Arm sambt dem Händlein vor dem Leibe
heraus gewesen; die Frau lage schon an den dritten Tag im
Kreisten/ nur daß sich das Händlein nicht bald mit gewiesen
hatte. Weil denn die Gefahr groß zu seyn schien/ so zweiffelte
die Wehe-Mutter an Erhaltung Mutter und Kindes. Die
Wehe-Mutter war der Kreysterin Schwieger/ die ihr gantz
Vertrauen auf mich setzte/ in dem vor ihren Augen alle mensch-
liche Hülffe aus zu seyn schiene. So hatte die Frau auch sechs uner-
zogene Kinder noch am Leben/ welche desto größern Kummer ih-
nen verursachten. Es waren arme Bauers-Leuthe. Die
Weh-Mutter/ als die Schwieger/ bath mich umb Gottes Wil-
len umb Rath/ weil sie bey mir solche Bücher gesehen/
darinnen Konterfeyte mit unterschiedenen Geburten waren.
Nahm also die Bücher vor/ und suchte darinnen/ da denn
unterschiedliche Stellungen zu sehen waren. Weil aber die-
ser Wehe-Mutter unmöglich war zu unterscheiden/ nach wel-
cher Art Konterfeyt dieser Kreysterin Kind stehe/ so war bey ih-
nen alle Hoffnung verlohren. Die Schwieger aber hatte ein
fürtreffliches Vertrauen zu mir/ weil ihr bewust/ daß ich die Bü-
cher ziemlich durchlesen hatte/ GOtt würde ihrem Kinde durch
mich helffen. Ich aber war noch jung/ und möchte wol sagen/
tum zu dergleichen Versuch/ denn ich war 23. Jahr meines Alters?
und hatte noch kein Kind gehabt/ ausser zwey Jahr zuvor hieß es/
ich wäre schwanger/ gieng auch in den Gedancken viertzig Wochen/
alle Weh-Mütter hielten mich vor schwanger. Es kam endlich zum
Gebähren/ daß die Weh-Mutter geholet ward/ welche berichtete/
das Kind stünde zur rechten Geburt. Ich habe gekreistet auff
solche Art bis an den dritten Tag/ es wolte kein Kind kommen.
Dieser Weh-Mutter ward nicht getrauet/ es wurde noch eine da-
zu geholet/ die mit einstimmete/ das Kind stünde zur rechten Ge-
burt; hielten also mit mir an/ bis die dritte/ hernach die vierte
Weh-Mutter dazu geholet worden/ welche alle einstimmig wa-
ren/ daß ich gebähren müßte/ und das Kind bey mir zur rechten
Ge-
Das IV. Capitel
den/ und der halbe Arm ſambt dem Haͤndlein vor dem Leibe
heraus geweſen; die Frau lage ſchon an den dritten Tag im
Kreiſten/ nur daß ſich das Haͤndlein nicht bald mit gewieſen
hatte. Weil denn die Gefahr groß zu ſeyn ſchien/ ſo zweiffelte
die Wehe-Mutter an Erhaltung Mutter und Kindes. Die
Wehe-Mutter war der Kreyſterin Schwieger/ die ihr gantz
Vertrauen auf mich ſetzte/ in dem vor ihren Augen alle menſch-
liche Huͤlffe aus zu ſeyn ſchiene. So hatte die Frau auch ſechs uner-
zogene Kinder noch am Leben/ welche deſto groͤßern Kummer ih-
nen verurſachten. Es waren arme Bauers-Leuthe. Die
Weh-Mutter/ als die Schwieger/ bath mich umb Gottes Wil-
len umb Rath/ weil ſie bey mir ſolche Buͤcher geſehen/
darinnen Konterfeyte mit unterſchiedenen Geburten waren.
Nahm alſo die Buͤcher vor/ und ſuchte darinnen/ da denn
unterſchiedliche Stellungen zu ſehen waren. Weil aber die-
ſer Wehe-Mutter unmoͤglich war zu unterſcheiden/ nach wel-
cher Art Konterfeyt dieſer Kreyſterin Kind ſtehe/ ſo war bey ih-
nen alle Hoffnung verlohren. Die Schwieger aber hatte ein
fuͤrtreffliches Vertrauen zu mir/ weil ihr bewuſt/ daß ich die Buͤ-
cher ziemlich durchleſen hatte/ GOtt wuͤrde ihrem Kinde durch
mich helffen. Ich aber war noch jung/ und moͤchte wol ſagen/
tum zu dergleichen Verſuch/ denn ich war 23. Jahr meines Alters?
und hatte noch kein Kind gehabt/ auſſer zwey Jahr zuvor hieß es/
ich waͤre ſchwanger/ gieng auch in den Gedancken viertzig Wochen/
alle Weh-Muͤtter hielten mich vor ſchwanger. Es kam endlich zum
Gebaͤhren/ daß die Weh-Mutter geholet ward/ welche berichtete/
das Kind ſtuͤnde zur rechten Geburt. Ich habe gekreiſtet auff
ſolche Art bis an den dritten Tag/ es wolte kein Kind kommen.
Dieſer Weh-Mutter ward nicht getrauet/ es wurde noch eine da-
zu geholet/ die mit einſtimmete/ das Kind ſtuͤnde zur rechten Ge-
burt; hielten alſo mit mir an/ bis die dritte/ hernach die vierte
Weh-Mutter dazu geholet worden/ welche alle einſtimmig wa-
ren/ daß ich gebaͤhren muͤßte/ und das Kind bey mir zur rechten
Ge-
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[36/0101] Das IV. Capitel den/ und der halbe Arm ſambt dem Haͤndlein vor dem Leibe heraus geweſen; die Frau lage ſchon an den dritten Tag im Kreiſten/ nur daß ſich das Haͤndlein nicht bald mit gewieſen hatte. Weil denn die Gefahr groß zu ſeyn ſchien/ ſo zweiffelte die Wehe-Mutter an Erhaltung Mutter und Kindes. Die Wehe-Mutter war der Kreyſterin Schwieger/ die ihr gantz Vertrauen auf mich ſetzte/ in dem vor ihren Augen alle menſch- liche Huͤlffe aus zu ſeyn ſchiene. So hatte die Frau auch ſechs uner- zogene Kinder noch am Leben/ welche deſto groͤßern Kummer ih- nen verurſachten. Es waren arme Bauers-Leuthe. Die Weh-Mutter/ als die Schwieger/ bath mich umb Gottes Wil- len umb Rath/ weil ſie bey mir ſolche Buͤcher geſehen/ darinnen Konterfeyte mit unterſchiedenen Geburten waren. Nahm alſo die Buͤcher vor/ und ſuchte darinnen/ da denn unterſchiedliche Stellungen zu ſehen waren. Weil aber die- ſer Wehe-Mutter unmoͤglich war zu unterſcheiden/ nach wel- cher Art Konterfeyt dieſer Kreyſterin Kind ſtehe/ ſo war bey ih- nen alle Hoffnung verlohren. Die Schwieger aber hatte ein fuͤrtreffliches Vertrauen zu mir/ weil ihr bewuſt/ daß ich die Buͤ- cher ziemlich durchleſen hatte/ GOtt wuͤrde ihrem Kinde durch mich helffen. Ich aber war noch jung/ und moͤchte wol ſagen/ tum zu dergleichen Verſuch/ denn ich war 23. Jahr meines Alters? und hatte noch kein Kind gehabt/ auſſer zwey Jahr zuvor hieß es/ ich waͤre ſchwanger/ gieng auch in den Gedancken viertzig Wochen/ alle Weh-Muͤtter hielten mich vor ſchwanger. Es kam endlich zum Gebaͤhren/ daß die Weh-Mutter geholet ward/ welche berichtete/ das Kind ſtuͤnde zur rechten Geburt. Ich habe gekreiſtet auff ſolche Art bis an den dritten Tag/ es wolte kein Kind kommen. Dieſer Weh-Mutter ward nicht getrauet/ es wurde noch eine da- zu geholet/ die mit einſtimmete/ das Kind ſtuͤnde zur rechten Ge- burt; hielten alſo mit mir an/ bis die dritte/ hernach die vierte Weh-Mutter dazu geholet worden/ welche alle einſtimmig wa- ren/ daß ich gebaͤhren muͤßte/ und das Kind bey mir zur rechten Ge-

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Zitationshilfe: Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690/101>, abgerufen am 29.04.2024.