Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
Sievers Briefe

Kaum hatte meine Nachbarin, die Frau des zwey-
ten Sohnes des Sarembet ihre Jurte ferrig, so kamen
ihr die Wehen an. Jch war mit dem Dollmetscher eben
in der Jurte, um etwas auszuruhen und hatte bereits ei-
ne halbe Stunde geschlafen als man uns weckte und bat
herauszugehen. Es währte darauf nicht lange, so war
ein Söhnlein da. Die Weiber aus den benachbarten
Jurten waren zur Hülfe dabey und alles gieng in der
Kürze und der größten Ordnung zu. Zwey Tage darauf
arbeitete die Kirgisin schon wieder und befand sich wohl.
Mein mehreremale erwähnter Kalmück, als ein sehr be-
kannter und angesehener Mann in dieser Wollost, schenkte
der Wöchnerin drey Ellen Sammet, welchem ich noch
einige Pfunde Taback für den Mann beyfügte. Dieser
brachte uns nun dafür in mein Zelt frische Ziegenbutter
und eine Art süßen Bröckelkäse (Eremtschick). Die-
ses ist aber eine Zeremonie welche bey jeden Geburten
beobachtet wird: denn es waren noch mehrere Gäste ge-
genwärtig, welchen dieselbe Ehre wiederfuhr. Es wurde
ihnen so wie uns in hölzernen Schaalen vorgesetzt und
beydes vermischt, und so ohne weitere Zuthat mit den
bloßen Händen zum Munde geführt. Gleich drauf kam
denn auch der alte Sarembet zu Hause; ermüdet von
der Reise, legte er sich schlafen, hernach trank er Thee
mit mir. Das neugebohrne Kind wird den Namen von
ihm empfangen, welchen denn gewöhnlich immer der
älteste Anverwandte aus der Familie, unter Hersagen
einiger Gebete zu geben pflegt.

Jch habe die Ehre u. s. w.

Drey-
Sievers Briefe

Kaum hatte meine Nachbarin, die Frau des zwey-
ten Sohnes des Sarembet ihre Jurte ferrig, ſo kamen
ihr die Wehen an. Jch war mit dem Dollmetſcher eben
in der Jurte, um etwas auszuruhen und hatte bereits ei-
ne halbe Stunde geſchlafen als man uns weckte und bat
herauszugehen. Es waͤhrte darauf nicht lange, ſo war
ein Soͤhnlein da. Die Weiber aus den benachbarten
Jurten waren zur Huͤlfe dabey und alles gieng in der
Kuͤrze und der groͤßten Ordnung zu. Zwey Tage darauf
arbeitete die Kirgiſin ſchon wieder und befand ſich wohl.
Mein mehreremale erwaͤhnter Kalmuͤck, als ein ſehr be-
kannter und angeſehener Mann in dieſer Wolloſt, ſchenkte
der Woͤchnerin drey Ellen Sammet, welchem ich noch
einige Pfunde Taback fuͤr den Mann beyfuͤgte. Dieſer
brachte uns nun dafuͤr in mein Zelt friſche Ziegenbutter
und eine Art ſuͤßen Broͤckelkaͤſe (Eremtſchick). Die-
ſes iſt aber eine Zeremonie welche bey jeden Geburten
beobachtet wird: denn es waren noch mehrere Gaͤſte ge-
genwaͤrtig, welchen dieſelbe Ehre wiederfuhr. Es wurde
ihnen ſo wie uns in hoͤlzernen Schaalen vorgeſetzt und
beydes vermiſcht, und ſo ohne weitere Zuthat mit den
bloßen Haͤnden zum Munde gefuͤhrt. Gleich drauf kam
denn auch der alte Sarembet zu Hauſe; ermuͤdet von
der Reiſe, legte er ſich ſchlafen, hernach trank er Thee
mit mir. Das neugebohrne Kind wird den Namen von
ihm empfangen, welchen denn gewoͤhnlich immer der
aͤlteſte Anverwandte aus der Familie, unter Herſagen
einiger Gebete zu geben pflegt.

Jch habe die Ehre u. ſ. w.

Drey-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0178" n="170"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sievers Briefe</hi> </fw><lb/>
          <p>Kaum hatte meine Nachbarin, die Frau des zwey-<lb/>
ten Sohnes des <hi rendition="#fr">Sarembet</hi> ihre Jurte ferrig, &#x017F;o kamen<lb/>
ihr die Wehen an. Jch war mit dem Dollmet&#x017F;cher eben<lb/>
in der Jurte, um etwas auszuruhen und hatte bereits ei-<lb/>
ne halbe Stunde ge&#x017F;chlafen als man uns weckte und bat<lb/>
herauszugehen. Es wa&#x0364;hrte darauf nicht lange, &#x017F;o war<lb/>
ein So&#x0364;hnlein da. Die Weiber aus den benachbarten<lb/>
Jurten waren zur Hu&#x0364;lfe dabey und alles gieng in der<lb/>
Ku&#x0364;rze und der gro&#x0364;ßten Ordnung zu. Zwey Tage darauf<lb/>
arbeitete die Kirgi&#x017F;in &#x017F;chon wieder und befand &#x017F;ich wohl.<lb/>
Mein mehreremale erwa&#x0364;hnter Kalmu&#x0364;ck, als ein &#x017F;ehr be-<lb/>
kannter und ange&#x017F;ehener Mann in die&#x017F;er Wollo&#x017F;t, &#x017F;chenkte<lb/>
der Wo&#x0364;chnerin drey Ellen Sammet, welchem ich noch<lb/>
einige Pfunde Taback fu&#x0364;r den Mann beyfu&#x0364;gte. Die&#x017F;er<lb/>
brachte uns nun dafu&#x0364;r in mein Zelt fri&#x017F;che Ziegenbutter<lb/>
und eine Art &#x017F;u&#x0364;ßen Bro&#x0364;ckelka&#x0364;&#x017F;e (<hi rendition="#fr">Eremt&#x017F;chick</hi>). Die-<lb/>
&#x017F;es i&#x017F;t aber eine Zeremonie welche bey jeden Geburten<lb/>
beobachtet wird: denn es waren noch mehrere Ga&#x0364;&#x017F;te ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtig, welchen die&#x017F;elbe Ehre wiederfuhr. Es wurde<lb/>
ihnen &#x017F;o wie uns in ho&#x0364;lzernen Schaalen vorge&#x017F;etzt und<lb/>
beydes vermi&#x017F;cht, und &#x017F;o ohne weitere Zuthat mit den<lb/>
bloßen Ha&#x0364;nden zum Munde gefu&#x0364;hrt. Gleich drauf kam<lb/>
denn auch der alte Sarembet zu Hau&#x017F;e; ermu&#x0364;det von<lb/>
der Rei&#x017F;e, legte er &#x017F;ich &#x017F;chlafen, hernach trank er Thee<lb/>
mit mir. Das neugebohrne Kind wird den Namen von<lb/>
ihm empfangen, welchen denn gewo&#x0364;hnlich immer der<lb/>
a&#x0364;lte&#x017F;te Anverwandte aus der Familie, unter Her&#x017F;agen<lb/>
einiger Gebete zu geben pflegt.</p><lb/>
          <p>Jch habe die Ehre u. &#x017F;. w.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Drey-</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0178] Sievers Briefe Kaum hatte meine Nachbarin, die Frau des zwey- ten Sohnes des Sarembet ihre Jurte ferrig, ſo kamen ihr die Wehen an. Jch war mit dem Dollmetſcher eben in der Jurte, um etwas auszuruhen und hatte bereits ei- ne halbe Stunde geſchlafen als man uns weckte und bat herauszugehen. Es waͤhrte darauf nicht lange, ſo war ein Soͤhnlein da. Die Weiber aus den benachbarten Jurten waren zur Huͤlfe dabey und alles gieng in der Kuͤrze und der groͤßten Ordnung zu. Zwey Tage darauf arbeitete die Kirgiſin ſchon wieder und befand ſich wohl. Mein mehreremale erwaͤhnter Kalmuͤck, als ein ſehr be- kannter und angeſehener Mann in dieſer Wolloſt, ſchenkte der Woͤchnerin drey Ellen Sammet, welchem ich noch einige Pfunde Taback fuͤr den Mann beyfuͤgte. Dieſer brachte uns nun dafuͤr in mein Zelt friſche Ziegenbutter und eine Art ſuͤßen Broͤckelkaͤſe (Eremtſchick). Die- ſes iſt aber eine Zeremonie welche bey jeden Geburten beobachtet wird: denn es waren noch mehrere Gaͤſte ge- genwaͤrtig, welchen dieſelbe Ehre wiederfuhr. Es wurde ihnen ſo wie uns in hoͤlzernen Schaalen vorgeſetzt und beydes vermiſcht, und ſo ohne weitere Zuthat mit den bloßen Haͤnden zum Munde gefuͤhrt. Gleich drauf kam denn auch der alte Sarembet zu Hauſe; ermuͤdet von der Reiſe, legte er ſich ſchlafen, hernach trank er Thee mit mir. Das neugebohrne Kind wird den Namen von ihm empfangen, welchen denn gewoͤhnlich immer der aͤlteſte Anverwandte aus der Familie, unter Herſagen einiger Gebete zu geben pflegt. Jch habe die Ehre u. ſ. w. Drey-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/178
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/178>, abgerufen am 16.04.2024.